Katalonien stimmt bei plebiszitären Neuwahlen über Unabhängigkeit ab
Massiver Druck der Zivilgesellschaft brachte die beiden großen katalanischen Parteien dazu, am 27. September die Bevölkerung in Katalonien entscheiden zu lassen
Zwei Monate hat die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) mit den regierenden Christdemokraten (CiU) gerungen. Am späten Mittwoch einigte sich der ERC-Chef Oriol Junqueras nun mit dem katalanischen Ministerpräsident Artur Mas auf vorgezogene Neuwahlen, um die Bevölkerungen legal und mit allen Garantien in plebiszitären Wahlen über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen zu lassen. Mehrfach hatte die spanische Regierung sogar unverbindliche Volksbefragung verbieten lassen. Die Schotten konnten hingegen sogar verbindlich im vergangenen Jahr über die Unabhängigkeit von Großbritannien entscheiden. Schotten und Briten hatten sich auf den Vorgang geeinigt. Spanien verweigert jeden Dialog darüber und reagiert mit Verboten und Repression. Die konservative Regierung wird dabei auch von den Sozialdemokraten unterstützt.
Die Einheit in Katalonien hat deshalb einen besonderen Stellenwert. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Òmnium Cultural, die Millionen für "Katalonien als neuen Staat inEuropa" mobilisieren können, hatten mit massivem Druck von Mas und Junqueras gefordert, ihre Parteiinteressen zurückzustellen. Nach einer fast fünfstündigen Sitzung, an der auch die ANC-Präsidentin Chefin Carme Forcadell und die Òmnium-Chefin Muriel Casals in Barcelona teilnahmen, trat Mas am späten Abend vor die Presse. Er erklärte, vorgezogene plebiszitäre Neuwahlen seien "der einzige Weg", um die Katalanen entscheiden zu lassen. Sie werden am kommenden 27. September stattfinden.
"Der Einheitspakt, um den Souveränitätsprozess zum Sieg zu führen, wurde wiederhergestellt", erklärte Mas. Der Wahlkampf werde am 11. September beginnen, dem Nationalfeiertag der Katalanen. An diesem Tag bildeten zuletzt fast zwei Millionen Menschen in Barcelonas Zentrum mit ihren Körpern ein riesiges "V" über elf Kilometer in den Nationalfarben. Es steht unter anderem für "Votar" (Abstimmen), "Victòria" (Sieg), "Voluntat" (Willen) und für "Vía Catalana" (Katalanischer Weg).
Streit gab es darüber, dass Mas eine "Einheitsliste für die Unabhängigkeit" zur Bedingung für Neuwahlen gemacht hatte. Die ERC wollte zudem schnell abstimmen, muss nun aber neun Monate ausharren. Dafür könnte sie in der neuen Regierung den Ministerpräsidenten stellen, da sie bei den Europaparlamentswahlen zuletzt erstmals stärkste Kraft wurde. Die Linke vermutete deshalb, die CiU versuche über eine Einheitsliste ihren Verluste zu verschleiern und wolle so weiter am Steuer bleiben. Die Linke setzte sich aber durch. Nun wird auf eigenen Listen mit einem gemeinsamen Programmpunkt "Unabhängigkeit" kandidiert. Klar war längst, dass die Linksradikale CUP "niemals" auf einer Liste mit der CiU antreten werde. Sie ist der vehementeste Verfechter der Eigenständigkeit.
Für die Christdemokraten wurde das Zugeständnis leichter, da Mas trotz des Verbots die Volksbefragung am vergangenen 9. November durchgeführt hat. Da er dafür von Spanien nun sogar angeklagt wurde, brachte ihm große Sympathie zurück. An dem "Partizipationsprozess der Bürger" hatten sich gut 2,3 Millionen der etwa 5,5 Millionen Wahlberechtigten beteiligt. 81 Prozent hatte sich für die Unabhängigkeit von Spanien ausgesprochen. Mas sicherte sich im Gegenzug aber die Zustimmung der ERC für seinen umstrittenen Haushalt.
Noch ist unklar, ob die Linken nun auch in die Regierung eintreten. Seit den Wahlen Ende 2012 stützen sie die CiU-Minderheitsregierung. Für Junqueras muss nach den Wahlen eine "Legislaturperiode mit konstituierendem Charakter" beginnen. Die Unabhängigkeit soll Katalonien demnach schon im nächsten Jahr erreichen.
Aus Spanien hagelt es Kritik. Erstaunlich ist die Bewertung von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Er spricht davon, dass damit das "Scheitern" von Mas deutlich werde. Dabei hat seine rechte Volkspartei (PP) wie die Sozialdemokraten derart in der Wählergunst verloren, dass die neue Empörten-Partei Podemos (Wir können es) sogar die Wahlen wie Syriza in Griechenland gewinnen soll. Mas wolle den Katalanen einen Wahlkampf über acht Monate bescheren. Die Sozialdemokraten sprechen von einer "Tragödie", die zu neuen "Spannungen zwischen Katalonien und Spanien" führen werde. Podemos, die grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen verteidigt, hält es hingegen für eine "ausgezeichnete Nachricht", dass die Wahlen vorgezogen werden, um die Christdemokraten aus der Regierung werfen zu können.