2023 im Rückblick: Wirtschaftspolitik zwischen Inflation und Schuldenbremse

Wirtschaftlich war das Jahr 2023 turbulent. Die Ökonomin Friederike Spiecker ordnet steigende Zinsen, Inflation und die Schuldenbremse für uns ein. (Teil 1)

Das zurückliegende Jahr hat viel Anschauungsmaterial dafür geboten, wie es in der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik nicht laufen sollte. Dabei könnte es viel besser sein. Viele unbewältigte Probleme haben eine gemeinsame Ursache: Die Wirtschaftspolitik vertraut allzu oft einzelwirtschaftlichen Grundsätzen und erleidet Schiffbruch, weil die gesamte Volkswirtschaft ganz anders funktioniert.

Die Politik glaubt offenbar, die einzelwirtschaftlichen Grundsätze seien in den Vorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung so fest verankert, dass der Versuch, sie zurechtzurücken, nur scheitern könne.

Doch ohne ein ausreichendes gesamtwirtschaftliches Verständnis werden sich die Fehler nicht korrigieren lassen. Scheitern die demokratisch gewählten Politiker ein ums andere Mal, kommen früher oder später Scharlatane an die Macht.

Die Illusion des Geldbergs: Wie die EZB die Wirtschaft beeinflusst

Ein eklatantes Beispiel ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Direktorium der EZB hatte sich seit dem Sommer 2022 zu massiven Zinserhöhungsschritten entschlossen, weil seit Juli 2021 die Steigerungsrate der Verbraucherpreise zum ersten Mal seit fast durchgehend achteinhalb Jahren, über die geldpolitische Zielmarke von zwei Prozent gestiegen war.

Im Juli 2022 lag sie in der Eurozone bei knapp neun Prozent. In diesen Monaten hatten sich preistreibende Lieferengpässe aufgrund der Pandemie zwar langsam aufzulösen begonnen.

Aber der Krieg gegen die Ukraine und die gegen Russland daraufhin verhängten Sanktionen führten zu neuen preistreibenden realen Knappheiten und Finanzspekulationen, primär im Bereich Energie und Nahrungsmittel.

Schuldenbremse und Fiskalpolitik: Zeit für eine Neubewertung

Der öffentliche Druck auf die EZB, wenigstens auf diesen zweiten Preisschock mit Zinserhöhungen zu reagieren und die von vielen misstrauisch beäugte Nullzinsphase endlich zu beenden, nahm zu.

Die so einfache wie falsche Vorstellung von einem Geldberg, der durch eine über Jahre hinweg zu lockere Geldpolitik zu schnell gewachsen sei und eines Tages zu hoher Inflation führen musste, war und ist bis heute populär – nicht nur bei ökonomischen Laien, auch bei manchen Experten und auf sie hörenden Wirtschaftspolitikern.

Die Rolle der EZB in der europäischen Wirtschaftskrise

Und so setzten sich die Falken im Direktorium der EZB, gestärkt vom öffentlichen Rückenwind, durch, interpretierten die Preisschübe als mit Leitzinserhöhungen bekämpfbare Inflation und krempelten den Kurs der Zentralbank entsprechend um.

Unterstützung erhalten sie bis heute von Wirtschaftswissenschaftlern wie Clemens Fuest, Leiter des Münchener ifo Instituts, der z. B. in einem Vortrag am 4. Dezember 2023 in München sagte (ab Minute 10:50): "Wir haben hohe Inflation. Das heißt, wir sind in einer Stagflationssituation. Und bei hoher Inflation ist es so, dass es an allen möglichen Dingen mangelt, aber nicht an Nachfrage." Im Umkehrschluss rechtfertigt das dann ja, dass die EZB bis heute die angeblich hohe Nachfrage zu bremsen sucht, um die Inflation zu senken.

Doch schon im Oktober 2022, also nur ein Vierteljahr nach Beginn der Leitzinsanhebungen, erreichte die Steigerungsrate der Verbraucherpreise im Euroraum ihren Höhepunkt. Seither beruhigt sie sich rasch auf zuletzt weniger als zweieinhalb Prozent.

Das ist viel schneller, als die geldpolitische Straffung überhaupt wirken kann. Was zeigt, dass die Ursachen der Preissteigerungen nur eine temporäre Wirkung entfaltet haben, die sich von allein wieder zurückbildet. Trotzdem setzte die EZB die Straffung der Geldpolitik bis Ende September dieses Jahres fort.

Die Zukunft der Wirtschaftspolitik: Herausforderungen und Chancen

Die einmal eingeschlagene Richtung zur offiziellen Begründung ihrer Politik hindert die Verantwortlichen offenbar daran, ihren Kurs zu ändern, um den realwirtschaftlichen Schaden, den das derzeitige Zinsniveau in Europa bei der Investitionstätigkeit anrichtet und noch anrichten wird, einzudämmen.

Das ist der Zoll für die falschen und weitverbreiteten Ideen über Inflation, den nun ein ganzer großer Wirtschaftsraum zu zahlen hat, allen voran diejenigen, deren Arbeitsplätze durch die konjunkturelle Verschlechterung in Gefahr geraten, oder deren Chancen, überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen, sinken.

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