Brüderle: Regierung entschied bei der Atomwende nicht rational

Der Wirtschaftsminister der FDP sagte gegenüber Wirtschaftsbossen, dass das Atom-Moratorium ein Wahlkampfmanöver gewesen sei

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Nach Umfragen sind die Deutschen ganz realistisch und gehen mehr als Zweidrittel davon aus, dass die schnelle Kehrtwende in der Atompolitik von der Verlängerung der Laufzeiten zum Atom-Memorandum ein wahltaktisches Manöver war. Daher ist, was FDP-Wirtschaftsminister Brüderle den deutschen Industriebossen am Montag vor einer Woche nach Informationen der Süddeutschen Zeitung erklärte, nur eine Bestätigung dessen, was auf der Hand liegt.

Brüderle hatte, als die Kunde von dem am selben Tag beschlossenen Moratorium den Teilnehmern des Treffens bekannt wurde, diesen laut Protokoll erklärt, "dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien". Brüderle gab sich zudem weiter als Befürworter der Atomenergie zu erkennen.

Der Wirtschaftsminister, der auch noch Chef der rheinland-pfälzischen FDP ist, hat damit gute Wahlwerbung für Rot-Grün gemacht und vielleicht dafür gesorgt, dass die FDP in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht mehr in den Landtag kommt. Am Dienstag hatte Brüderle noch im DeutschlandRadio auf die Frage, ob das Moratorium nur ein politisches Signal sei, versichert: "Nein, es war schon eine Sicherheitsmaßnahme, weil wir ja nun grundlegende neue Faktoren mit einbeziehen müssen, die über die bisherigen Überlegungen hinausgehen."

Im Bundestag bestritt Brüderle, nachdem Gregor Gysi, der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, seine von der SZ veröffentlichten Äußerungen vorgelesen hatte, das Zitat und verwies darauf, dass der BDI bereits erklärt habe, es habe sich um einen Fehler im Protokoll gehandelt. Der BDI macht ganz offensichtlich mit in der Schmierenkomödie, um die schwarz-gelbe Koalition nicht zu gefährden, die die Laufzeitverklärung im Interesse der Atomkonzerne beschlossen hatte. Es könnte der Atomlobby und Schwarz-Gelb allerdings eher schaden, wenn BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf den Schulterschluss nur noch deutlicher macht, indem er ziemlich durchsichtig erklärt und dabei die zitierte Äußerung bestätigt: "Es liegt ein Protokollfehler vor. Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden." Weder Brüderle noch Schnappauf sagten allerdings, wie die Äußerung hätte "richtig" lauten sollen.

Der Schaden ist nun angerichtet, die Glaubwürdigkeit der Regierung und der Liberalen allen voran, ist noch einmal gesunken. Schon vor dem Bekanntwerden von Brüderles Bekenntnis zur puren Wahltaktik hatte Volker Kauden, der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in einem Interview mit der Bild-Zeitung Mühen, den Zick-Zack-Kurs der Regierung irgendwie verständlich zu machen.

Für Klaus Ernst hat Brüderle "die Katze aus dem Sack gelassen. Das Atommoratorium war ein betrügerisches Wahlkampfmanöver von Schwarz-Gelb." Er forderte Merkel dazu auf, dazu Stellung zu beziehen. Ulrich Kelber, der Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der SPD, macht gegenüber dem Handelsblatt über Brüderle lustig: "Narrenmund tut Wahrheit kund: Zuerst plaudert ein RWE-Vorstand über die Geheimverträge von Atomwirtschaft und Bundesregierung, jetzt gibt der Bundeswirtschaftsminister zu, dass das Atom-Moratorium nicht aus Einsicht erfolge, sondern dem Wahlkampf geschuldet ist. Offensichtlicher kann man Wahlbetrug nicht vorbereiten." Und natürlich freuen sich auch die Grünen über die unerwartete Wahlkampfhilfe durch den Liberalen.