Was rechten Willkommensgegnern zu sagen wäre

Viele können sich Mieten dort nicht leisten, wo sie Geld verdienen müssen. Bild: Pixabay

Zum politischen Gehalt der Fremdenfeindlichkeit: Deutung der Konkurrenzgesellschaft als Gemeinschaftswerk (Teil 4)

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Teil 1: Dichtung und Wahrheit über ein Septembermärchen
Teil 2: Wie Befürworter der "Willkommenskultur" gegen Fremdenfeindlichkeit argumentieren
Teil 3: Wie sich Meinungsbildner Fremdenfeindlichkeit erklären

Vielleicht kann es helfen, sich den angeblich genuinen Drang nach sozialem Schutz in der wortarmen Sprache der unteren Schichten einmal im Original anzuschauen und dabei zu prüfen, was man dazu anstelle der besorgten Interpretationen zu sagen hätte - und zwar den nationalistischen Prekariern genauso wie den xenophoben Facharbeitern, Kleinbürgern und Selbstständigen mit "Abstiegsangst", ihren öffentlichen Fürsprechern oder sonst wem.

Nicht dass aus diesem Personenkreis Diskurspartner der Wahl kämen, aber wenn schon Argumente, dann wenigstens richtige, also solche, die die vaterländischen Sprüche als politische Urteile kritisieren.

Ein solcher wäre "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma!" (NPD-Plakatserie "Heimat verteidigen"), eine gereimte, metaphorische und mit Absicht "politisch unkorrekte" Fassung des verbreiteten Vorwurfs, Migranten würden "unsere Sozialsysteme" unterwandern und plündern.

Der Vorwurf behandelt zunächst und sachlich falsch zwei oder mehrere inkommensurable Größen als voneinander abhängig. Rentenzahlungen und die modernen Formen der Armenpflege haben ihren jeweils spezifischen Zweck, ihre eigene staatliche Organisationsform und Kasse.

Die Rente verdankt sich der Tatsache, dass ein normaler Arbeitslohn ohne staatliche Dazwischenkunft keine Vorsorge für das Alter hergibt. Die Sozialhilfe belegt, dass selbst ein Normaleinkommen für viele unerreichbar ist. Berechtigungen zum Bezug der jeweiligen Zahlungen sind detailliert geregelt und limitiert; von Plündern zu reden, ist da abwegig.

Es trifft also nicht zu, dass Sozialleistungen z.B. an rumänische Staatsbürger im Rahmen der europäischen Freizügigkeit aus dem Topf für deutsche Rentenbezieher entnommen würden. Auch wurde die Lebensarbeitszeit - begleitet von üblichem folgenlosem Murren - nicht beginnend 2012 verlängert, damit ab 2015 die Flüchtlinge hereinströmen können. Das kann jeder Fremdenkritiker im Übrigen in der Zeitung lesen, und er weiß letztlich selbst, dass die Plausibilität seiner Beschwerde nicht ihrer Faktizität entstammt. Er imaginiert sich vielmehr die Sozialsysteme als Gemeinschaftskasse zu dem Zweck, einen ausschließenden Anspruch der Deutschen darauf zu erheben.

Und auch bei der Idee vom gemeinsamen Topf ist dem Beschwerdeführer nicht unbekannt, was für eine Streiterei hier normalerweise unter seinen Landsleuten am Stammtisch entbrennt. Der Sozialstaat hat die gesetzliche Altersversorgung schließlich als eine Konkurrenz zwischen Jung und Alt um zwangsweise erhobene Beiträge und schmal bemessene Leistungen organisiert, sodass die einen dauernd klagen, sie müssten zu viel dafür zahlen, und die anderen, sie würden zu wenig davon bekommen.

Nur im Verhältnis zu Ausländern wird dieser objektive Gegensatz mit seinen subjektiven Querelen zum Gemeinschaftsprojekt veredelt und gewinnt seine Schönheit folgerichtig nicht durch die Forderung nach besseren Renten, sondern durch die eingeklagte Schlechterstellung der beschuldigten Fremden. Die "genuine Besorgnis" ist also ein nationalistisches Abstandsgebot, eine schäbige, gemeine und insofern bezeichnende Idealisierung der Abhängigkeit, in der ein Untertan in den Verhältnissen steht, die ihm seine Herrschaft eingebrockt hat. Die unterschreibt und bekräftigt er, indem er sie ausländerfeindlich politisiert und in ihrem Namen fordernd wird.

Arbeiten und Wohnen

Die national gestrickte Logik wiederholt sich in der Forderung nach Arbeitsplätzen oder Mietwohnungen, bei denen "Deutsche" den Vortritt oder das Monopol haben sollen. Auch hier wissen die Klageführer, dass alle Montagehallen, Büros oder Wohnräume einen gesetzlich klar definierten Eigentümer haben, der die von diesem Eigentum Abhängigen nach Bedarf als Lohnempfänger benutzt oder, so zahlungskräftig, als Mietzahler behaust.

Dabei ist ebenso klar, dass nicht jeder Arbeitnehmer einen Arbeitgeber findet oder dass die Bereitschaft, ein Drittel und mehr des Einkommens für Miete auszugeben, noch kein Dach über dem Kopf verbürgt, dass viele sich die Mieten dort nicht leisten können, wo sie ihr Geld dafür verdienen müssen usw. Es handelt sich eben nicht um ein "kollektives" "deutsches", sondern um ein exklusives und in der Regel privates Eigentum, das die Lebensbedingungen von Lohnabhängigen mit und ohne Arbeitsstelle bestimmt.

Um dessen verschiedene Weisen, sich als Produktiv- oder Immobilien-Kapital an ihnen zu bereichern, müssen sie gegeneinander konkurrieren.

Auch diese Zustände akzeptieren die Nationalisten als "die Realität", als den Lebensraum ihrer Bewährung - mit einer Einschränkung: Das armselige Recht auf Konkurrenz wollen sie für ihresgleichen reserviert sehen. Dann können sie dem unternehmerischen Druck auf die Löhne "wie früher ohne Ausländer" - wann immer das gewesen sein soll - ganz unter sich nachkommen und ihren Wirtshausstreit darüber austragen, wer mehr verdient, als er verdient, sich eine Gunst des Vorgesetzten erschleimt oder sich bei der Beförderung vorgedrängt hat.

Dann sind es auch statt zwei Dutzend "gemischtländische" nur noch 21 "rein deutsche" Bewerber, die beim Besichtigungstermin die Ellenbogen spreizen, um eine Einheit ihres Gemeinschaftswerks Wohnen zu ergattern. So holen sie sich offenbar "ihr Land zurück" (Gauland).

Die Corona-Krise fügt den Schönheiten des nationalen Erwerbslebens übrigens noch eine Lektion hinzu, die der Autor Peter Decker hier so beschrieb (Die elende Sehnsucht nach "Normalität"):

Der Ausnahmefall [wirft] ein Licht auf die Existenz- und Überlebensbedingung, die den erwerbsbürgerlichen Alltag so unbedingt beherrscht, dass man ihre Gemeinheit aus lauter Gewohnheit schon gar nicht mehr bemerkt: Das ganze Leben hängt vom Geld ab, das Geld von der Chance, es zu verdienen, und diese Chance von Voraussetzungen, die eines auf jeden Fall nicht sind, nämlich im Griff derer, deren Existenz davon abhängt. [Die Corona-Krise zeigt,] wie wenig dazu gehört, damit aus dem gewohnten "von der Hand in den Mund"-Leben die Katastrophe bürgerlicher Existenzunfähigkeit wird. Innerhalb von Tagen - ohne Staatshilfe - oder Wochen - mit Sozialstaat - gerät vom Wohnen bis zum Essen alles in Gefahr.

Noch ein Grund, die nationalistischen Deutung des Kapitalismus als Heimat besser sein zu lassen.

Weitere Vorrechte

Wenn Fremdenfeinde behaupten und beweisen wollen "Flüchtlinge "seien" deutlich krimineller als Durchschnittsdeutsche"1, folgen sie gleichfalls ihrem nationalisierten Verstand. Sie würden es empört zurückweisen, wollte jemand ermitteln, welcher Anteil an Beziehungs- oder Sexualdelikten z.B. auf Rheinländer oder Protestanten entfällt, um dann die Diskriminierung der Gruppe und die Abschiebung der Delinquenten zu fordern.

Im Verhältnis zu "Ausländern" verlieren die Straftaten ihre Besonderheiten, und die Eifersuchtstat eines afghanischen Asylanten wird zum "Verbrechen gegen uns Deutsche", das auf den fremdländischen Menschentyp zurückgehen und eine Kollektivschuld begründen soll.

Was die rechtspopulistische Gesamtklage angeht, wonach die Deutschen sich nichts leisten können und die Ausländer alles kriegen - "‚Wir können uns nicht einmal ein Stück Kleidung leisten und die bekommen alles‘, ärgert sich Karin Ohse aus Brandenburg über Flüchtlinge"2 -, so sei erstens auf den Volkssport verwiesen, andauernd auch eigene Landsleute zu identifizieren, die angeblich in der sozialen Hängematte liegen und sich Sozialleistungen erschleichen.

Zweitens kann ein maßgeblicher Teil der Deutschen sich über Steuergeschenke, Subventionen u.Ä. nicht beklagen.

Drittens aber und im Fall, die Beschwerdeführer hätten Recht, würden sie bei Merkels "Volksaustausch", der sie angeblich selbst zu Fremden macht, eventuell so schlecht nicht fahren, wenn sie im neuen Status dann doch "alles kriegen" …

Das imaginierte Vorrecht der Deutschen im marktwirtschaftlichen Verdrängungswettbewerb und Alltagsleben wird konsequent pampig gegenüber etablierten Politiker und Medien eingefordert. Denn die tragen in weiterer Ausgestaltung der Legende vom bedrohten Vaterland vornehmlich die Schuld daran, dass Deutschland sich abschafft und den Deutschen die Heimat abhandenkommt.
Den neurechten Wortführern dieser Klage wird oft vorgehalten3, "mit einfachen Gesellschaftsbildern" zu operieren und "die Komplexität unserer Welt scharf" zu reduzieren. Dabei sind die verwendeten Bilder reichlich "komplex": "Merkel begründet (die Zuwanderung) mit ‚humanitären Verpflichtungen‘. Verpflichtungen gegenüber der Zukunft des eigenen Volkes sind ihr unbekannt. Sie lockt damit hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland."4

Dazu passe die Auffassung, "dass Gesellschaft ohne Familie funktionieren kann oder dass jeder zu einem Deutschen wird, sobald er die Landesgrenze überschritten hat", so die AfD-Strömung "Der Flügel".
"Und was macht die Bundeswehr? Sie dient in der ganzen Welt fremden Interessen, während die hiergebliebenen Soldaten ihre Kasernen für Asylsuchende räumen und Toiletten reparieren." (ebd.)