Hat dieser CDU-Politiker den geheimen Grund für den Ukraine-Krieg verraten?

Lithiumvorkommen angesprochen: Roderich Kiesewetter in der ARD. Bild: Screenshot

Kiesewetter provoziert heftige Kritik im Netz. Der Grund: Er hat eine Motivation für die Waffenhilfe genannt. Dabei war das unbedacht – und doch richtig. Ein Telepolis-Leitartikel.

Für Diskussionen in sozialen Netzwerken sorgt ein ARD-moderiertes Interview des CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Der Verteidigungspolitiker hatte im Rahmen der Sendung Bericht aus Berlin am vergangenen Sonntag Zuschauerfragen zur deutschen Ukraine-Politik beantwortet.

Seine Antworten wurden über Social-Media-Kanäle der Tagesschau im Anschluss an die Sendung Bericht aus Berlin im Ersten gestreamt. Im sogenannten Nach-Bericht aus Berlin beantworten Politikerinnen und Politiker im Livestream bei Facebook, Twitter und Youtube Fragen der Zuschauer und User.

Dabei warnte der CDU-Politiker vor den dramatischen Konsequenzen eines möglichen Anschlusses der Ukraine an die Russische Föderation. Um das zu verhindern, spiele die Europäischen Union eine entscheidende Rolle.

"Die Ukraine hat die Wahl, Teil des westlichen Bündnisses der Europäischen Union zu werden oder sich selbst aufzugeben. Und die Ukraine aufzugeben, also Teil der Russischen Föderation zu werden, hätte eine Massenflucht zur Folge", warnte Kiesewetter.

Es sei eine wesentliche Aufgabe von Parlamentariern, deutlich zu machen, "dass Millionen von Ukrainern das Land verlassen werden, wenn die Ukraine einem Scheinfrieden, einer Waffenstillstandslinie zustimmen muss".

"Geht um Vernichtung der Existenz der Ukraine"

Kiesewetter betonte, dass es bei der aktuellen Krise um mehr als nur geopolitische Machtspiele gehe. "Es geht um die Vernichtung der Existenz der Ukraine. Und deshalb sollten wir alles tun, damit auch unsere Bevölkerung weiß, dass es Russland um das Existenzrecht der Ukraine geht", erklärte der Politiker.

Und dann folgte der Passus, der nun für Debatten sorgt: "Am Ende muss also stehen, dass wir uns bemühen, dass die Ukraine ihre Grenzen wieder freibekommt, dass die Krim vielleicht für einige Jahre unter internationale Aufsicht kommt. Aber es ist auch eine sehr wirtschaftliche Frage." Er wurde noch konkreter:

Wenn die Ukraine zerfällt, sind die Folgekosten viel größer, als wenn wir jetzt viel stärker reingehen. Und wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht sie eigene Lithiumvorkommen. Die größten Lithiumvorkommen in Europa liegen im Donezk-Luhansk-Gebiet. Deswegen will Russland diese – und uns abhängig machen von der Energiewende mit Blick auf Elektromotoren. Also wir haben hier auch ganz andere Ziele noch im Hintergrund. Und deshalb brauchen wir eine vereinte Anstrengung der Bürgerinnen und Bürger, damit unsere Politik, die Rückendeckung hat, mehr für die Ukraine zu tun. Und umgekehrt verdienen unsere Bürgerinnen und Bürger mehr Haltung und Orientierung von der Politik. Ein Bundeskanzler könnte deutlich mehr erklären. Er macht es zu wenig.

Die geheime Ukraine-Agenda: Was hat Kiesewetter verraten?

Im Netz ist die Aufregung seither groß, vor allem aber bei alternativen Medien. Sie messen der Aussage des CDU-Politikers einen enormen Stellenwert zu. "Die Ukraine führt einen Stellvertreterkrieg um Lithium", schreibt etwa die Seite Anti-Spiegel. "Kiesewetter habe "etwas ausgeplaudert", heißt es in einem launigen Kommentar des Online-Magazins Overton: "Dass dieser Krieg ein Feldzug im Namen der Klimapolitik ist? Eindeutig."

"Im Ukraine-Krieg geht es gar nicht um ‚Freedom & Democracy‘, sondern um: LITHIUM !!", empört sich in ebendieser Schreibweise ein offenbar russlandnahe Nachrichtenportal mit dem Namen Pravda-de.

Die österreichische Webseite tkp.at glaubt, Kiesewetter habe sich "verplappert", denn: "Jetzt tat er der Öffentlichkeit einen echten Dienst. Deutschland will die ukrainischen Rohstoffe – für das ‚Klima‘."

Warum die Redaktion Klima in Anführungszeichen schreibt, und ob das bedeuten soll, dass es so etwas wie Klima eigentlich gar nicht gibt – man weiß es nicht. Erstaunlich wäre es nicht. tkp.at war auch schon mal der Meinung, dass mRNA-Impfstoffe die Affenpocken auslösen.

Die rechtsextreme Seite PI News schlussfolgert: "Putin stört die deutsche Klimarettung" und Kiesewetter habe die wahren Gründe des Krieges offenbart.

Die in der Tendenz rechtspopulistische Epoch Times vermeldet: "Im Hintergrund gibt es noch ganz andere Ziele" in der deutschen Ukraine-Politik.

Ukraine-Rohstoffe: Was an Kiesewetters Aussage beachtlich ist

Das alles sagte weniger über Kiesewetter aus als über die genannten Rezipienten. Natürlich war die Aussage des CDU-Politikers beachtlich, weil sie mit dem sonst stets vorgeschobenen politischen Narrativ gebrochen hat, es gehe um Freiheit, Freiheit und nochmals Freiheit.

Aber neu ist das alles nicht. Der CDU-Mann unterstützt seit 2019 ein "Sustainable Lithium-Ion-Hub Ulm – Nachhaltige Batteriezellenproduktion" im baden-württembergischen Ulm. Es geht dabei um den Aufbau einer regionalen Batterieproduktion.

Hat Kiesewetter also ein Geheimnis verraten? Man kann zu dem Schluss kommen, wenn man glaubt, dass wir von bösen Mächten beherrscht werden, die Fieses im Schilde führen, die sich womöglich gar gegen uns alle verschworen haben. Ich sage nur: Bilderberg-Konferenz!

Oder man liest im Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr aus dem Jahr 2016 nach, das "Antwort auf das tiefgreifend veränderte sicherheitspolitische Umfeld" sein sollte und gleichzeitig Ausdruck des veränderten Selbstverständnisses und Gestaltungsanspruchs Deutschlands in der internationalen Sicherheitspolitik.

"Ausgehend von diesem Gestaltungsanspruch, unseren Möglichkeiten, Interessen und Werten sowie der Analyse des sicherheitspolitischen Umfeldes", heißt es da, "bestimmt das Weißbuch die strategischen Prioritäten Deutschlands."

Sicherheit der Rohstoff- und Energieversorgung

Und diese sind auch: "Die ungehinderte Nutzung von Informations-, Kommunikations-, Versorgungs-, Transport- und Handelslinien sowie die Sicherheit der Rohstoff- und Energieversorgung." Die zuständige Durchführungsorganisation ist von jeher die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Seit 2010 hat Deutschland zudem mit der "Rohstoffinitiative der Bundesregierung" ein politisches Programm mit dem Ziel, eine nachhaltige und sichere Versorgung Deutschlands mit wichtigen Rohstoffen zu gewährleisten.

Hauptziele sind die Reduzierung der Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern und die Stärkung der deutschen Wirtschaft gegenüber globalen Rohstoffrisiken.

"Die Rohstoffpolitik der Bundesregierung muss dazu beitragen, die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen langfristig sicherzustellen", heißt es dort.

Warum die Ukraine für die europäische Wirtschaft wichtig ist

Und natürlich spielen solche Erwägungen auch bei der Ukraine-Politik eine Rolle. Die ukrainische Wirtschaft ist essenziell für die Versorgung des Weltmarktes mit bestimmten Waren.

Das wurde deutlich, als Kiew 6. März 2022 den Export von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl reglementierte und den Export von Roggen, Hafer, Hirse und Buchweizen sowie anderen landwirtschaftlichen Produkten verbot.

Die Exporte von Getreide aus dem Land machen fast acht Prozent des Weltgesamtvolumens aus, zusammen mit Russland sind es sogar 16 Prozent.

Viel Getreide und Fette aus Russland und Ukraine

Besonders betroffen sind Weizen und Mischgetreide, für die der kombinierte Anteil der Exporte von Russland und der Ukraine etwa 26 Prozent beträgt, und Gerste mit etwa 24 Prozent.

Der kombinierte Anteil von Russland und der Ukraine an den Weltexporten von tierischen und pflanzlichen Fetten beträgt über neun Prozent.

Die vorübergehenden Auswirkungen fehlender oder verzögerter Lieferungen bestimmter Güter und Materialien, die nicht nur aus Russland, sondern auch aus der Ukraine importiert worden waren, hatten sich rasch auch bei deutschen Produzenten bemerkbar gemacht.

Auswirkungen sind in Deutschland zu spüren

Ein Beispiel ist die Ankündigung im Februar 2022 von Kurzarbeit bei Automobilherstellern aufgrund fehlender Kabelbäume aus der Ukraine.

Der Ukraine-Krieg hat auch die Chipkrise verschärft. Die ukrainischen Unternehmen Cryoin (Odessa) und Ingas (Mariupol), die eine entscheidende Rolle in der Produktion von Edelgasen für Halbleiter spielen, mussten zeitweise ihren Betrieb einstellen.

Die Ausfälle betreffen vor allem das für die Halbleiterproduktion unabdingbare Edelgas Neon, wobei Ingas und Cryoin gemeinsam rund die Hälfte des weltweiten industrietauglichen Neon-Kontingents liefern.

Und wo ist jetzt der Skandal?

Ist es also ein Skandal, dass Kiesewetter das Thema Rohstoffe anspricht? Sicher nicht. Ist es ehrlich, wenn auch ungewollt, weil aus der Aussage etwas Realpolitik durchscheint? Vielleicht. Ist es unklug, weil er die Reaktion eines Teils der Medienlandschaft hätte vorhersehen müssen? Durchaus.

Das Beachtliche ist, dass die Staats-, Impf- und Klimaskeptiker, Kiesewetter teilweise ein für die eigene Bevölkerung schädliches Verhalten vorwerfen, weil er sich gegen einen raschen Verhandlungsfrieden ausspricht.

Es verhält sich genau andersherum. Weil er auf Basis des sicherheitspolitischen Weißbuchs und der Rohstoffinitiative argumentiert, handelt er im klassischen Sinne im nationalen Interesse, so wie einst die Gerhard-Schröder-SPD. Nur eben mit einem anderen Partner.

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