Zehn Fragen zur Zukunft des Fernsehens
- Zehn Fragen zur Zukunft des Fernsehens
- 4. Die Inhalte des Fernsehens sind überholt
- 7. Die Erkundung der anthropologischen Dimension fehlt noch immer
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Abschied vom Fernsehen? Warum dieses Medium niemand mehr braucht: Eine kritische Zwischenbilanz (Teil 2).
Das Fernsehen bewegt sich im deutschen Sprachraum im Zwielicht einer ideologisch gespaltenen Gesellschaft. Weil es sich – auch deshalb, und bis zu einem gewissen Grad verständlicherweise – einen Erziehungsauftrag zuschreibt, der immer öfter auch nicht vor politischer Korrektheit und Woke culture Halt macht, haben sich manche Bürger von ihm abgewendet.
Das ist aber nur die äußere Hülle des Geschehens. Für das "Krisenmodell Fernsehen" gibt es mindestens noch zehn konkretere Gründe. Die Ursachenanalyse ist auch nicht auf diese zehn Gründe beschränkt, sondern schließt in Wirklichkeit noch mehr Facetten und Teilentwicklungen ein. Zu diesen Gründen zählen im Überblick:
1. Das Fernsehen ist ein Medium der Passivität geblieben
Trotz einiger Experimente mit TED und anderen – letztlich eher passiv bleibenden – Abstimmungsformen ist Fernsehen ein Einwegmedium geblieben, statt "aktiv interaktiv" zu werden wie das Internet. Kein Wunder, dass vor allem Junge sich das, was sie brauchen, lieber auf Youtube, Instagram, Spiel- oder Filmplattformen holen.
Dort sind kreativere Formate, Freiheit der Produktion und Konsumption und persönlichere und längere Auseinandersetzungen etwa in Form von Podcasts möglich, die im Fernsehen mit seinen starren Programm- und Zeitschemen keinen Platz haben.
Die Starrheit – und deshalb Ödnis – der Wiederholungs-Formate im Fernsehen fällt inzwischen frei nach der berühmten Frage auf: "Warum dauern die Nachrichten (etwa in der ARD-Tagesschau) eigentlich immer genau 15 Minuten – weil jeden Tag gleich viel geschieht?"
Langformate etwa in fiktiven Fortsetzungsreihen wie Vikings oder Lost, die die Zwei-Stunden-Schwelle des Kinos in Richtung 20-30 Stunden Fernseherzählzeit überwanden, sahen zeitweise zumindest im fiktiven Bereich wie die Lösung in Richtung offenere Erzählformate aus – um das Immerselbe von Tatort und anderen Serien zu überwinden.
Letztlich wurden sie das nicht wirklich, weil der Zuseher abgesehen von Einschaltquoten und Stimmungs-Rückmeldungen auch weiterhin passiv blieb. Davon profitierte unter anderem die Computer-Spiele-Industrie, die das Fernsehen in vielen Unterhaltungs-Segmenten verdrängt hat – wegen ihrer Interaktivität bei steigendem Realismus der Grafiken, verbunden mit Storylines von Langspieldauer und hoher kontextueller Variabilität.
2. Das Fernsehen wird der Brecht'schen Radiotheorie nicht gerecht
Dafür gibt es viele Belege. Das Fernsehen bleibt bis heute zum größten Teil der Sendezeit eine Konserve von Aufgezeichnetem, statt Realität direkt und in Echtzeit zu zeigen. Ungeschnittene Direktübertragungen von historischen Ereignissen auf dem ganzen Globus zum Zweck ungefilterten Dabeiseins auf Distanz, wie sie Brecht von der Wahrnehmungsprothese Rundfunk forderte, sind aufs Ganze besehen die Ausnahme geblieben.
Und von den Direktübertragungen ist ein großer Teil Sport, in Europa vor allem Fußball, Ski, Schwimmen und Leichtathletik. Wie schon Jean-Luc Godard in seiner Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos (1992) bemerkte, sind Kino-Filme und an diese angelehnte Fernsehkrimis das erfolgreichste Format im Fernsehen, nicht die Direktübertragung historischer Ereignisse.
Diese Rolle hat eher das Internet inne. Am nächsten kommt diesem Ideal bezogen auf das Fernsehen seit Ende der 1970er-Jahre bis heute wohl der nationweite US-Nonprofit-Fernsehsender C-Span – aber er steht eher allein auf weiter Flur und deckt nur wenige Nationen ab.
3. Keine klare Unterscheidung zwischen News und Meinung
Oft – zugegebenermaßen ungewollte – "Färbungen" von Fakten, Vorlieben für Meinungen und implizite und explizite Medien-"Demokratiepolitiken" sind im Eifer der fortschreitenden gesellschaftlichen Polarisierung seit den 2010er-Jahren zum Trend geworden. Dies in erster Linie beim Fernseh-Vorreiter USA, aber mittlerweile zunehmend auch in Europa.
Gesellschaftliche Polarisierung und Re-Politisierung des Fernsehens sind sowohl in den USA wie in Europa Hand in Hand gegangen. Sie haben einen "neuen Idealismus" auf den Plan gerufen, der Demokratie zusehends nur mehr auf bestimmten Seiten des politischen Spektrums verortet. Auch deshalb ist das Vertrauen der Bürger in die Medien insgesamt auf einem historischen Tiefstand seit dem zweiten Weltkrieg – vor allem in Amerika, aber auch in europäischen Ländern.