141 Tote und ein Anfangsverdacht: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Landrat
Nach der Flutkatastrophe in Ahrweiler wird gegen CDU-Landrat Jürgen Pföhler und ein Mitglied des Krisenstabes ermittelt. Sie könnten sich durch Unterlassen strafbar gemacht haben
Jetzt ist es offiziell: Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Landrat des von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), eingeleitet. Es gehe um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen am Abend des Hochwassers vom 14. Juli, teilte die Behörde am Freitag mit.
Es geht um die Frage, ob die Bevölkerung der Region zu spät vor den Wassermassen gewarnt und evakuiert wurde. Der Anfangsverdacht richte sich gegen den Landrat, weil dieser laut Gesetzeslage "möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte", so die Staatsanwaltschaft.
Ermittelt werde auch gegen ein weiteres Mitglied des Krisenstabes, das nach bisherigen Erkenntnissen die Einsatzleitung "zumindest zeitweise übernommen hatte". Es hätten sich "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür ergeben, dass am 14. Juli ab etwa 20.30 Uhr Gefahrenwarnungen und möglicherweise auch Evakuierungen geboten gewesen wären. "Dies - so der Anfangsverdacht - dürfte in einer als fahrlässig vorwerfbaren Begehungsweise offenbar nicht, nicht in der gebotenen Deutlichkeit oder nur verspätet erfolgt sein."
Die Starkregenfälle hatten am 14. und 15. Juli an der Ahr im Norden von Rheinland-Pfalz eine Hochwasserkatastrophe ausgelöst und weite Teile des Ahrtals überflutet. Die gesicherte Zahl der Todesopfer liegt dort mittlerweile bei 141, während 17 Menschen auch drei Wochen danach noch vermisst werden.
Rund 42.000 weitere Menschen sind von den Folgen des Hochwassers betroffen - durch Verletzungen, den Verlust von Angehörigen oder Obdachlosigkeit. In sozialen Netzwerken wurden bereits Wohnungsgesuche wie das eines Rentnerpaares Mitte 70 mit der Überschrift "SOS - Wohnungslos durch Hochwasser" geteilt. Etliche Betroffene wurden vorübergehend in Schulgebäuden oder Festhallen der Region untergebracht. Sie hätten zwar nicht ihre Häuser, womöglich aber Angehörige, persönliche Erinnerungsstücke und Wertsachen retten können, wäre die Warnung früher erfolgt.
Nachtwache in Behinderteneinrichtung konnte nicht alle Bewohner retten
Unter den Toten waren auch zwölf Bewohnerinnen und Bewohner einer Behinderteneinrichtung der Lebenshilfe in Sinzig. Die dortige Nachtwache habe nur einen Teil der Bewohner aus dem Erdgeschoss in den ersten Stock und damit in Sicherheit bringen können, sagte der Geschäftsführer der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, Matthias Mandos, wenige Tage danach dem General-Anzeiger.
Ein strafwürdiges Unterlassen könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft jedenfalls für einen Teil der Todesfälle und Verletzungen "(mit)ursächlich" geworden sein. Eine Auswertung von Todesermittlungsverfahren zu Flutopfern habe ergeben, dass sich die Todesfälle überwiegend flussabwärts von Ahrbrück aus mit einem großen Schwerpunkt in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ereignet hätten, hieß es.
Vor der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens hatte die Staatsanwaltschaft eine Mail-Adresse für die Sammlung von Hinweisen zur Flutkatastrophe an der Ahr eingerichtet. Der beschuldigte Landrat Pföhler hatte eigentlich für Freitagvormittag zu einem Pressetermin zur aktuellen Situation eingeladen. Dieser Termin wurde kurzfristig abgesagt. Stattdessen will die Polizei in Koblenz um 16 Uhr im Polizeipräsidium Koblenz auf einer Pressekonferenz über den Stand der Ermittlungen informieren.