Staatsschulden zwischen Demokratie und Finanzmärkten

Schuldenlast durch Notenpresse verringert

Steigende Zinsen und schwaches Wachstum erhöhen die Gefahr von Schuldenkrisen. Doch die Handlungsfähigkeit der Regierungen ist begrenzt.

Spiegel-Kolumnist Henrik Müller hat den Inhalt des jüngsten "Fiscal Monitor" des IWF mit der Überschrift "Gefangen im World Wide Debt?" korrekt auf den Punkt gebracht. Allerdings verzichtet er angesichts weltweiter Staatsschulden in Höhe von 100 Billionen Dollar auf die Setzung eines Fragezeichens, was er wie folgt begründet:

Bei weiter steigenden Schulden, schwachem Wachstum und höheren Zinsen dürften Investoren zunehmend daran zweifeln, ob Staaten ihre Verbindlichkeiten weiterhin bedienen können.

Es seien daher Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen alternativlos. Das aber sei politisch nur schwer vermittel- und umsetzbar, weshalb "heftige Verwerfungen, bis hin zu üblen Schuldenkrisen" zu befürchten seien.

Demokratie und Fiskalpolitik

Müller weist mit dieser Aussage richtig darauf hin, dass ein Staat, der bei der Finanzierung von Haushaltsdefiziten auf den Finanzmarkt angewiesen ist, sich in ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis begeben hat: Je höher die Staatsschulden sind, umso mehr wird die "Politik der Regierungen […] der Disziplin der Finanzmärkte" unterworfen und damit deren "faktische Souveränität beschnitten", wie Wolfgang Streeck richtig schreibt.1

Diese Abhängigkeit einer Regierung von den Finanzmärkten ist allerdings als das Resultat der konstitutiven Regeln eines Fiskalregimes zu erkennen. Wenn es etwa einer Zentralbank erlaubt ist, ohne Wenn und Aber als Kreditgeber der letzten Instanz für seine Regierung zu agieren, sind "üble Schuldenkrisen" beliebig unwahrscheinlich.

Denn die Inhaber von Staatsanleihen wissen, dass eine Zentralbank Geld "aus dem Nichts" in beliebiger Menge produzieren kann und daher der Werterhalt ihrer Staatsanleihen gesichert ist. Die Macht der Finanzmärkte in einem solchen Fiskalregime ist also zweifelsohne eine Schimäre.

Im Rahmen eines solchen Fiskalregimes kann sich ein Land also beliebig hohe Schulden leisten. "Üble Schuldenkrisen" kann es daher nur geben, wenn ein Land Staatsanleihen in Fremdwährung emittiert oder aber eine Zentralbank nicht zuverlässig als Kreditgeber der letzten Instanz seiner Regierung fungiert.

Ist eine Regierung aber bei ihrer Kreditaufnahme auf eine Art von Garantie einer politisch unabhängigen Zentralbank angewiesen, ergibt sich aus demokratischer Warte ein problematisches Mitspracherecht einer Zentralbank, wie ich in meinem neuen Buch mit Bezug auf die Geldpolitik der EZB erkläre.

Èric Monnet – Professor an der renommierten Paris School of Economics widerspricht: "Demokratie" sei ein System von "Checks and Balances" und keineswegs eines einer "unbegrenzten Macht einer parlamentarischen Mehrheit". 2

Um die Zivilgesellschaft vor dem "Missbrauch der Demokratie durch Politiker zu schützen", seien – so ergänzt der bekannte englische Soziologe Colin Crouch – "staatliche Institutionen, die selbst nicht demokratisch sind" unabdingbar.

Eine wahrlich dialektische Demokratiekonzeption, die mit Blick auf politisch unabhängige Zentralbanken allerdings nur dann eine gewisse Plausibilität besitzt, wenn man unterstellt, ihr Mandat zum Erhalt der Preisstabilität eröffne ihr nur geringe Handlungsspielräume und sei im Interesse aller Bürger.

Wie sich inzwischen herumgesprochen haben sollte, ist allerdings spätestens mit der "unkonventionellen Geldpolitik" – dem massiven Ankauf von Staatsanleihen durch Zentralbanken – die Vorstellung, es gäbe eine Demarkationslinie zwischen der Geldpolitik einer Zentralbank und der Fiskalpolitik einer Regierung obsolet.

Was nach Meinung des Spiegel-Kolumnisten Thomas Fricke keine Fragen nach der demokratischen Legitimität der Staatsanleihenankäufe aufwirft, da sie fraglos im Gemeinwohlinteresse lägen:

[…] Asien-, Russland-, Dotcom-, Wiedervereinigungs- und Immobilienkrisen [haben] gezeigt, dass Finanzmärkte alles andere als immer rational sind und einen Hang haben, Schulden zu schaffen und zwischen Überschwang und Crash zu wechseln, was sich dann via Herdentrieb von selbst verstärkt. Das kann Länder völlig unverhältnismäßig treffen. Weshalb sich als Stand der Lehre international durchgesetzt hat, dass es in solchen kritischen Zeiten einen Retter in letzter Instanz geben muss […].

Nun ist kaum zu bezweifeln, dass einen Finanzcrash und damit verbundene "üblen Schuldenkrisen" die Stirn zu bieten, im Interesse aller liegt und die massiven Staatsanleiheankäufe durch Zentralbanken dazu ein probates Mittel sind.

Die damit verbundenen ökonomischen Verteilungseffekte aber sind keineswegs im Interesse aller, wie das Bundesverfassungsgericht richtig erkannt hat.

Was nach Meinung Frickes aber kein Einwand gegen die Staatsanleiheankäufe ist, was er wie folgt begründet:

Wenn unsere Richter von der Euro-Notenbank jetzt einfordern zu erklären, ob ihr Einsatz angesichts der Nebenwirkungen verhältnismäßig sei, ist das ein bisschen so, als würde man bei einem Großbrand die Feuerwehr auffordern, doch bitte zu erklären, warum jetzt überall der Boden nass werden musste.

Wider den Schuldenpopulismus

Frickes Feuerwehranalogie unterschlägt allerdings, dass die massiven Anleiheankäufe ein auf privater Geldschöpfung basierendes Finanzsystem befördern und stabilisieren, das den Überschwang der Finanzmärkte, Schulden zu schaffen, bewirkt.

Eine Stabilisierung dieses Systems verhindert aber damit eine Reform des Finanzsystems, die der privaten Geldschöpfung und der damit bewirkten Überfinanzierung einen Riegel vorschiebt, wie ich in meinem neuen Buch ausführlich begründe.

Vor den Gefahren einer "üblen Schuldenkrise" zu warnen, erweist sich allerdings vor dem Hintergrund der zwar als beendet erklärten, aber dennoch fortgesetzten Staatsanleiheankäufe durch Zentralbanken als gefährliche Panikmache.

Solange Finanzmärkte keinen Zweifel daran haben müssen, dass Zentralbanken weiterhin Staatsanleihen ankaufen, um deren Werterhalt zu sichern, werden sie nicht zögern, Staatskredite zu jedem einer Zentralbank genehmen Zinssatz zu vergeben.

Folgten aber alle Regierungen der Welt der Aufforderung des IWF, "daran zu arbeiten, Schulden abzubauen und Puffer für den nächsten Schock aufzubauen", dann ist eine weltweite Rezession mehr als nur wahrscheinlich. Denn Sparen ist aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive keine Tugend, sondern ein Problem.

Wird mehr gespart, also weniger von wem auch immer für den Erwerb von Wirtschaftsgütern ausgegeben, dann wird auch weniger von Unternehmen eingenommen und daher muss das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinken.

Was man einfach versteht, wenn man sich die ausgabenseitige Definition des BIP betrachtet. Es ist schlicht die Summe des heimischen Konsums, der unternehmerischen Investitionen, der Staatsausgaben und des Außenhandelssaldos.

Deutschlands verhältnismäßig gute Wirtschaftsentwicklung trotz niedriger Staatsschuldenquoten ist kein Gegenbeispiel. Wie Friederike Spiecker überzeugend argumentiert, erklären sich Deutschlands niedrige Staatsschuldenquoten ganz überwiegend mit seinen exorbitanten Exportüberschüssen.

Da aber logisch zwingend nicht alle Länder Exportüberschüsse haben können, steht der deutsche Weg der Konsolidierung der Staatsfinanzen der Welt nicht offen.

Spart aber der Staat weltweit, dann kann ein Sinken des BIP offensichtlich nur vermieden werden, wenn der Privatsektor sich höher verschuldet. Eine weltweit höhere Privatverschuldung dürfte aber mit Blick auf die Überschuldung vieler Unternehmen und Haushalte in vielen Ländern "üble Schuldenkrisen" im Privatsektor nach sich ziehen, die in erster Linie für Wirtschaftskrisen verantwortlich zu machen sind.

Zugegeben – vieles wäre sehr viel einfacher, wenn man Deutschlands niedrige Staatsschuldenquote damit erklären könnte, dass die "finanzpolitische Stabilität tief in der deutschen Befindlichkeit verankert" ist, wie Henrik Müllers steile These lautet.

Man könnte dann auf ein aufklärerisches Nudging mit Bezug auf die Modern Monetary Theory (MMT) nach dem folgenden Motto setzen: Ihr könnt alle viele schöne Dinge haben, wenn ihr alle Schuldenbremsen löst. Sorgen müsst ihr euch keine machen, weil ein Staat sein Geld selbst druckt und daher nicht pleitegehen kann.

Liz Truss als Premierministerin und Kwasi Kwarteng als Finanzminister Großbritanniens hatten diese Botschaft offensichtlich verstanden. Sie haben einen Spitzenbeamten des Finanzministeriums, der meinte, ihre fiskalpolitischen Reformen mit dem Hinweis abschmettern zu können, dass "alles irgendwie bezahlt" werden müsse, daher einfach entlassen.

Was allerdings die Finanzmärkte nicht daran hinderte, auf die Ankündigung ihres deficit-spendings hin massiv britische Staatsanleihen zu verkaufen und durch ihren so bewirkten Wertverfall Pensionsfonds in eine bedrohliche Schräglage gerieten und die Aufklärer zwang, den Rücktritt von ihren Regierungsämtern zu erklären.

Nach Meinung des britischen Ökonomen Simon Wren-Lewis Beleg für seine folgende Kritik an der MMT:

Man kann den globalen Kapitalismus oder seine nationalen Merkmale nicht wegwünschen, weil die britische Regierung ihre eigenes Geld emittieren kann […].

Kein Zweifel – ein empirisch adäquates Verständnis der Funktionsweise von Fiskalregimen erfordert die mühselige Analyse von historisch kontingenten und institutionell verfestigten Beziehungsgeflechten von Regierung, Zentralbank und Finanzmärkten in einem jeweils gegebenen vermachteten weltwirtschaftlichen Kontext.

Ohne eine solche Analyse läuft man Gefahr, eine Politik anzuempfehlen, die zwar "das Gute wollen" mag, aber dennoch "das Böse schafft".