Wie sich Meinungsbildner Fremdenfeindlichkeit erklären

Einfache Erklärungs- und Konfrontationsmuster: Antirassistischer Protest in Köln. Bild: Elke Wetzig, CC BY-SA 4.0

Zahlreiche Analyseversuche füllen die Fachdebatte. Sie verfehlen leider ihr Thema. (Teil 3)

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Teil 1: Dichtung und Wahrheit über ein Septembermärchen
Teil 2: Wie Befürworter der "Willkommenskultur" gegen Fremdenfeindlichkeit argumentieren

Ein linker Autor, Werner Seppmann, fasst das Problem mit der xenophoben Hartnäckigkeit, durchaus stellvertretend für ein breiteres Meinungsspektrum, wie folgt zusammen: "Was eine gesellschaftliche Linke am Aufstieg einer rechten Bewegung in der Bundesrepublik vorrangig interessieren muss, ist die Frage, warum so viele "sozial Schwache" zum Rechtspopulismus tendieren (genannt werden 36 Prozent); aber auch Gewerkschafter (nämlich 24 Prozent) bereit sind, bei Wahlen der AfD ihre Stimme zu geben."

Das ist tatsächlich klärungsbedürftig. Hierzu liegen allerdings schiefe politische oder akademische Erklärungsansätze vor, von denen ein paar kritisiert werden sollen.

In der Regel nehmen sie den falschen Weg ins menschliche Seelenleben, womit der zitierte Autor leider gleich selbst anfängt:

In Situationen sozialer Verunsicherung und Perspektivlosigkeit haben Menschen ein gesteigertes Bedürfnis nach "Welterklärungen". (…) Die rechte Gesinnung fungiert für die psychisch und mental Angegriffenen, wenn auch in pervertierter Form, (…) als individualpsychischer "Rettungsanker"

(ebd.)

Einmal abgesehen davon, was hier "pervertiert" und "mental angegriffen" heißen soll, fragt es sich, warum die "Verunsicherten" ausgerechnet diesen "psychischen Anker" wählen. Sie könnten sich schließlich auch eine gelbe Weste überziehen und ziemlich rabiat die Änderung staatlicher Maßnahmen verlangen, die Linkspartei wählen, zur SPD zurückkehren etc. Warum liegt für den Autor die "rechte Gesinnung" als "Welterklärung" eigentlich so nahe?

Auch an andere psychoanalytische Deutungen des fremdenfeindlichen und rechtspopulistischen Phänomens ist diese Frage zu stellen. "Warum rechts so verlockend ist", erklären Leute vom Fach sehr inhaltsleer, dafür tautologisch so, dass "vorsätzlich die grundlegenden Motivationen und Denkweisen von Menschen adressiert (werden), die tief in deren Persönlichkeit und Haltung verwurzelt sind"1.

Rechtspopulismus und Eros bzw. Landleben

Kollegen sehen nähere Gründe der Xenophobie im defekten Eros, der, gleich der "sozialen Verunsicherung", ebenfalls einen unerfindlichen, der Seelentiefe entstammenden Rechtsdrall erzeugen soll: "Studie zeigt, AfD-Wähler sind liebesfrustriert: (…) Ihre Wut stamme nicht daher, dass ihnen Vertreter anderer Kulturen oder Flüchtlinge Unrecht angetan hätten, sondern aus ihren eigenen Beziehungsdefiziten, die sie aggressiv ausagierten."2Das "nicht daher" stimmt sicher, das "sondern" führt in die Irre.

Kompatibel dazu verläuft eine Sündenbock-Theorie, die bemüht ist, eine angeblich angstgesteuerte psychische Rechtswende aus der "Ökonomie" oder aus dem ‚"Neoliberalismus" abzuleiten, der dafür firmiert. Die Rezension eines sozialpsychologischen Buchs3 fasst das so zusammen:

Die Demontage des Sozialstaates im Namen des Neoliberalismus steigere den Angst- und Panikpegel rapide, konstatiert Eisenberg. "Die gesellschaftliche Atmosphäre reichert sich mit Spannungen und Aggressionen an und es wächst das Bedürfnis der Menschen nach Sündenböcken, auf die sich ihre Malaise verschieben lässt." Als solche würden dem verängstigten Kleinbürger Flüchtlinge und Migranten hingestellt. (…) Der Rechtspopulismus organisiere und funktionalisiere die "über den ökonomischen Prozess freigesetzten Ängste".

Warum suchen sich die "Ängste" oder auch der "Beziehungsfrust" dann bloß so zielsicher die Fremden aus, um ihrerseits dann diese in Furcht und Schrecken zu versetzen? "Erklärt" wird das nur zum Schein. Und wenn man schon auf der Suche nach tiefen Gründe ist, lassen sie sich schließlich auch noch in der frühen Lebensphase verorten, denn wie so ziemlich alles Menschliche wird der "Rechtsextremismus in der Kindheit vorbereitet"4 - als ob die Erziehung determinierend wäre und nicht durch den Kopf und den Willen der Heranwachsenden hindurchmüsste.

Die Prätention von Erklärung trägt sich auch in akademischen Sentenzen dieser Art vor: "Das Vordringen neurechter Ideen bis in die Mitte der Gesellschaft (lässt sich) auch als eine Rebellion des Provinziellen gegen das Urbane verstehen. (...) Auf dem ‚Identitären‘ zu beharren, ist dann eine gleichsam physiologische Reaktion der Erschöpften und Ermatteten, die das Tempo der modernen Welt nicht mitgehen können oder wollen."5

Wie darf man diese eher dichterische Einlassung verstehen? Dass in Gestalt des "Neurechten" nicht nur der Frustrierte und Verängstigte, sondern "auch" der Landmann gegen den Städter aufmuckt? "Gleichsam" körperlich, obwohl "ermattet"? Dass "das Tempo der modernen Welt" mehr den Provinzler "erschöpft" als den gestressten Urbanen? Ist Chemnitz denn ein Dorf?

Ein gelernter Biologe, Markus C. Schulte von Drach, dringt zum Thema sogar ins Archaische vor: "Der Mensch bleibt dem Menschen ein Wolf", titelt er – und zwar nicht mit dem Resultat, das die Überschrift erwarten ließe, nämlich die Xenophobie in unserer DNA als leider allzu menschlich abzunicken, sondern um dies perspektivisch zu wenden:

Ihren Ursprung findet die gegenwärtige Entwicklung in zwei archaischen menschlichen Neigungen: Fremden zu misstrauen und dem Bedürfnis, sich in Gruppen zusammenzuschließen. (…) Unter unseren Vorfahren haben diejenigen häufiger überlebt, die eher einmal zu oft als einmal zu wenig vorsichtig waren. Misstrauen gegenüber Fremden ist eine evolutionäre Anpassung.

Aber so, wie der Mensch als Mitmensch ein Wolf, als Staats- bzw. Gruppen-Mensch zugleich das glatte Gegenteil davon sein soll, hat die Evolution - wie auch immer - parallel zum Misstrauen die Vertrauensbildung gesetzt: "Weltweit haben Menschen deshalb zum Beispiel Rituale entwickelt, die es Fremden leichter machen, Kontakt aufzunehmen." Kurz: Xenophobie ist so natürlich wie nur was, muss aber nicht sein, woraus die lösbare Aufgabe erwächst, den Wolf am Schlafen zu halten.