2015 soll die Hälfte der Menschheit online sein
Die Beschlüsse des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft werden allmählich in konkrete Iniativen umgesetzt
Als im November 2005 in Tunis der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) beendet wurde, schien es zunächst so dass den beteiligten Akteuren die Luft ausgegangen war. Nachdem man sich darauf geeinigt hatte, bis zum Jahr 2015 die Hälfte der Menschheit online zu bringen und ein neues Internet Governance Forum (IGF) zu schaffen, zog erst einmal Ruhe ein. Nun aber kommt wieder Bewegung in den WSIS-Prozess. Es gibt immer mehr Baustellen, um mit konkreten Initiativen die Beschlüsse von Tunis umzusetzen.
AMD, der zweitgrößte Chip-Produzent der Welt hatte Mitte Januar 2007 in sein Werk nach Dresden eingeladen, um die Gründung einer europäischen Plattform für die "Global Alliance for ICT and Development" (GAID) zu befördern. AMD hatte kurz zuvor die Initiative 50 x 15 gestartet, mit der der Chip-Riese einen Beitrag zur Erreichung des übergreifenden WSIS-Ziels leisten will, 50 Prozent der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 zu vernetzen.
AMD will vor allem in die neuen Wachstumsmärkte in Asien und Afrika expandieren und da passt philantropisches Engagement und wirtschaftliches Interesse gut zusammen. Jeder vierte PC hat heute einen AMD-Chip, und wenn bis 2015 vier Milliarden PC vernetzt sind, sind das eine Milliarde Chips für AMD. Auf der AMD-Website tickt jetzt eine Weltuhr, die sowohl die Bevölkerungszahl als auch die Onliner zählt und dann den aktuellen Prozentsatz ausrechnet. Vergangene Woche waren bei 6.573 Milliarden Menschen 1.090 Milliarden Online, was einen Prozentsatz von 16.59 ausmacht. Noch allerhand zu tun also. Und wenn man eine Marktstrategie fährt die allen Seiten nutzt, ist das ja umso besser.
Die GAID war im Juli 2006 in Kuala Lumpur mit dem Segen von UN-Generalsekretär Kofi Annan gegründet worden und hat sich zum Ziel gesetzt, Buchstaben und Geist der WSIS-Beschlüsse zu pushen. In der Allianz arbeiten Vertreter von Regierungen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft zusammen. Sie will vor allem über konkrete Leuchtturmprojekte Effekte erzielen und durch solche "best practice"-Beispiele deutlich machen, welche Rolle neue Informations- und Kommunikationstechnologien und die Internetvernetzung für die Erreichung der "Jahrtausendentwicklungsziele", den sogenannten "Millenium Development Goals" (MDG), spielen können. Auch bei den MDGs wird im Jahr 2015 abgerechnet. Die GAID ging aus der ehemaligen UN ICT Task Force hervor, deren Mandat mit dem WSIS-Gipfel Ende 2005 ausgelaufen war.
Paradigmenwechsel notwendig
Auf dem Dresdner Treffen erläuterte Sarbuland Khan, Exekutiv-Sekretär der GAID, dass man nach einer gründlichen Analyse der WSIS-Dokumente zu dem Schluss gekommen sei, dass es bei den IT-Technologien einen Paradigmenwechsel geben müsse. Neben den dominierenden Trend nach immer neuen Geräten mit mehr Kapazität und mehr Anwendungen bräuchte man auch mehr billige Geräte, die nicht unbedingt den letzten Schrei verkörpern, aber einen qualitativ guten Mindeststandard an Kapazität and Anwendungen offerieren. Das könnte gerade in Entwicklungsländern einen enormen Effekt haben, wie der seit zwei Jahren andauernde Mobiltelefon-Boom in Afrika zeigt. "Affordability", d.h. erschwingliche Preise, wird mehr und mehr zu einer der entscheidenden Kriterien für Technologieentwicklung.
Negropontes 100 Dollar Laptop, der beim WSIS vorgestellt wurde, hat zwar ebenso viele Kritiker wie Befürworter gefunden (Computer für die Armen, das dahinter stehende Prinzip sei aber richtig, so Khan. Ohne einen Paradigmenwechsel auf der Anbieterseite, ist sich Khan sicher, werden die WSIS-Ziele auf geduldigem Papier verdorren. Robuste, kostengünstige und energiesparende Technologien sind gefordert, will man die Massenmärkte in Afrika und Asien erreichen.
Interessanterweise hat selbst der ehemalige amerikanische Vizepräsident Al Gore, der jetzt als Vorkämpfer für den Klimaschutz durch die Welt reist, in die gleiche Kerbe gehauen. Er hat die IT-Industrie unlängst aufgefordert, energiesparende Prozessoren mit geringem Wärmeausstoß zu entwickeln. Das wäre nicht nur für das Weltklima günstig, das würde auch vielen Staaten im sub-saharischen Afrika helfen, da ihr Hautproblem beim Weg ins Netz neben der fehlenden Infrastruktur vor allem die instabile Versorgung mit Elektrizität ist. Negroponte hat ja seinen 100 Dollar Laptop nicht ohne Grund mit einer Kurbel ausgestattet, mit der man im Notfall den elektronischen Strom selbst erzeugen kann.
Wie gerade der Kostenfaktor Prozesse auslösen oder verhindern kann, zeigt auch das Beispiel von Bangladesh, wo der vergangenes Jahr zum Nobel-Friedenspreisträger gekürte Mohammed Yunus über Mikrokredite vor allem das mobile Telefonieren in ländlichen Gebieten ermöglicht hat, was dort zu einem beachtenswerten wirtschaftlichem Aufschwung geführt hat (Mikrokredite als Ausweg aus der Armut). Sollte zu den billigen Endgeräten auch noch billige Netzzugänge - wie z.B. über VOIP oder WiMAX - hinzukommen, dann sieht es mit der Erreichung der WSIS-Ziele möglicherweise gar nicht so schlecht aus.
GAID-Jahrestagung in Santa Clara
Ähnlich sieht das offensichtlich AMDs Hauptkonkurrent Intel. Intels CEO Craig Barret ließ sich nicht lange vom damaligen UN Generalsekretär Kofi Annan bitten, um den Vorsitz der GAID zu übernehmen. Ende Februar 2007 wird jetzt am Intel-Firmensitz im kalifornischen Santa Clara die erste volle Arbeitssitzung der neuen Allianz stattfinden. Und dabei werden nicht nur die Chipproduzenten sondern auch die alten und neuen Big Player der Internet Economy mit von der Partie sein. Googles Campus in Mountain View ist ja nur ein Katzensprung von Santa Clara entfernt.
Die jüngste Dresdner Tagung diente praktisch dazu, den europäischen Beitrag zu diesem Weltprozess etwas genauer zu definieren. Die Europäer werden ja in erster Linie als "Geber" betrachtet, wobei der von Khan propagierte Paradigmenwechsel auch einen Wechsel weg von der "Philantropie" und hin zu neuen Geschäftsmodellen signalisiert, die auf einem (mitunter durchaus asymmetrischen) Geben und Nehmen basieren.
Inwieweit deutsche Unternehmen sich da mit an die Spitze stellen, bleibt aber im Moment wohl eher abzuwarten. Bei der Tagung in Dresden wurden zunächst erst einmal die neue GAID-Strategie und die AMD-Initiative beklatscht, mit eigenen Beiträgen hielten sich jedoch SAP, Deutsche Telekom oder Siemens noch zurück. Erst einmal brauche man für die neu gegründete europäische GAID-Regionalgruppe ein Mission-Statement und dann wolle man sehen, was bei der Sitzung in Santa Clara herauskommt, hieß es beim Small Talk in der Glashalle des gigantischen Dresdner AMD-Firmensitzes, in das das kalifornische Unternehmen rund 8 Milliarden Euro investiert hat und fast ebensoviel bis 2010 in den weiteren Ausbau das nahe am Flughafen gelegenen Geländes stecken will.
Immerhin aber hatte diesmal die deutsche Politik die Nase mit vorn. Initiator der Tagung in Dresden war das bundesdeutsche Auswärtige Amt und so läuft die Rolle der europäischen Koordinators zwangsläufig auf das Haus am Werderschen Markt zu. Nachdem sich die Bundesrepublik im WSIS-Prozess insgesamt nicht mit Ruhm bekleckert hat und jüngst auch der Versuch gescheitert war, einen Deutschen an die Spitze der "International Telecommunication Union" (ITU) zu bugsieren, kann das eine interessante Schiene werden, die für alle Betroffenen und Beteiligten neue Chancen eröffnet.
WSIS-Woche in Genf
Die GAID ist aber nicht die einzige WSIS-Welle, die zu rollen beginnt. Kommende Woche tagt die IGF-Beratergruppe in Genf, um das zweite Internet Governance Forum (IGF) vorzubereiten. IGF 2 ist jetzt für den 12. - 15. November 2007 geplant und wird in Rio de Janeiro stattfinden. Dort werden auch die beim ersten IGF gegründeten neuen "Dynamischen Koalitionen" zu Themen wie Meinungsfreiheit, Spam, Open Source und Schutz der Privatsphäre erste Berichte erstatten.
Und Mitte Mai 2007 planen einen Vielzahl von in Genf angesiedelte UN-Organisationen, die vom WSIS-Gipfel ein Mandat für eine der 17 Aktionslinien des WSIS Plan of Action erhalten haben, eine ganze Serie von Workshops, Roundtables und Konsultationen von Sicherheit im Cyberspace bis zu eHealth. Auch die dem ECOSOC zugeordnete UN-Kommission für Wissenschaft und Technologieentwicklung (UNCSTD), die die Implementierung der WSIS-Beschlüsse für die Vereinten Nationen koordiniert, wird ihre jährliche Sitzung in der WSIS-Woche in Genf abhalten. Der 17. Mai war vom Tunis-Gipfel zum "Welttag der Informationsgesellschaft" deklariert worden.
Prof. Wolfgang Kleinwächter ist Mitglied des "High Level Panel of Advisers" der Global Alliance for ICT and Development".