Staatsschulden sind eine Frage nach dem Demokratieverständnis
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Schuldenbremse – was ausgehandelt werden muss: Wer will von wem, was, wofür, wie, warum? Ein Beitrag zur Debatte.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von schuldenfinanzierten Corona-Hilfen des Jahres 2021 für Klimaschutzprojekte in den Folgejahren am 15. November als unzulässig verworfen hat, wird nicht nur über den konkreten Fall diskutiert, sondern vor allem über den Sinn von Verschuldungsbegrenzungen generell.
Dabei kommt eine noch grundsätzlichere Frage meist zu kurz: Wann und wie können Schulden demokratisch legitimiert werden?
Das Karlsruher Urteil (2 BvF 1/22) fiel eindeutig aus. Denn es benennt gleich drei Gründe für die Verfassungswidrigkeit des am 27. Januar 2022 vom Bundestag beschlossenen Nachtragshaushalts 2021, mit dem Kreditermächtigungen über etwa 60 Milliarden Euro mit neuem Verwendungszweck übertragen werden sollten.
Jeder dieser drei Gründe sei allein ausreichend für die Nichtigkeit des Nachtragshaushaltsgesetzes.
Erstens hat der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.
Zweitens widerspricht die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit.
Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die "Schuldenbremse" bei gleichzeitiger Anrechnung als "Schulden" im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig.
Drittens verstößt die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 15. November 2023
Die genaueren Ausführungen umfassen rund 50 Seiten, die Kernaussagen sind aber auch für juristische Laien nachvollziehbar.
Um die bisherigen Haushaltsplanungen im größtmöglichen Umfang zu retten, hat die Bundesregierung nachfolgend einen neuen Nachtragshaushalt beschlossen. Der Bundestag soll erneut eine außergewöhnliche Notsituation feststellen, um die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen.
Zwei grundsätzliche Haltungen
Bei der grundlegenden Diskussion über die Finanzierung von Staatsaufgaben stehen sich seit jeher zwei Haltungen gegenüber, mit ungezählt vielen, abwägenden Positionen dazwischen.
Die eine geht davon aus, dass auch die Politik grundsätzlich und mittelfristig nur ausgeben dürfe, was sie auch einnehme. Andernfalls verschulde sie künftige Generationen und nehme diesen damit Handlungsspielraum, verpflichte sie zur nachträglichen Finanzierung des heutigen Lebenswandels.
Die andere Haltung sieht Staatsverschuldung als Notwendigkeit für eine prosperierende Wirtschaft, für Erhalt und ggf. für nötig befundenen Ausbau der Infrastruktur und als Grundlage für künftigen Wohlstand.
Zu dieser Auffassung gehört der Slogan, ein Staat sei eben keine "schwäbische Hausfrau", die spätestens bis zu ihrem Tod erhaltene Kredite zurückgezahlt haben sollte.
Drei Möglichkeiten, wie Staaten mit Krediten umgehen können
Zu Beginn der Corona-Krise mit weltweit wachsender Verschuldung spielte ein Artikel der Zeit die drei gängigen Möglichkeiten durch, wie Staaten mit ihren Krediten umgehen können:
Man kann die Schulden erstens abtragen, man kann sie zweitens entwerten oder man kann sie drittens einfach ignorieren.
Spurlos in Luft auflösen werden sich Schulden allerdings nicht. Der Autor resümiert:
Am Ende wird die Rettungspolitik weniger teuer sein, als es Schuldenapokalyptiker Glauben machen wollen. Aber dass sie komplett zum Nulltarif zu haben sein wird, ist ebenfalls unwahrscheinlich.
Es werden Kosten anfallen. Umso wichtiger ist es, über die Verteilung zu reden. Sonst werden sie denjenigen untergejubelt, die sich am wenigsten dagegen wehren können: Den Schwächsten.
Mark Schieritz, Zeit-Online
Wären Staatsschulden "zum Nulltarif" zu haben, gäbe es für keinen Politiker Grund zur Mäßigung bei der Realisierung ihm und seiner Klientel lieben Projekten.
Man müsste dann überhaupt anarchistisch fragen, wozu permanent über Steuern diskutiert wird und warum Bürger in ihren finanziellen Freiheiten beschnitten werden, wenn der Staat doch einfach Kredite aufnehmen und diese, mit welchen Finessen auch immer, unbeachtet lassen könnte.
Demokratisch zu fragen ist daher bei schuldenfinanzierten Projekten wie bei jedem anderen "staatlichen Handeln": Wer will was von wem wofür wie warum? Im Zivilrecht lautet die bekannte Formel zur Klärung der Anspruchsgrundlage: Wer will was von wem woraus?