Die Balkanroute: wilde Camps, Polizeigewalt und brutale Pushbacks

Camp von circa 60 Familien aus Afghanistan in Velika Kladusa. Bild: Ina Zeuch

Die Flucht über die Länder des ehemaligen Jugoslawiens bleibt gefährlich. Eine zentrale Rolle spielt die EU-Grenzschutzbehörde Frontex und ein ehemaliger österreichischer Bundeskanzler

"Ins Game gehen", so nennen die Geflüchteten ihre riskante Reise, wenn sie zu Fuß über die Grenze von Bosnien nach Kroatien aufbrechen. Wer dabei geschnappt wird, erleidet traumatisierende Gewalt. Viele Geflüchtete erzählen davon, wie sie brutal zusammengeschlagen wurden.

Sie kehren mit nichts außer ihren Kleidern am Leib zurück. Rucksäcke und alle ihre Wertsachen und ihr Geld, das sie sich für ihre Flucht besorgt haben, werden ihnen abgenommen. Vor allem werden ihre Handys vor ihren Augen mit Fußtritten zerstört.

Der kroatische Innenminister Vlaho Orepić dazu in einem Interview mit der Deutschen Welle im Februar 2017:"Die Balkanroute ist formell geschlossen. Was jetzt an den Grenzen außerhalb des Schengener Raums geschieht, sind illegale und kriminelle Handlungen, das ist Menschenschmuggel. Das hat nichts mit der Flüchtlingsproblematik zu tun."

Die Balkanroute (12 Bilder)

Unterschlupf von Geflüchteten in einem leerstehenden Haus im Wald bei Velika Kladusa. Bild: Ina Zeuch

Das war eine Steilvorlage auch für die bosnische Polizei, um Menschen auf der Flucht wie Kriminelle zu behandeln, was vom kroatischen Innenminister als "gute und saubere Arbeit" bezeichnet wird: "Ich habe die Nachbarländer besucht, denn nur durch gute Zusammenarbeit kann man die illegalen Prozesse effektiv bekämpfen.

Es ist wichtig, diesen Prozessen entgegenzuwirken. Dass kann man am besten durch gute und saubere Arbeit an den Grenzen sowie durch die konsequente Abschiebung der Personen, die illegal die Grenze überquert haben", so der Vlaho Orepić weiter im Interview.

In Velika Kladusa – nur wenige Kilometer von der bosnisch-kroatischen Grenze entfernt – kampierten im September 2021 etwa 300 afghanische Geflüchtete auf einer Wiese entlang eines Maisfeldes, darunter viele Familien mit etwa 60 Kindern von einem Jahr sowie ältere Kinder, Jungen und Mädchen zwischen sechs und 13 Jahren.

Von Rahma (حْمَة, arabisches Wort für Barmherzigkeit), einer bosnischen Graswurzelorganisation, werden sie mit Wasser versorgt.

Rahma wurde von Alma Mujakić gegründet und verteilt auch Essen selbst bis zu den entlegensten Unterkünften von Geflüchteten im Wald oder in verlassenen Häusern. Keiner der hier Gestrandeten will in Bosnien bleiben. Viele von ihnen haben bereits Bekannte und Verwandte in Italien, Frankreich oder Deutschland, die ihnen für die Weiterreise über Westen Union oft auch Geld schicken.

Weil er nicht an sein Geld von 150 Euro kommt, das ihm seine Schwester aus Kanada geschickt hat, spricht Ahmed eine Mitarbeiterin von SOS Balkanroute bei der Verteilung von Spielsachen für die Kinder und Hygieneartikel für die Frauen im Camp an.

Denn Western Union blockiert den Geldtransfer bei arabischen Namen. Er bittet eine Helferin, das Geld unter ihrem Namen abzuheben. Aber auch viele Helfer:innen sind dem US-amerikanischen Geldhaus inzwischen namentlich bekannt und werden ebenfalls nicht mehr bedient.

Das ist nur eine der vielen Methoden, um Geflüchtete zu schikanieren und zu kriminalisieren. Ziel ist es, ganz im Sinne der EU, dass diese Menschen nicht in Mittel- und Westeuropa ankommen sollen, die nicht nur im Fall von Afghanistan aus eindeutig humanitären und international anerkannten Gründen auf der Flucht sind.

Hier in Velika Kladusa wie auch in Bihac, zehn Kilometer entfernt oder Tuzla nahe der serbischen Grenze, werden oft von Busbahnhöfen oder öffentlichen Plätzen von der Polizei vertrieben. Auch Friseursalons oder Cafés verweigern ihnen ihre Dienstleistungen, obwohl sie bezahlen können. Inhaber von Geschäften werden dazu von der örtlichen Polizei unter Druck gesetzt.

"Die Balkanroute ist geschlossen"

Seit 2015 wird die Balkanroute von Menschen aus dem Nahen Osten genutzt, um in die EU zu gelangen. Im ersten Halbjahr 2015 passierten circa 80.000 Menschen die Balkanroute. Sebastian Kurz, damaliger Außenminister und inzwischen auch ehemaliger österreichischer Bundeskanzler, verkündete 2016 überzeugt: "Die Balkanroute ist geschlossen".

Damit dürfte er seine rechten Wähler gut bedient haben. Die EU setzt diese "Flüchtlingspolitik" konsequent um, indem sie die EU Außengrenzen und ihr Exekutionsorgan Frontex seit 2016 massiv aufrüstet.

"Frontex verfolgt drei strategische Ziele: Beseitigung von Schwachstellen an den Außengrenzen auf der Grundlage einer umfassenden Lageerfassung, Gewährleistung sicherer, geschützter und gut funktionierender EU-Grenzen sowie Planung und Aufrechterhaltung der Kapazitäten der Europäischen Grenz- und Küstenwache", heißt es auf der Webseite von Frontex.

Das EU-Mitglied Kroatien hat auf bosnischem Staatsgebiet eine breite Schneise in die bewaldeten Hügel kilometerweit vor dem eigentlichen Grenzübergang geschlagen und damit ganz im Sinne von Frontex eine "Schwachstelle" geschlossen und eine "gut funktionierende EU-Grenze geschaffen".

Flüchtlinge, die diese Rodung überqueren, die Tag und Nacht von kroatischen Grenzsoldaten bewacht wird, sind weithin sichtbar. Wenn sie diese Schneise mit viel Glück dennoch überquert haben, müssen sie immer noch die eigentliche Grenze mit dem Zaun aus Nato-Stacheldraht überwinden.