Wikipedia Edit-Wars
Forscher der Universität Oxford zeigen, was die umstrittensten Themen bei Wikipedia sind
Was früher der Griff zum Brockhaus war, ist heute der Klick bei Wikipedia. Das 2001 gegründete Online-Lexikon steht auf Platz sechs der weltweit am häufigsten besuchten Internetseiten; derzeit gibt es über 30 Millionen Artikel in rund 280 unterschiedlichen Sprachen.
Wo es um Informationen geht, sind Meinungsverschiedenheiten nicht weit. Der Big Data Forscher Taha Yasseri und sein Team von der Universität Oxford haben in einer komplexen Studie untersucht, welche Themen bei Wikipedia zu den umstrittensten gehören. Ihre Ergebnisse haben sie nun in einem Vorabdruck veröffentlicht.
Wenn ein Nutzer einen Artikel auf Wikipedia ändert, muss ein vorher gewählter Administrator diese Veränderung sichten und freischalten. Manchmal aber verwirft der Administrator die Änderung des Nutzers und stellt die vorherige Version des Artikels wieder her. Das Ganze kann zu einem Hickhack aus Änderungen und Revisionen führen – ein sogenannter Edit-War: "Edit-War" (Bearbeitungskrieg) entbrennt um den betreffenden Artikel. Genau diese Edit-Wars haben die Forscher anhand der Daten vom März 2010 unter die Lupe genommen, um die brisantesten Themen herauszufinden. Die Forscher arbeiteten unter anderem mit MD5-Alghorithmen, um jede Änderung verfolgen zu können. Untersucht wurden die Wikipedia-Lexika in zehn verschiedenen Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch, Arabisch, Persisch, Tschechisch, Ungarisch, Rumänisch und Hebräisch.
Erwartungsgemäß ist der Artikel "Gott" weitaus umstrittener als die Artikel über Kokosnüsse oder Waschmaschinen. Die Top Ten der weltweit am heftigsten diskutierten Themen lauten: Israel, Adolf Hitler, Holocaust, Gott, Atheismus, Europa, Evolution, Jesus, Islam und Mohammed. Auf den folgenden Plätzen finden sich unter anderem Barack Obama, Abtreibung, Kosovo, Astrologie, Google, die Simpsons und Faschismus.
Die zentralen Konfliktthemen sind rund um den Globus politischer (25 Prozent), geographischer (17 Prozent) und religiöser Natur (15 Prozent). Dennoch zeigen einige Themen einen deutlich lokalen Einschlag, wie etwa in der spanischsprachigen Wikipedia Themen zu Fußballclubs (FC Barcelona auf Platz 7), im Tschechischen zu Sex und Gender (Homosexualität auf Platz 1) und im Ungarischen zu dortigen politischen Konflikten ("Gypsy Crime" auf Platz 1).
Die englischsprachige Top Ten lauten: George W. Bush, Anarchism, Muhammad, List of World Wrestling Entertainment, Inc. employees, Global Warming, Circumcision, United States, Jesus, Race and intelligence und Christianity.
Die umstrittensten Themen in Deutschland sind Kroatien, Scientology, Verschwörungstheorien zum 11. September, Studentenverbindung/Burschenschaft, Homöopathie, Adolf Hitler, Jesus, Hugo Cháves, Mindestlohn und Rudolf Steiner.
Die Edit-Wars bei Wikipedia bieten einen interessanten Einblick in gesellschaftspolitische Debatten und zeigen, was die Menschen bewegt. Allerdings sollte man das digitale Online-Lexikon nicht eins zu eins zum Maßstab der analogen Lebenswirklichkeit nehmen: In Deutschland zum Beispiel sind 88 Prozent der Wikipedianer männlich und 50 Prozent leben als Single, das Durchschnittsalter liegt bei 33 Jahren. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hält zudem fest, dass die Hälfte aller Wikipedia-Beiträge von lediglich 2,5 Prozent der Nutzer stammt.
Die selbsternannte "freie Enzyklopädie" Wikipedia bietet einen enormen Fundus des menschlichen Wissens – wertneutral und frei von persönlichen Meinungen ist das Nachschlagewerk aber nicht.