Zwei Ämter, ein Gesicht

Der ohne Erklärung erfolgte Rücktritt des polnischen Regierungschefs Marcinkiewicz leitet einen weiteren Rechtsruck der Regierung und damit auch stärkere Konflikte zwischen Polen und Deutschland ein

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Am Montagabend ernannte der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski seinen Zwillingsbruder Jaroslaw zum neuen Premierminister, nachdem der bisherige Premier Kazimierz Marcinkiewicz am Freitag zurücktrat. Der Rücktritt des beliebtesten polnischen Politikers war für die Öffentlichkeit in Polen eine Überraschung, da er diesen Schritt ohne Erklärung machte und es vorher auch keine sichtbare Krise in der Regierung gab. Doch polnische Beobachter und Politiker sind sich einig, dass der Rücktritt nicht freiwillig erfolgte und Jaroslaw Kaczynski, der starke Mann der Regierungspartei PiS, dahintersteckt. Folge dieses Wechsels an der Regierungsspitze dürfte eine Disziplinierung der PiS sein, sowie ein weiterer Rechtsruck der Regierung, mit weiteren Misstönen in den deutsch-polnischen Beziehungen.

Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski ernennt seinen Zwillingsbruder Jaroslaw zum neuen Regierungschef. Foto: PsS

Wer die Internetseite der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit besuchen möchte und nur die Endung "pl" eingibt, dürfte sich verwundert die Augen reiben. Anstatt eines Parteiprogramms und Informationen über die 2001 gegründete Partei sieht man dann einen Bagger. Unter der fast gleichen Internetadresse wie die PiS präsentiert sich eine polnische Baufirma, nur das "org" unterscheidet die beiden Internetadressen. Doch der Bagger auf der Seite der Baufirma ist fast symbolisch für den Zustand der polnischen Regierung und der Regierungspartei PiS, die nach dem Wechsel an der Spitze einige Umbauarbeiten vor sich haben dürften.

Für die Polen war es eine Überraschung, als am Freitag Jaroslaw Kaczynski und Kazimierz Marcinkiewicz gemeinsam vor die Presse traten, um die Änderung an der Spitze der polnischen Regierung zu verkünden. Reglos, bis zum Schluss gegenüber seinem Parteichef loyal, trat der bisherige Premierminister von seinem Amt zurück, ohne einen Grund für diesen Schritt zu nennen. Sein Amtsnachfolger, Gründer und starker Mann der PiS, erklärte nur, dass es „normal ist, wenn der Vorsitzende der stärksten Partei auch Regierungschef ist“.

Bereits vor acht Monaten, nach dem Wahlsieg der PiS, hätte Jaroslaw Kaczynksi Premierminister werden können. Doch Jaroslaw verzichtete auf diesen Posten, um seinem Bruder Lech bei den einige Wochen später stattfindenden Präsidentschaftswahlen die Chancen zu sichern. Auch nach der erfolgreichen Wahl seines Zwillingbruders zum Präsidenten lehnte der PiS-Vorsitzende den Stuhl des Premierministers noch ab. „Man kann Polen und der Welt nicht zweimal das gleiche Gesicht vorsetzen“, sagte er damals. Kazimierz Marcinkiewicz, ein bis dahin der polnischen Öffentlichkeit unbekannter PiS-Politiker, der unter Premierminister Jerzy Buzek von 1999 bis 2000 in dessen Staatskanzlei tätig war, wurde stattdessen vorgeschlagen und mit der Regierungsbildung beauftragt.

Die überraschende Ernennung zum Premier brachte Marcinkiewicz den Ruf ein, nur eine Marionette von Jaroslaw Kaczynski zu sein. Vieles sprach auch dafür; die ihm im Mai aufgezwungene Koalition mit den populistischen Parteien LPR (Liga Polnischer Familien) und der Samoobrona (Selbstverteidigung), die verbalen Ausrutscher der Kaczynski-Brüder und einiger seiner Minister, dürften dem zum liberalen Flügel der PiS gehörenden Marcinkiewicz nicht gefallen haben, da diese seine Arbeit sowohl innen- als auch außenpolitisch erschwerten. Aber trotz dieser schwieriger Umstände und weniger innenpolitischer Erfolge entwickelte sich der Physiklehrer zum beliebtesten polnischen Politiker, weit vor den Brüdern Kaczynski.

Diese Anerkennung ließ den polnischen Premier selbstbewusster und gegenüber seinem Parteichef und Mentor auch emanzipierter auftreten. „Er versuchte, eine von der Partei relativ autonome Regierung zu führen“, schrieb die Presse rückblickend nach seinem Abschied. So ernannte Marcinkiewicz, ohne Rücksprache mit Jaroslaw Kaczynski, seinen Finanzberater zum neuen Finanzminister, nachdem Lydia Gilowska von diesem Amt zurücktrat. Marcinkiewicz vermied auch jeden Kommentar zu der Affäre um die taz-Satire über die Kaczynski-Brüder (Warum Polen die TAZ braucht), was ihm innerhalb der PiS sehr viel Kritik einbrachte. Und er traf sich mit dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei PO (Bürgerplattform), Donald Tusk. Vor allem dieses Treffen sorgte in der Regierung für sehr viel Unmut, da die Koalitionspartner mögliche Sondierungsgespräche für eine Koalition zwischen PiS und PO vermuteten.

Kazimierz Marcinkiewicz tritt zurück, fragt sich nur, wer länger lacht. Foto: PiS

Die Emanzipation des Premierministers und seine Popularität müssen Jaroslaw Kaczynski missfallen haben. Innerparteiliche Konkurrenz darf es in einer von ihm gegründeten und auf ihn zugeschnittenen Partei offenbar nicht geben. Diese würde auch nicht zu dem Erscheinungsbild der PiS passen, die ein starkes und neues Polen, mit einem starken Mann an der Spitze, propagiert. Das wird auch auf der Webseite der Partei deutlich – Jaroslaw Kaczynski ist omnipräsent und die PiS-Mitglieder sind seine treu ergebenen. Die Affäre, die von der von Peter Köhler geschriebenen taz-Satire verursacht wurde, beweist das. Die Parlamentsfraktion der PiS forderte von ihrem Parteikollegen und Justizminister Zbigniew Ziobro eine Überprüfung an, ob die deutsche Tageszeitung nach polnischem Recht belangt werden kann. Anna Fotyga, polnische Außenministerin, und Maciej Lopinksi, Chef der polnischen Präsidialkanzlei, verglichen die Satire der linken taz „mit der Poetik des nationalsozialistischen Stürmers“.

Somit ist die Absetzung von Kazimierz Marcinkiewicz auch ein innerparteiliches Signal: So wie dem ehemaligen Premierminister kann es jedem ergehen, der eigenständige Wege versucht. Kazimierz Marcinkiewicz hat dieses Signal jedenfalls verstanden. Ohne eine Begründung und ohne einen Kommentar ergab er sich seinem Schicksal und ließ sich dafür zum Spitzenkandidaten für das Bürgermeisteramt in Warschau wegloben. „Er widersprach nicht, da er kein politischer Selbstmörder ist“, kommentierte der Journalist Jaroslaw Kurski in der Online-Ausgabe der Gazeta Wyborcza das Schweigen des ehemaligen Premiers. Aber auch im Hinblick auf die im Herbst anstehenden Wahlen für das Parlament ist die Absetzung von Marcinkiewicz ein Zeichen. Hiermit konnte sich Jaroslaw Kaczynski seinen Wählern, denen er eine neue polnische Gesellschaft versprochen hat, in der Recht, Gerechtigkeit und Ordnung herrschen, als der starke Mann präsentieren, der sich nicht vor Verantwortung scheut. Zumindest versucht er sich schon jetzt als tatkräftiger Premier und ernannte Stanislaw Kluza zum neuen Finanzminister – es war seine erste Amtshandlung.

Sorgen muss man sich um Polens Außenpolitik machen. In den außenpolitischen Beziehungen könnte der Ton, im Gegensatz zum diplomatischen Marcinkiewicz, rauer werden. Vor allem die deutsch-polnischen Beziehungen, die momentan, und nicht erst seit der taz-Satire, schwierig sind, könnten sich weiter verschlechtern. Bereits am Tag seiner Ernennung erneuerte Kaczynski seine Forderung, nur diesmal im Namen der polnischen Regierung, nach einer offiziellen Entschuldigung der Bundesregierung für die in Deutschland publizierte Satire. Da sich die Bundesregierung aber zu Recht weigert, sich zu entschuldigen, dürften die antideutschen Töne aus dem Regierungskreis zunehmen und vor allem wohl auch aggressiver werden. Erst vor kurzem verglich der polnische Verteidigungsminister Sikorski die deutsch-russische Gaspipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Schwieriger dürfte es auch in der Politik der Europäischen Union werden, da Jaroslaw Kaczynski für eine „nationale Politik innerhalb der EU steht“.

Die Absetzung von Marcinkiewicz könnte aber auch eine große Chance beinhalten. Die Polen, die durch eine niedrige Wahlbeteiligung den Kaczynski-Brüdern den politischen Erfolg ermöglichten, fürchten sich mittlerweile vor den eineiigen Zwillingen in den zwei wichtigsten Ämtern der polnischen Republik, weil diese einen endgültigen Rechtsruck der polnischen Gesellschaft bewirken könnten. Bereits am Dienstag fanden in Warschau die ersten Demonstrationen statt und in Internetportalen mehren sich kritische Stimmen. Eine Stimmung, die auch durch eine Telefonumfrage des polnischen Fernsehsenders TVN bestätigt wird – nur die Wähler der PiS sind mit dem Amtsantritt von Jaroslaw Kaczynski zufrieden, während die große Mehrheit der befragten Polen ihn ablehnt. Aus dieser Stimmung könnte in Polen eine neue, unbelastete Linke entstehen, die das innenpolitische Gesicht des Landes östlich der Oder verändern könnte. Seit den letzten Wahlen wird das Land nämlich politisch von Mitte-Rechts-Parteien dominiert, da sich die alte Linke, bestimmt durch ehemalige Postkommunisten, aufgrund unzähliger Affären ihr eigenes Grab schuf.

Die größte Oppositionspartei im polnischen Parlament, die bürgerliche PO, sieht der neuen Regierung unter Premierminister Jaroslaw Kaczynski etwas gelassener entgegen. „Das wird eine kurze Regierung“, meint Jan Rokita, im letzten Jahr noch Präsidentschaftskandidat der PO, der erst im zweiten Wahlgang Lech Kaczynski unterlag, mit einer simplen Begründung: „Eine Koalition mit Kaczynski, Giertych und Lepper kann nicht funktionieren, da es Personen mit zu vielen persönlichen Interessen sind.“ Als der große Gewinner dieser möglichen Regierungskrise, könnte wiederum der am Freitag zurückgetretene Kazimierz Marcinkiewicz werden. „Der Stern von Marcinkiewicz kann noch wachsen“, prophezeite die Gazeta Wyborcza, da er sich in seinem Amt als Warschauer Bürgermeister gut profilieren könnte. Seitdem wird in der Presse auch gemutmaßt, ob Marcinkiewicz die PiS verlassen wird, um in die PO einzutreten oder um eine eigene Partei zu gründen, aber auch, ob er sich in der PiS eine eigene starke Position erkämpft und die Partei der Kaczynski-Brüder von innen verändert.