Gesellschaftsvertrag? Oder doch eher Industriediktat?
Chemieindustrie-Vertreter fordert bessere Bedingungen für den Kraftwerksbau. Auch DIHK hält nicht viel von Energiewende und will weiter Kraftstoff verschwenden
Der Chef des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Klaus Engel, macht Druck für Netzausbau und Kraftwerksneubau. Laut Nachrichtenagentur Reuters fordert er von der Bundesregierung einen "Energiekoordinator" und klarere Rahmenbedingungen für "Investoren". Derzeit sei kein Investor bereit, Geld für neue Kraftwerke in einen derart politischen Markt bereitzustellen, zitiert ihn die Agentur. Engel ist übrigens auch Vorstandsvorsitzender der Evonik AG, die aus Ruhrkohle AG hervorgegangen ist und unter anderem 49 Prozent der Anteile an der Steag hält. Diese wiederum betreibt in Deutschland, der Türkei, auf den Philippinen und in Kolumbien Steinkohlekraftwerke.
Interessant an Engels Vorstoß ist zum einen der Neusprech, in dem dieser durchgeführt wird. Er greift nicht etwa die Energiewende an, sondern beklagt vermeintliches Chaos. Sodann erklärt er alle, die in Solaranlagen und Windkraftwerke investieren für Unpersonen. "Investor" scheint allein zu sein, wer ein neues (Kohle-)Kraftwerk hinsetzten will. Doch für derlei Investitionen hat sich das Klima in den letzten Jahren tatsächlich verschlechtert. Neue Kohlekraftwerke sind wegen ihres Ausstoßes an Treibhausgasen, Schwermetallen, Feinstaub, Quecksilber und Stickoxiden eine erhebliche Belastung für die Umwelt. Aber erfreulicher Weise - und offensichtlich zum Verdruss des Industrie-Lobbyisten - scheinen sie sich nicht mehr zu rechnen (siehe auch Kohlekraftwerk unwirtschaftlich?).
Angesichts der Kohleinteressen ist Engels Vorstoß also verständlich. Dass aber auch der VCI, für den er hauptsächlich sprach, seine Position deckt, ist offensichtlich allein mit rationalen Argumenten nicht zu erklären. Immerhin gehört die chemische Industrie zu den ganz großen Stromverbrauchern im Land und müsste daher zuletzt sehr von der Vergünstigung des Spitzenlaststroms profitiert haben, der wiederum eine Folge des starken Ausbaus der Solarenergie ist (siehe auch Gigantismus und Horror vacui). Wer aber mehr (Kohle)-Kraftwerke fordert, der muss zugleich eine Einschränkung des Ausbaus der erneuerbaren Energieträger verlangen, denn Kohlekraftwerke rechnen sich nur, wenn sie mindestens etwa 6000 von 8760 Stunden im Jahr laufen. Das lässt sich aber mit weiterer Zunahme des unregelmäßig anfallenden Stroms aus Windkraft- und Solaranlagen nur schwer vereinbaren.
Engel fordert gar "einen neuen Gesellschaftsvertrag zur Energieversorgung". Gemeint ist damit nämlich nicht etwa ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Um den haben sich Industrievertreter und Bundesregierung ja bekanntlich weder bei der seinerzeitigen Laufzeitverlängerung für AKW im Herbst 2010 gekümmert noch bei dem gerade erfolgten Kahlschlag bei der Solarenergie (noch besteht dort einige Hoffnung, dass der Bundesrat die schlimmsten Auswüchse des schwarz-gelben Amoklaufs ausbügeln kann). Beides waren und sind Projekte, die ganz eindeutig gegen den Willen einer großen Bevölkerungsmehrheit durchgezogen werden. Nein, mit "Gesellschaftsvertrag" meint Engel einfach, dass die Bundesregierung "gemeinsam mit der Industrie handeln" soll.
Von den alten Industriekonzernen ist also auch weiter in Sachen Umbau der Energieversorgung nichts zu erwarten. Diese wollen lieber so lange wie möglich an bestehenden Strukturen festhalten, auch wenn dies zur Potenzierung der Probleme führt. Das demonstriert auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, im Bild-Interview. Auf hohe Spritpreise, die ja schließlich auch ein Ausdruck ihrer Endlichkeit und abzeichnenden Verknappung sind, will er vor allem damit reagieren, dass der Staat den Kraftstoff auf anderem Wege billiger macht. Die Energiesteuern sollten gesenkt werden, fordert er, wenn die Preise für Kraftstoff langfristig so hoch wie derzeit bleiben.
Für einen Industriesprecher eine erstaunlich kurzsichtige Politik. Die Folge wären nicht nur neue Löcher in den öffentlichen Haushalten, sondern auch eine Vergrößerung des Problems. Niedrigere Preise würden nämlich tendenziell den Verbrauch hoch halten, damit die Verknappung beschleunigen und letztlich auch den Preisanstieg. Innerhalb kürzester Zeit würden sich die Mineralölkonzerne die entgangenen Staatseinnahmen abkassieren und die Verbraucher womöglich noch höhere Preise zahlen.