Pistorius: Politisches Schwergewicht auf dem Schleudersitz

Bild: Wolfgang Wilde, Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Kluger Schachzug von Kanzler Scholz. Der neue Verteidigungsminister taugt nicht zum Blitzableiter, wie es Christine Lambrecht gewesen ist. Zum ersten Mal gibt es eine Chance für Ordnung im Bundeswehrapparat.

Nur die Welt hatte den richtigen Riecher: Dort schrieb immerhin Ulrich Exner bereits am Montagvormittag, Boris Pistorius werde "als möglicher Kandidat" für die Nachfolge Christine Lambrechts gehandelt. Für alle anderen war die gestrige Ernennung des Innenministers von Niedersachsen zum neuen Bundesverteidigungsminister eine Überraschung.

Zugleich ist diese Ernennung ein kluger Schachzug, eine nicht nur unerwartete, sondern auch interessante Wahl. Mit Pistorius hat sich Olaf Scholz eine starke Figur ins Kabinett geholt. Er ist ein politisches Schwergewicht. Pistorius ist kein reiner Blitzableiter, wie es Lambrecht gewesen ist.

Er wird weder Kritik, die dem Kanzler gilt, auf sich ableiten, noch wird sich Pistorius dafür eignen, sich die Schuld für die Fehler der Ampel aufbürden zu lassen, wie es Lambrecht tat. Er hat das Zeug, die komplett verkorkste Amtszeit von Lambrecht schnell vergessen zu lassen.

"Der nächste Schuss muss sitzen"

Ganz allgemein wird Pistorius ein robustes Auftreten nachgesagt. Er ist kantig und selbstbewusst, ihm ist zuzutrauen, dass er innerhalb des Ministeriums, aber auch gegenüber der Truppe glaubwürdige Ansagen macht: "So wird es durchgeführt, und der Rest hält jetzt mal die Klappe."

Überhaupt widerspricht die neue Wahl allem, was vorher gesagt wurde, was für Eigenschaften eine neue Verteidigungsministerin angeblich braucht.

André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, hatte noch am Morgen bei BR 2 Radiowelt klare Ansagen gemacht: "Ich bin auf jeden Fall nicht der Auffassung, dass jemand gedient haben muss oder die unterschiedlichen Kaliber bestimmter Waffensysteme kennen muss."

Schaden dürfte beides Pistorius aber kaum.

Trotzdem, so Wüstner weiter, sei das Amt vor allem eine kommunikative Aufgabe:

Management und Führungskompetenzen sind wichtige denn je. Insbesondere aber natürlich heutzutage Kommunikation in Richtung Parlament, Regierung, Gesellschaft.

Diese Zeitenwende muss ja weiter erklärt werden. Der nächste Schuss muss sitzen. Die Herausforderungen sind enorm bei der Bundeswehr.

André Wüstner

Marode und kaputt: Die Bundeswehr

Dieser Feststellung kann man kaum widersprechen. Es gibt sehr viele Baustellen bei der Bundeswehr. Das deutsche Militär ist grundsätzlich reformbedürftig. Kein Faktum zeigt das deutlicher, als die absurde Rechnung, dass die Truppe, die von einer Sollstärke von 660.000 im Jahr 1989 auf heute rund 180.000 zurückgeschrumpft wurde, derzeit mehr Generäle hat als funktionierende Panzer.

Aber dazu kommt vieles andere: Materialmangel, marode Kasernen, Bürokratie, ein kaputtes Beschaffungswesen, fehlendes Personal und die Forderung nach Ende des Rückbaus, der erstmal organisiert werden muss.

Insbesondere steht die Umsetzung des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens an. Schon jetzt gibt es Klagen, dass die Summe nicht reichen wird. Wehrbeauftragte Eva Högl, selbst für den Posten im Gespräch, forderte am Wochenende bereits 300 Milliarden.

In der Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine wird sich der neue Minister mit den inzwischen regelmäßigen Forderungen nach neuen Waffen durch die Ukraine und durch deutschfeindliche EU-Regierungen wie Polen herumschlagen müssen. Hier muss Pistorius das ständige Vorpreschen von Grünen und FDP mit dem Unbehagen großer Teile der Bevölkerung vermitteln müssen.

Der verwaltungserprobte Pistorius wird in der Lage sein, den Apparat unter die nötige Kontrolle zu bekommen und ist die allererste Chance, seit Jahren überhaupt Ordnung in diesem Ministerium zu machen.

Scholz kann (und will) es niemandem recht machen

Schließlich ist es grundsätzlich sehr gut, und es spricht für die SPD, dass sie ihr internes Besetzungs-Strickmuster der Geschlechter-Parität außer Kraft gesetzt hat, nach der Verteidigungsminister unbedingt wieder eine Frau werden musste. Geschlechter-Parität darf und kann kein Dogma sein. Ministererfahrung schadet nicht.

Erwartbar reflexhaft empörte sich die grünalternative taz am Abend: "Kompetenz statt Quote!" und behauptete:

"Die Kritik an Lambrecht – so berechtigt sie war – war immer auch frauenfeindlich konnotiert. Stöckelschuhe beim Truppenbesuch, pfui!"

Als ob irgendjemand dem Ansehen von Frauen auf bedeutenden Ministerposten geschadet hätte als Lambrecht selbst. Wegen der Stöckelschuhe im gefährlichsten Außeneinsatz in Mali, ja! Aber auch wegen eines Dutzends anderer Peinlichkeiten.

Aber den politischen Kommentatoren in Berlin kann es Olaf Scholz so oder so auch mit dieser Wahl nicht recht machen. Der Deutschlandfunk kommentiert weniger die Personalentscheidung selbst, als die Art und Weise, wie diese präsentiert wurde. Und dass sich der Bundeskanzler nicht von der Berliner Journalisten heute jagen lässt, sondern ihnen wieder einmal sein eigenes Tempo diktiert hat.