Lieferengpässe: Wo bleibt der Impstoff?
In Berlin und andernorts müssen Impfwillige warten. Linke und Liberale fordern Massenproduktion, Gesundheitsminister wiegelt ab. Ein Kommentar
Einmal, ein einziges Mal ist in Berlin eine Baustelle rechtzeitig fertig geworden. Als am 27. der Startschuss zur bundesweiten Impfkampagne fiel, war die Bundeshauptstadt tatsächlich gerüstet.
Die Impfzentren standen, Impfteams waren gebildet, die Alten- und Pflegeheime hatten rechtzeitig für Einverständniserklärungen gesorgt und Listen von Impfwilligen zusammengestellt. Und die Impfbereitschaft unter den Heimbewohnern und -mitarbeitern ist hoch. Anders übrigens als in einigen anderen Bundesländern.
Doch nun stockt es schon wieder, und das Problem liegt diesmal nicht im üblichen Kompetenzwirrwarr an der Spree. Verbockt hat es das Spahn-Ministerium oder das ihm unterstellte Beschaffungswesen, das ja unbedingt militarisiert werden musste.
Schließlich ist die Pandemie auch eine gute Gelegenheit, um die Bevölkerung an den von den Autoren des Grundgesetzes eigentlich nicht gewollten Einsatz der Bundeswehr im Inland zu gewöhnen. Deshalb müssen Soldaten ja jetzt auch unbedingt in Kampfmontur mit der Bahn fahren.
Markt oder Vorsorge
Jedenfalls hat der Markt es offensichtlich mal wieder nicht gerichtet. Wie auch. Gegen eine Pandemie würde Vorsorge, Lagerhaltung, wohlüberlegte Forschungspolitik und Planung helfen.
Und das Gerede vom freien Markt ist ohnehin nur etwas für die Gutgläubigen. Im Hintergrund hat die Bundesregierung immerhin dafür gesorgt, dass großzügig Mittel für die Entwicklung eines Impfstoffs zur Verfügung gestellt wurden.
Natürlich hätte die entsprechende Forschung und Entwicklung auch an einem öffentlichen Hochschulinstitut stattfinden können. Die diversen Pharmaunternehmen hätten schon im Frühjahr angehalten werden können, entsprechende Produktionskapazitäten vorzubereiten.
Technisch ist das sicherlich nicht ganz einfach und hätte unter anderem Kommunikation zwischen den Betrieben und den Entwicklern erfordert. Doch unmöglich sollte dies nicht sein. Nur ist es eben in einer Kultur der Konkurrenz und der Betriebsgeheimnisse eine besondere Herausforderung.
Für Anhänger des freien Marktes grenzt derlei aber an Sozialismus. Immerhin haben sie die freie wirtschaftliche Konkurrenz als eines der vornehmsten Ziele in die verfassungsähnlichen Grundlagendokumente der EU, in die Lissaboner Verträge, geschrieben.
Es sind also neben den handfesten Gewinninteressen der Hersteller auch ideologische Barrieren, die einer raschen Versorgung der Bevölkerung mit dem Impfstoff im Wege stehen.
Forderung nach Lizenz-Freigabe
Nun könnte man, wie es FDP und Linkspartei machen, fordern, dass zumindest die Lizenzen freigegeben werden. Dass also Biontech verpflichtet wird, anderen Pharmaherstellern das Rezept zu verraten und diese, die Impfstoff-Produktion ebenfalls in möglichst großen Mengen hochzufahren.
Für Anhänger der reinen neoliberalen Lehre ist derlei jedoch Teufelswerk, und man muss wohl nun die Exkommunizierung der FDP befürchten. Jedenfalls kam vom Gesundheitsminister Jens Spahn, dem großen Freund der Krankenhaus-Privatisierungen und -Schließungen, postwendend eine abwehrende Reaktion.
Im Gegensatz dazu erwägt selbst der bisher nicht gerade für linke Sozialpolitik bekannte künftige US-Präsident Joe Biden, schon bald nach Amtsantritt entsprechende Verfügungen zu unterschreiben. Sowohl in den USA als auch hierzulande ist derlei nämlich gesetzlich in Notsituationen durchaus vorgesehen.
Der Süden wird abgehängt
Eines ist jedenfalls klar: Während Israel zum Beispiel schon im Februar voraussichtlich alle Impfwilligen versorgt haben wird, wird es hierzulande im jetzigen Tempo bis Ende 2021 oder länger dauern.
In vielen Ländern des Südens sieht es sogar noch schlimmer aus, denn die reichen Länder haben sich, wie unter anderem der US-Sender CNN berichtet, den Löwenanteil der Impfstoffproduktion gesichert.
Doch damit wird sich der Norden ins eigene Knie schießen, denn die Pandemie ist letztlich ein globales Problem, wie ihre schnelle Ausbreitung Anfang 2020 gezeigt hat. Ist nicht ein ausreichender Teil der Weltbevölkerung – sicherlich deutlich über 50 Prozent – geimpft, wird die Pandemie nicht zum Erliegen und die Weltwirtschaft nicht aus ihrem Tal heraus kommen.
Jede Verzögerung wird zusätzliche Menschenleben fordern. Außerdem wächst die Gefahr, wie der SPD-Gesundheitsexperte und Virologe Karl Lauterbach anmerkt, dass neue Mutationen auftreten, gegen die die bisher entwickelten Impfstoffe unwirksam sind.
Grüne an Spahns Seite
Schützenhilfe bekommt Jens Spahn derweil von den Grünen, die uns im oben verlinkten Spiegel-Beitrag belehren, dass Impfstoffe etwas anderes als Zahnstocher sind und es um die "Herstellung von hochkomplexen Arzneien" gehe. Wer hätte das gedacht.
Spahn meint, ähnlich argumentierend, andere Unternehmen könnten nicht mal eben binnen vier Wochen die Herstellung übernehmen. Das mag sein. Doch warum hat er sich dann nicht frühzeitig darum gekümmert.
Man hätte doch schon im Sommer die in Frage kommenden Unternehmen dazu verpflichten können, bei der Entwicklung und Herstellung zusammenzuarbeiten.
Der Markt hat es nämlich nicht gerichtet. Mal wieder nicht.