Zurück ins Mittelalter?
Wenn es dem Leben dient, könnte ein bisschen Folter für besseren Opferschutz sorgen
Bisher waren peinliche Befragungen von Verdächtigen eher peinlich bis strafbar für die Vernehmungsbeamten. Das könnte jetzt gründlich anders werden. Der Entführungsfall "Jakob von Metzler" belebt inzwischen eine nie ganz verstummte Diskussion, ob Folter in kritischen Gefährdungssituationen ein angemessenes Mittel sein könnte, Verstockte zum Reden zu bringen. "Es sind Fälle vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein kann, nämlich dann, wenn dadurch ein Rechtsgut verletzt wird, um ein höherwertiges Rechtsgut zu retten", sagte der Vorsitzende des Richterbundes Geert Mackenroth dem "Tagesspiegel". Die Verhinderung der Terroranschläge vom 11.9.2001nannte er als ein Beispiel für solche höhere Rechtsgüter.
Der Frankfurter Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner soll angeordnet haben, dem mutmaßlichen Täter Magnus G. bei der Frage nach dem Verbleib des entführten Jungen mitzuteilen, dass man ihm wehtun werde, wenn er keine Aussage machen würde. Konkret sollte der zuständige Kriminalhauptkommissar angeblich dem Verdächtigen ankündigen: "Wenn Sie jetzt nicht reden, dann werden wir Ihnen große Schmerzen zufügen...wie Sie nie welche hatten, die Sie nie in Ihrem Leben vergessen werden." Dem Berliner "Tagesspiegel" zufolge soll ein Vermerk Daschners existieren, dass Magnus G. "nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist". Nach dem Strafverteidiger Ulrich Endres soll sein Mandant zudem auch mit der Androhung einer Vergewaltigung durch Mithäftlinge unter Druck gesetzt worden sein. Man werde ihn zu "zwei großen Negern" in die Zelle sperren. Der inzwischen erfolgreich examinierte Jurastudent soll nach diesen Androhungen den Aufenthaltsort des toten Jungen mitgeteilt haben, nachdem er sich zunächst nicht so gut erinnern konnte.
Was nun als ungeheuerliche Verfehlung der Polizei angesehen werden könnte, als Schlag in das Gesicht eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens, wurde etwa vom stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Holger Bernsee, für vertretbar gehalten, weil man zu diesem Zeitpunkt eben davon ausgegangen sei, das Leben des Jungen noch retten zu können. Die Staatsanwaltschaft geht nun dem Argument nach, ob es sich um eine zulässige Maßnahme bzw. eine übergesetzliche Notstandssituation gehandelt habe oder schlicht um strafbare Aussage-Erpressung. Ein Notstand könnte bejaht werden, wenn das Leben eines Menschen gefährdet ist und die Ausübung von Gewalt das letzte Mittel, um ihn zu retten. Selbst der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Geert Mackenroth hält im Blick auf Terrorgefahren Folter durchaus für ein bedenkenswertes Mittel, wenn bei der Abwägung zweier Rechtsgüter das höhere Rechtsgut geschützt wird.
"Körperliche Unversehrtheit versus Leben" heißt dann die juristische Abwägungsschaukel, die für den Delinquenten leicht zur kitzligen Papageienschaukel werden könnte. Doch wir wollen nicht vorgreifen.
Lieber Zuhause als im Ausland?
Das Arsenal peinlicher Befragungen ist seit den Zeiten des Hexenhammers erheblich modernisiert und effektuiert worden. Sollte die "territio", das Zeigen der Instrumente durch den spätmodernen Inquisitionsbeamten nicht ausreichen, könnte man zunächst mit Wahrheitsserum oder leichten Elektroschocks beginnen. Seit dem Milgram-Experiment wissen wir ja, dass der größere Teil der Bevölkerung die Schreie des Torturierten relativ leicht verschmerzen kann. Letztlich entscheidet selbstverständlich die Widerstandsfähigkeit des Delinquenten darüber, wie weit man gehen muss, um die blinde Justitia zum Licht der Tatsachen zu führen.
Wenn die deutsche Polizei derzeit nicht über genügend Spezialisten verfügt, wären sicher Hilfsbeamte aus diversen arabischen, afrikanischen oder asiatischen Ländern bereit, hier ihren reichen Erfahrungsschatz zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich unter strenger Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien, damit die Bundesrepublik Deutschland nicht demnächst die Hit(!)-Liste von amnesty international auf der nach oben offenen Horror-Richter-Skala anführt: Nur so viel Folter also, wie unabdingbar ist, um eine träge Zunge zu lösen und Leben zu retten.
Dass diese Diskussion, die seinerzeit im Rahmen der Terrorismusbekämpfung der RAF folgenlos blieb, nun erneut losgetreten wird, ist kein Zufall. In Amerika wurde nach dem rechtsstaatlich verhängnisvollen 11. September 2001 auch die peinliche Vernehmung von mutmaßlichen Terroristen erwogen, zudem die CIA bereits in früheren Jahren einige eingehende Erfahrungen auf diesem delikaten Gebiet gesammelt hatte. Angeblich hat man es in jüngerer Zeit indes vorgezogen, maulfaule Verdächtige in Länder zu verkarren, die weniger bzw. mehr Manschetten haben, die lautere Wahrheit herauszupressen (With a little help from my friends ....). Aber solche Transit-Verfahren sind aufwändig und wenn erst der richtige rechtsstaatliche Trend sich auch im liberalen Westen durchsetzt, dürften Vernehmungen demnächst vor Ort erheblich kostengünstiger ablaufen.
Die Terroristen gleichen den Hexen des Mittelalters
Nun stellt sich die Frage, wie die Tortur, die wir nach dem Sieg der Aufklärung wohl zu vorschnell verabschiedet hatten, in Einklang mit der Unschuldsvermutung und dem System von Freiheits- und Geldstrafen zu bringen ist. Eine Novellierung der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere des § 136 a StPO, sowie des § 343 StGB (Aussageerpressung), wären ein erster legislativer Schritt. Zugleich wäre auch zu kodieren, welche gestrengen Vernehmungsmethoden bei welchen Rechtsgütern zulässig sind. Die gottesfürchtigen bis glühenden Maßstäbe des Hexenhammers wären sicher in einigen Punkten zu überdenken, damit der Delinquent nicht mehr leidet, als unbedingt zum Schutz fremder Rechtsgüter notwendig erscheint.
Freilich, einige Fragen sind damit längst nicht beantwortet. Immerhin könnte manch einer bereit sein zuzugeben, dass er ein Hexenmeister ist, wenn die Bambusspitzen unter den Fingernägeln allzu sehr brennen - oder zumindest die Vorstellung daran. Manche Hexe wurde bekanntlich erst in der eisernen Jungfrau zu einer, um dann verbrannt zu werden. Der Unterschied zwischen Hexen und Terrorverdächtigen ist in diesen Tagen ohnehin nicht mehr allzu hoch anzusetzen. Das fundamentale Dilemma dieser schneidigen Methode bleibt, dass sie die Frage, ob die Güterabwägung tatsächlich eindeutig ist und der Verdächtige ein Täter ist, eben leider nicht mitbeantwortet.
Der Motassadeq-Prozess wäre vielleicht befriedigender ausgefallen, wenn man sich nicht mit dem Problem abwesender Zeugen und von der Bundesregierung zurückgehaltener Vernehmungsprotokolle hätte herumschlagen müssen, sondern zum Prozessauftakt sogleich ein veritables Geständnis aus der roten Akte gezaubert hätte. Es scheint so, als sei die Kreuzzugsmoral des US-Präsidenten nun auch hier zu Lande in ihren weit reichenden Konsequenzen für Fragen der inneren Sicherheit gut verstanden worden. Zu präventiven Schlägen passen eben auch präventive Streckbetten. Der Rechtsstaat muss sich zwar auch noch ein wenig strecken, um sich in dieser mutigen Weise zu bewähren. Aber hat sich die historische Verhörmethode erst einmal wieder durchgesetzt und wir uns von zivilisatorischen Vorurteilen befreit, könnten viele interessante Weiterungen dieses offensiven Diskursstils "angedacht" werden.
Auch die bisher unergiebigen Untersuchungsausschüsse des Bundestages etwa könnten hier Mittel in die Hand bekommen, die jeden Blackout unwahrscheinlich machen. Selbst das Schweigen über das Schweizer Nummernkonto käme doch nicht über die Androhung der nächsten Daumenschraube hinweg. Willkommen im Mittelalter.