1.000 Tage in Großbritanniens Guantánamo
Der Journalist und Wikileaks-Gründer Assange ist nach wie vor in politischer Haft. Nun ist er in Berufung gegangen und hat ein bedeutendes Angebot erhalten
Seit 1.000 Tagen sitzt der australische Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein. Seine Verlobte, die Juristin Stella Moris, forderte heute erneut die umgehende Freilassung des 50-jährigen.
Während die Mitgliedsstaaten und die Führung der Europäischen Union angesichts der politischen Haft des Journalisten bislang untätig blieben und auch die "wertegeleitete deutsche Außenpolitik" Assange weitgehend ignoriert, hat ein lateinamerikanisches Land ihm erneut Asyl angeboten.
Ihr Verlobter sitze seit 1.000 Tagen "im härtesten Gefängnis Großbritanniens", so Moris in einer aktuellen Stellungnahme. Obgleich Assange keines Verbrechens schuldig sei, habe er in Belmarsh längere Zeit verbringen müssen als viele Gewaltverbrecher.
Seine kleinen Kinder im Alter von zwei und vier Jahren haben keine Erinnerung an ihren Vater außerhalb eines Hochsicherheitsgefängnisses des Vereinigten Königreichs. Julian Assange wird lediglich auf Ersuchen der US-Regierung festgehalten, die ein bestehendes Auslieferungsabkommen mit Großbritannien weiterhin für politische Zwecke missbraucht. Die US-Regierung versucht, einen australischen Journalisten vor ein nationales US-Sicherheitsgericht zu stellen, wo ihm eine 175-jährige Haftstrafe und eine Inhaftierung unter Folterbedingungen in völliger Isolation drohen, nur weil er seinen Job gemacht hat: weil er von Chelsea Manning wahre Informationen über die Opfer und die Verbrechen von US-Operationen in Guantánamo Bay, Afghanistan und im Irak erhalten und diese veröffentlicht hat.
Stella Moris
Politik Mike Pompeos wird fortgesetzt
Die britische Juristin verwies zugleich auf Pläne des ehemaligen Direktors des US-Auslandgeheimdienstes CIA, Mike Pompeo, Assange zu ermorden. Pompeo sei von einer "mörderischen Besessenheit" getrieben worden, als er die CIA beauftragte, "Skizzen und Optionen" zu erstellen, wie Assange in London getötet werden könnte. Auch habe Pompeo eine Desinformationskampagne und Entführungspläne angeordnet. "Die andauernde Inhaftierung von Julian Assange (in Großbritannien) ist nichts anderes als die Fortführung von Pompeos Plan", so Moris.
Solange Assange inhaftiert sei, werde er ein politischer Gefangener sein: "Seine unbefristete Inhaftierung wird Assange töten", so Moris weiter.
Vor genau einem Jahr hatte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador Assange politisches Asyl angeboten (Im Video am 02:20.00 in spanischer Sprache). Er werde darauf hinwirken, dass der inhaftierte Journalist aus britischer Haft freigelassen werde, so López Obrador damals während einer Pressekonferenz. Am Montag dieser Woche bekräftigte er sein Angebot.
Der linksgerichtete Staatschef hat nach eigenen Angaben vor zwölf Monaten seinen Außenminister Marcelo Ebrard angewiesen, die notwendigen formalen Schritte einzuleiten, um in Großbritannien die Freilassung des inzwischen 50-Jährigen zu erreichen, damit er nach Mexiko ausreisen kann. Die Aufnahme politisch Verfolgter sei eine Tradition seines Landes, so López Obrador. Was aus der Initiative geworden ist, bleibt ein Jahr später unklar, offiziell hat London keine Stellung bezogen.
Mexiko war schon im 20. Jahrhundert wiederholt ein Zufluchtsort für Journalisten und verfolgte Demokratieaktivisten. Nach dem spanischen Bürgerkrieg fand in dem nordamerikanischen Land etwa der Filmregisseur Luis Buñuel eine Bleibe, in den 1930-Jahren bildete sich zudem eine deutsche Exilgemeinde, der unter anderem die Schriftstellerin Anna Seghers, der Autor Gustav Regler und der Journalist Egon Erwin Kisch angehörten.
Während der Militärdiktaturen der 1960er-Jahre bis 1980er-Jahre retteten sich viele Verfolgte aus dem Süden des amerikanischen Kontinents nach Mexiko. Zuletzt nahm das Land Ende 2019 nach dessen Sturz den ehemaligen bolivianischen Präsidenten Evo Morales auf.
Bei Auslieferung an die USA droht lebenslange Haft
Der amtierende mexikanische Präsident hatte schon im Januar 2021 betont, seine Regierung werde im Falle einer Aufnahme Assanges dafür Sorge tragen, dass der Journalist sich nicht in die politischen Angelegenheiten anderer Staaten einmische. Gemeint waren damit unschwer erkennbar die USA.
Am Montag dieser Woche nun sagte López Obrador, dass er gegen Ende von dessen Regierungszeit einen Brief an Donald Trump gesandt hatte, in dem er um ein Ende der Strafverfolgung von Julian Assange bat: "Wir bekräftigen unsere Position und sind bereit, Assange in Mexiko Asyl anzubieten."
Seine Regierung erwarte, dass die USA auf Basis humanistischer Prinzipien handelten: "Assange ist krank und es wäre ein Zeichen der Solidarität, ihm zu erlauben, Asyl anzunehmen, etwa in Mexiko."
Indes hat Assange seiner Verlobten Moris zufolge eine Anrufung des Obersten Gerichts in Großbritannien vorbereitet, um eine Auslieferung an die USA doch noch abzuwenden. Mit dem Gang vor den Supreme Court wird der Rechtsweg innerhalb des britischen Justizsystems ausgeschöpft sein.
Die Chancen sind jedoch unklar, schließlich benötigen Assange und sein Anwaltsteam für die Berufung die Zustimmung eben derjenigen Richter, die seine Auslieferung am 10. Dezember erlaubt hatten.
Nach Moris‘ Ansicht wirft das Dezember-Urteil aber in mehreren Punkten grundsätzliche Fragen auf. Diese Punkte sollen vom Obersten Gericht nun erneut begutachtet werden. Ob es dazu kommt, wird sich wohl bis Ende Januar entscheiden.
Assange droht bei einer Auslieferung an die USA und einer als sicher geltenden Verurteilung de facto lebenslange Haft. Angeklagt ist er auf Basis eines umstrittenen Spionageabwehrgesetzes, das vor über 100 Jahren erlassen worden war.
Der Journalist hatte seit 2010 über Wikileaks geheime US-Berichte und Depeschen veröffentlicht, die zahlreiche US-Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan ans Licht brachten. Die USA werfen ihm daher Spionage und Verschwörung vor; sie sehen in ihm über nun mehrere Regierungen hinweg einen Staatsfeind. Von den Verantwortlichen für die enthüllten Kriegsverbrechen ist bislang keiner verurteilt worden.
Moris appellierte vor diesem Hintergrund eindringlich für die Freilassung ihres Verlobten und Vaters zweier gemeinsamer Kinder:
In diesen 1.000 Tagen in Großbritanniens "Guantánamo" Belmarsh, wo die Selbstmordrate dreimal höher ist als der nationale Durchschnitt in Gefängnissen, wurde Assange einen Teil der Zeit in außerordentlicher Isolation gehalten, musste zwei Covid-Lockdowns über sich ergehen lassen und erlitt im Oktober während seiner letzten Anhörung einen stressbedingten Schlaganfall. Seine Anwälte haben sich über den eingeschränkten Zugang zu ihrem Mandanten beklagt, der seine Verteidigung beeinträchtigt hat. Seine Anträge, an seinen eigenen Anhörungen teilzunehmen, wurden abgelehnt, und wenn ihm die Teilnahme gestattet wurde, wurden seine Anträge, neben seinen Anwälten zu sitzen, ebenfalls abgelehnt. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter kam zu dem Schluss, dass er psychologischer Folter ausgesetzt war.
Stella Moris
Redaktioneller Hinweis: Der Name von Moris und Assanges Alter wurden korrigiert.