Marx und Natur: Überleben durch Umgestaltung

Ersteres ohne Letzteres dürfte die Welt nicht retten. Foto: SeSchu / CC-BY-SA-4.0

Die menschlichen Kenntnisse mögen auch heute unvollständig sein, aber soviel ist klar: Der Kapitalismus befindet sich auf Kamikaze-Kurs. (Teil 3 und Schluss)

Dass die menschlichen Kenntnisse unvollständig seien und es stets Unsicherheiten gebe, gehört heutzutage zu den beliebtesten Gemeinplätzen in der öffentlichen Debatte. Einerseits ist es richtig: wäre es nicht so, dann könnten alle Forschungsinstitute schließen.

Andererseits ist es so nicht gemeint, wenn es beispielsweise dazu dienen soll, die Gefahren des menschengemachten Klimawandels zu relativieren, weil Gegenmaßnahmen kurzfristig Profite gefährden könnten. In diesem Kontext geht es bei solchem Gerede immer um die Abwertung und Relativierung von Wissenschaft.

Wäre es in diesem Sinn richtig, so müssten ebenfalls alle Forschungsinstitute schließen, denn die könnten dann sowieso nichts herausfinden. Um nicht im Sinne solcher Ideologien missverstanden zu werden, sei es erlaubt, weiter auszuholen. Naturvorgänge zu erklären, oder auch zu prognostizieren, bedeutet immer, die allgemeinen Gesetze auf die besonderen Bedingungen, unter denen sie wirken, zu beziehen.

Gewöhnlich ist es die unzureichende Kenntnis oder Berücksichtigung der letzteren, was zu Unsicherheiten führt. Die allgemeinen Naturgesetze sind mittlerweile ziemlich umfassend – freilich keineswegs vollständig – bekannt; aber die Bedingungen, unter denen sie im jeweils interessierenden Einzelfall wirken, sind oft nicht vollständig zu erfassen.

Mehr Beobachtungsstellen, erweiterte Rechenkapazitäten

Am Beispiel der Wettervorhersage: jeder weiß, dass die Wettervorhersage immer wieder einmal daneben liegt; andererseits ist auch unbestritten, dass sie im Lauf der letzten Jahrzehnte sehr viel besser geworden ist. Wie kommt das?

Gewiss, auch hier schreitet die Forschung weiter voran, es wird immer noch Neues über die allgemeinen, das Wetter bestimmenden Naturgesetze herausgefunden, aber das Entscheidende, warum die Vorhersagen so viel besser geworden sind, ist, dass die Vielzahl der einzelnen Bedingungen genauer berücksichtigt werden kann:

Das Netz der Mess- und Beobachtungsstellen wurde stark ausgebaut (einschließlich Satellitentechnik) und die Rechenkapazitäten für die Auswertung, welche Wirkungen die beobachteten Daten gemäß den bekannten Gesetzen erwarten lassen, wurden um Größenordnungen erweitert.

Zurück zu den Grenzen der Naturbeherrschung: Wenn Eingriffe in die Natur neben den beabsichtigten Effekten noch andere, und zwar unvorhergesehene Wirkungen zeigen, so liegt das an der – notgedrungen oder auch fahrlässig - unvollständigen Berücksichtigung der gegebenen Bedingungen. Wobei heute in vielen Fällen die "unvorhergesehenen" Wirkungen durchaus bekannt sind - oder bei einem Mindestmaß an Sorgfalt bekannt sein könnten - aber um kapitalistischer Profitinteressen willen bewusst in Kauf genommen werden.

Rationelle Gestaltung des "Stoffwechsels mit der Natur"

Unerwünschte und (tatsächlich) unvorhergesehene Wirkungen bedeuten, dass die Naturbeherrschung hier an eine Grenze stößt; diese kann tendenziell überwunden werden, indem man die Wirkungen beobachtet, und falls erforderlich entgegenwirkt, sei es durch Änderung der ursprünglichen Eingriffe, sei es durch Kompensationsmaßnahmen. Aus gegenwärtiger Sicht ist das freilich eine Zukunftsvision; sie entspricht dem, was Marx als rationelle Gestaltung des Stoffwechsels mit der Natur bezeichnete.

Die Arbeit sei zunächst "ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert", so Karl Marx im "Kapital". Dadurch verändere er auch seine eigene Natur. "Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit." Dies nachhaltig und möglichst ohne unerwünschte Wirkungen zu tun, wäre die rationale Form.

Der US-Sozialwissenschaftler Paul Burkett spricht hier von "nachhaltiger Koevolution von Mensch und Natur". Das ist eine schöne Formulierung, die den Aspekt der Weiterentwicklung zum Ausdruck bringt; allerdings ist zu beachten: Der Begriff ist aus der Biologie entlehnt, wo Koevolution die Entstehung wechselseitiger Anpassungen zweier Arten bezeichnet.

Dabei handelt es sich auf beiden Seiten um das unbewusste Wirken von Naturgesetzen, wohingegen im intendierten Kontext einer rational organisierten Gesellschaft die bewusste Gestaltung des Umgangs mit der Natur im Vordergrund steht. In diesem Sinn drückt "Koevolution" sehr gut die diesbezügliche Zielvorstellung für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft aus.

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