Zwischen Moralkeule und Elite-Status: Die Grünen im Wahlkampf 2025

Bild (2022): penofoto /shutterstock.com
Bundestagswahl: Robert Habecks neue Politik-Kultur auf dem Prüfstand. Was von seinem Wahlkampf bleibt – eine Stilkritik und weitergehende Überlegungen.
Bei dieser Wahl wird nicht über die Vergangenheit entschieden, sondern wie wir die Zukunft gestalten.
Robert Habeck
Die Diskussion mit Vegetariern wird anders, sobald sie eine Wurstfabrik geerbt haben.
Klaus Kinkel, FDP-Vorsitzender 1993-1995
Wahlplakate sind eine schöne Schule der Ignoranz fast aller Parteien. Etwa, wenn die FDP im heute zu Ende gehenden kurzen Winterwahlkampf schreibt:
Schön reden ist keine Wirtschaftsleistung" und darüber ein Bild von Christian Lindner zeigt, ist den Verantwortlichen erkennbar nicht bewusst, dass man genau diese Sätze auch direkt auf Lindner selbst rückkoppeln könnte. Oder noch besser: Das FDP-Wahlkampfmotto "Alles lässt sich ändern.
Der Wähler wird hier geradezu mit der Nase auf den Gedanken gestupst: "Genau! Man kann die FDP auch einfach aus dem Bundestag hinauskegeln; alles lässt sich schließlich ändern" – was mit ziemlicher Sicherheit heute Abend passieren wird.
Der Sonntagabend wird sowieso in vieler Hinsicht ein Schlachtfest, denn die inneren Verwerfungen der Parteien, die mühsam für zwei Monate unterdrückten Spaltungen, werden offen aufbrechen. Dazu später.
Noch eine FDP-Stilblüte: "Vater Staat ist nicht dein Erziehungsberechtigter." Das stimmt wohl, aber Christian Lindner ist auch nicht mein Kassenwart. Und wenn er süffisant "Kinder haften für ihre Eltern" plakatieren lässt, möchte man darunter schreiben:
"Lindner sollte dafür haften, wenn aus Sparzwang die Schulen marode sind, die Autobahnen Löcher haben und Rolltreppen wochenlang ausfallen."
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" – nur Freiheit fehlt
Wo die FDP viele Worte braucht, genügen den Grünen wenig: "Vertrauen", "Zuversicht", "Zusammen". Nur ein Wort fehlt: Freiheit.
Oder ein Verben-Stakkato: sichern, sanieren, schützen, bezahlbar machen. Oder einfach: machen.
Die Grünen haben in diesem Wahlkampf neben dem Corporate Design auch ein Corporate Outfit. Man sieht schwarze Kleidung auf grünem Hintergrund. Bei Annalena Baerbock scheinen die schwarzen Haare auch noch fast ein Teil der schwarzen Kleidung zu sein. Diese schwarz-grüne Farbgebung ist nicht zufällig gewählt, sie ist eine visuelle Koalitionsaussage.
Es gibt eine ungewollte Bild-Text-Schere. Bei dem Wort "Zusammen" auf den Annalena Baerbock-Plakaten soll man vermutlich nicht an die zusammengekniffenen Augen und die geschlossenen Lippen der Noch-Außenministerin denken.
So wie offenbar auch niemanden in der grünen Wahlkampfzentrale um den überforderten Jungspund Andreas "Android" Audretsch, einen Zögling der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Britta Haßelmann, in den Sinn gekommen ist, dass manche beim Wort "Vertrauen" nicht an Robert Habeck denken, sondern an Wladimir Iljitsch Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" – ein Grundsatz, der auch zur grünen Regierungspolitik der letzten Jahre gut passt.
Der Zweifler mit dem Dackelblick
Es stimmt schon: Robert Habeck ist ein intelligenter Mann und ein charismatischer Redner. Er ist auch ein Politiker. Als solcher und besonders im Augenblick des Wahlkampfs versucht er, nicht wie ein Politiker zu wirken.
Er macht auf den Anti-Typ eines Politikers. Vielleicht ist er das auch. Ohne Frage will Robert Habeck eine neue Art, Politik zu verkörpern, vertreten und erklären. Das gelingt ihm. Es begeistert aber nicht alle, sondern trägt auch zur Verunsicherung bestimmter Wählerschichten bei.
Auch dies offenbart eine Bild-Text-Schere, die man besonders auf den "Zuversicht"-Plakaten von Habeck erkennen kann. Der Wirtschaftsminister und bekennende Vegetarier möchte öffentlich immer das Bild eines sympathischen, klugen, aber zerrissenen Zweiflers verkörpern, der nach langer Reflexion eher zerknirscht, als zuversichtlich, jedoch entschlossen das tut, was für das Land und dessen Zukunft das Beste ist.
Auf den Bildern guckt er treuherzig, ein wenig mit vertrauenheischendem Dackelblick, aber auch verschmitzt lächelnd, wie ein Dackel, der gerade eben die Butter vom Esstisch gemopst hat.
Am Ende wählt man Parteien
Wie gesagt: Robert Habeck ist ein intelligenter Mann und ein charismatischer Redner und man kann dem Mann vertrauen, dass er Gutes will und, wie man so sagt, das Herz am richtigen Fleck hat. Mit ihm würde man hundertmal lieber einen trinken gehen, als mit Olaf Scholz oder Friedrich Merz.
Er verkörpert eine progressive, links-liberale Politik und damit das einzige Angebot, das langfristig realistisch ist. Allerdings kurzfristig ungewollt. Habeck hat Weitsicht und einen guten Instinkt. Er war einer von denen, die sehr früh und gegen die eigene Partei vor einer Eskalation des Konflikts in der Ukraine warnten. Er war also in diesem Sinn vorausschauend. Seinetwegen hätte es keinen überhasteten Atomausstieg geben müssen.
Wenn man ihm zuhört bei Interviews, in Podcasts oder auch in seinen Bundestagsreden, dann ist er der einzige Politiker mit Niveau. Und die Tatsache, dass alle bösen Menschen und besonders die Springerpresse Robert Habeck hassen, ist ein zusätzlicher Pluspunkt für ihn. Das grassierende Habeck-Bashing kommt vom politischen Gegner.
Nun sind aber Bundestagswahlen keine Kanzlerwahlen, auch wenn Quadrielle, Triele und Duelle das Ganze so erscheinen lassen, genauso wie die Plakate der Parteien.
Am Ende wählt man nicht Habeck, sondern die Grünen. Und da fängt das Problem an, zumal die Chancen, dass selbst bei einer grünen Regierungsbeteiligung Robert Habeck am Ende zum Kanzler gewählt wird, denkbar gering sind.
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Die Hauptvorwürfe gegen die Grünen
Was sind die Hauptvorwürfe gegen die Grünen? Sachlich gesehen wirft man ihnen vor, dass außenpolitisch Empathie und Gesinnungsethik die kühle Realpolitik ersetzt und den Blick für das Machbare trübt.
Dass es um einseitige Wertedurchsetzung geht, um Symbolpolitik, um Aktionismus, der oft sogar nachweislich kontraproduktiv für die angestrebten Ziele wirkt.
Vor allem die "Ukraine-Politik" der Grünen mit dem Dreiklang "Viele Waffen-liefern", "keine Verhandlungen" und "Ukraine muss siegen", war mindestens naiv.
Wirtschaftspolitisch hört man vor allem den Vorwurf, mehr Geld auszugeben als einzunehmen, sowie den Vorwurf zu vieler Subventionen. Zudem würden diese zu gleichmäßig "mit der Gießkanne" verteilt. Hinzu kommt noch ein Fundamentalismus in der Energie- und Verkehrspolitik.
Schwerer wiegen Vorwürfe, die Stilkritik und Kritik an Strategie und Taktik bedeuten. Man warf den Grünen Moralismus und Moralisieren vor. Selbst ihre Verteidiger, die es sogar in rechtskonservativen Medien gibt, bestreiten diesen Moralismus nicht, sondern wenden lieber ein, dass er sachlich angemessen sei, dass die Grünen also recht hätten.
Rechthaberei
Der zweite Vorwurf, der den Grünen gern gemacht wird, ist genau diese Rechthaberei.
Das Anklage-Narrativ der Grünen als Täter und Verursacher allen Übels wird von ihren Verteidigern gekontert durch ein Opfernarrativ: Die Grünen seien der Sündenbock und Prügelknabe. Doch das greift zu kurz. Denn die Grünen haben die Kritik an ihnen selbst provoziert.
Der berühmte Fehler des "Veggie Day" steht heute symbolisch für die immer wiederkehrenden Fehler in jedem grünen Wahlkampf: Baerbocks Doktorarbeit und ihr Buch, Habecks Besteuerungspläne auf Aktiengewinne. Und natürlich: Das Heizungsgesetz, das viele bei den Grünen nur als "Heizungsdesaster" erinnern.
Das GEG ist zur Löschtaste für die Grünen und für überhaupt jedwede Politik geworden, gegen die ein umfassend anspruchsberechtigtes und stets empörungsbereites Volk bei entsprechender medialer Orchestrierung aufbegehren könnte. (...)
Für Robert Habeck muss es sehr schlimm gewesen sein. Mit dem GEG-Desaster kippte seine ganze Strategie, die er mit den Grünen verfolgt hatte. Aus einer nach allen Seiten hin bündnis- und anschlussfähigen Partei wurde ein von allen Seiten bekämpfter politischer Gegner, der Sündenbock einer ökologisch bockenden Gesellschaft.
Bernd Ulrich, Die Zeit
Sie lernen nicht aus ihren Fehlern
Man hat den Eindruck, die Grünen lernen nicht aus ihren Fehlern – weil sie sie gar nicht als Fehler sehen. Sondern als Kommunikationsproblem, als zu schnell und ungeschickt umgesetzt, aber als eigentlich doch richtig.
Zugleich gilt: Die Grünen sind die Einzigen, die von den Ampelparteien im Laufe der Regierungszeit stabil geblieben sind. Liegt das nun an guten Argumenten oder nur daran, dass Grünen-Wähler ideologischer sind und von der Wirklichkeit nicht anzufechten?
Die Ampel war tatsächlich jene Fortschrittskoalition, die sie zu sein behauptete. Sie war die Koalition des neuen modernen Bürgertums der Bundesrepublik – latent moralisierend und idealistisch, klimaideologisch und wertkonservativ, kosmopolitisch und kreativ.
Sie war in ihren besseren Momenten im Guten wie im Schlechten die Koalition der Grünen.
"Sie sind sichtbar Elite"
Mit der FDP hat das alles insofern zu tun, als dass sich FDP und Grüne ähnlicher sind, als es beide gerne hören möchten. Sie repräsentieren jene internationale Elite, die die Zukunft des Planeten verkörpert.
Alan Posener hat schon vor einem knappen Jahr in der Welt beschrieben, dass "der FDP früher in linken Kreisen ein ähnlicher Hass entgegenschlug, wie den Grünen heute in rechten".
Posener weiter:
...was die Grünen besonders hassenswert macht: Sie sind sichtbar Partei einer Elite, wie die FDP, ... Was bei der FDP Hartschalenkoffer und Maßanzüge sind, das sind bei den Grünen Lastenräder und Biomärkte: Kennzeichen einer Lebensweise, die selbstbewusst anders ist. Übrigens haben FDPler und Grüne bei allen Differenzen einen ähnlichen Geschmack bei Wein und Käse, Laptops und Smartphones. Wie Oscar Wilde geben sie sich mit dem Besten zufrieden.
Freiheit allerdings können die Grünen nur als "wohlgeordnete" Freiheit denken. Der grüne Gesellschaftsvertrag bleibt auf einen vorpolitischen Vorgang angewiesen: auf Erziehung. Erst durch diese richtige politische Lebenseinstellung werden die Menschen auch gute Bürger.
Die Wahrscheinlichkeit einer Dreierkoalition
Was bedeutet das für die heutige Wahl? Sehr grob gesagt gilt: Frauen wählen die Grünen; Kinder wählen die Linken; ältere Männer wählen den Rest (siehe Umfragen hier und hier).
Je größer der Stimmenanteil der Linkspartei, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es nur für eine Dreierkoalition reicht. Also für möglichst kompliziertes Regieren.
Die Union will "niemals" mit der AfD zusammenarbeiten und brüskiert zugleich systematisch alle anderen potenziellen Partner. Grün hat Markus Söder ausgeschlossen. Umgekehrt hat Olaf Scholz eine Zusammenarbeit mit Merz ausgeschlossen. Für eine Minderheitsregierung ist aber Scholz in einer besseren Situation.