eBay: Wenn das Beten nicht mehr fruchtet

Mitarbeiter der Resterampe des Kapitalismus verstimmt über Arbeitsbedingungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

eBay hat wie nur wenige Unternehmen den Hype um den E-Commerce vom Ende des letzten Jahrhunderts bis in unsere Tage gerettet (vgl. AEG des Web). Dass die Resterampe des Kapitalismus nicht trotz, sondern wegen der Krise floriert - in Zeiten der Not wird Geiz halt immer geiler -, wurde dabei gern übersehen. Aber in letzter Zeit trüben andere Schönheitsfehler das Bild.

Nicht nur kratzen die Schlamperei und die Kriminalität mancher seiner Kunden am Lack des Unternehmens, nicht nur hat man Probleme mit Phising und Sicherheitslücken auf der eigenen Website - jetzt zeigen sich auch noch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unzufrieden.

Dabei könnte man auf die Idee kommen, dass es diese Mitarbeiter gar nicht gibt. Getreu der Devise, dass eBay nichts anderes ist als eine große virtuelle Lagerhalle, in der Gäste gegen eine Gebühr ihre Flohmarktgeschäfte machen, sind die Lagerhallenverwalter nur schwer zu erreichen, die Adressen von Ansprechpartnern tief im Gestrüpp der Website versteckt; mit persönlichem Kontakt hält man sich zurück. Sehr liberal, sehr kostensparend: schlanker kann Management kaum sein.

Aber natürlich ist es ein Mythos, dass diese Art von E-Commerce fast ohne Mitarbeiter auskommt, dass die Kunden und die Systeme gleichsam alles selber machen. Es gibt sie, diese Mitarbeiter, und seit neuestem schlagen sie Krach.

Bekannt wurde das dem breiteren Publikum Ende März durch Presseveröffentlichungen, die nicht nur über konkrete Einzelfälle berichteten, sondern auch über eine Website namens epay.tv, auf der sich Mitarbeiter anonym über ihre Situation austauschten und per Umfrage dokumentierten, dass die thematisierten Missstände wohl eher keine Ausnahmen waren.

Von Überwachung, Manipulation, Unterbezahlung, erzwungenen Überstunden und anderem war die Rede. Mitarbeiter würden genötigt, die Grundsätze der Firma auf einer Plakette immer bei sich zu tragen. Da der erste Grundsatz lautet: "Wir glauben, dass die Menschen gut sind", heißt der Text bei den Mitarbeitern das "Morgengebet".

Trotz dieses Glaubens an das Gute im Menschen werde der Arbeitsalltag lückenlos überwacht (u.a. durch eine Software namens Activity Manager).

Man werde als Angestellter bei eBay dazu genötigt, ständig privat an eBay-Auktionen teilzunehmen und bekomme es auch zu spüren, wenn man dieses erwünschte Freizeitengagement für den Umsatz der Firma vermissen lasse. Man duze sich von ganz oben bis ganz unten, harte Hierarchien seien natürlich dennoch allgegenwärtig, genauso wie die Wut über den Konformitätsdruck, der von all dem ausgehe.

Nun könnte man sagen, dass ohnehin nur eine geringe Chance darin besteht, das Grundproblem zu lösen, weil der Erfolg jedes handelsüblichen Unternehmens - nicht nur der von eBay - darauf beruht, möglichst viel Arbeitskraft abzuzapfen und möglichst wenig dafür zu zahlen. Das heißt nun einmal überall maschinelle und soziale Kontrolle, sei es nun durch Stechuhr und Firmenuniform oder durch Morgenhymne resp. Morgengebet und Activity Manager. Aber bei eBay schien ein Punkt erreicht, an dem diese normale Härte nicht mehr als normal hingenommen wurde.

Ende April dann die ganze Wahrheit, das volle Ausmaß des Terrors: einige Medien, darunter der Spiegel und IT-Infodienste wie golem.de berichteten, die Sache mit epay sei erstunken und erlogen, es handele sich dabei um eine abgekartete Strategie der Verdi-Gewerkschaft, resp. ihrer Medien- und IT-Abteilung connexx.av.

Hauptanklagepunkt: connexx.av habe epay kampagnenartig unterstützt, alles intrigante Gewerkschaftsmache, rote Infiltration. Der Spiegel enthüllte in einem knallhart recherchierten Artikel mit dem Titel "Der Schlachtplan der Verdi-Guerilla", die anscheinend nach dem Vorbild autonomer Al-Kaida-Zellen organisierte Terrorbande connexx.av habe so etwas Niederträchtiges wie einen Plan entwickelt - was in diesem Land offenbar niemand unter einem Monatsgehalt von 10.000 Euro tun darf.

Das brutale Ziel dieses von Rachsucht und Gemeinheit angetriebenen Plans war es offenbar, eBay etwas so Furchtbares wie einen Tarifvertrag aufzuzwingen. Zu der Frage, wie interne Unterlagen von connexx.av in die Hände des Focus resp. der Firmenleitung gelangten, ist bei epay.tv zu lesen:

Spätestens am 23. April gelangte die eBay Geschäftsführung in den Besitz interner Dokumente. Wie die Protokolle, Ideenpapiere und Konzepte an eBay gelangten, ist bis heute ungeklärt. Sicher ist jedoch, in der Nacht zuvor gab es einen Einbruch in eine Kreuzberger Agentur. Dort wurden zwei Laptops gestohlen, auf denen sich Kopien dieser Dokumente befanden.

Wohl sortierte Auszüge wurden am nächsten Morgen auf einer eilig einberufenen Mitarbeiterversammlung präsentiert, als Summary an alle Mitarbeiter verschickt und zusätzlich an die Wand gepinnt. Die Geschäftsleitung warnte alle Anwesenden vor Gesprächen mit Presse oder Gewerkschaft. Erwartungsgemäß stellte sich dieser Betriebsrat (der aktuell existierende, MH) gegen kritische Beschäftigte.

Gleichzeitig startete die Geschäftsführung zusammen mit dem internationalen PR Netzwerk Weber Shandwick eine Medienoffensive und behauptete sogar, ihre Informationen nur dem Focus entnommen zu haben.

Am meisten scheint die Hüter des Betriebsfriedens in den Medien und bei eBay erzürnt zu haben, dass die ansonsten hüftlahmen deutschen Gewerkschaften in diesem Fall etwas anderes anzubieten hatten als "Trillerpfeifen und DGB-Mützen" und damit auch Fuß gefasst haben in einem Unternehmen, das seine grundsätzlichen Konflikte gerne mit Morgengebeten regulieren würde.

Bis jetzt kann man aus der Auseinandersetzung folgende Lehren ziehen. Erstens, der schöne Schein von familiärer "corporate identity", von "innerbetrieblichen Leitbildern" und "Unternehmensphilosophien" ist im Arbeitsalltag und erst recht im Konfliktfall nichts wert. Zweitens, die Existenz eines Betriebsrats in einem Unternehmen ist noch lange keine Gewähr dafür, dass alles gut wird. Denn der existierende Betriebsrat bei eBay scheint sich eher als eine Pro-Forma-Institution zu verstehen, die nicht weiß, dass sie parteiisch zu sein hat - für die Beschäftigten. Das ist auch kein Wunder, wenn Betriebsratsmitglieder wie die zweite Vorsitzende Gaël Chardac von der Geschäftsleitung juristisch unter Druck gesetzt werden.

Drittens: Wenn sich die Beschäftigten in den Überresten der New Economy und anderer präkarisierter Branchen nicht organisiert um ihre Rechte kümmern, wird nichts aus diesen Rechten. Viertens, sie können Unterstützung von außen dabei gut gebrauchen. Sieht man sich die aktuelle Situation bei eBay und den derzeitigen Streik von Wiener Fahrradboten an, dann scheinen diese Lehren hier und da schon angekommen zu sein.