Merkantilismus 2.0: Wie Deutschland seine Wirtschaftskraft auf Kosten anderer stärkt
Deutschlands Wirtschaftspolitik: riskante Exportabhängigkeit und Lohnzurückhaltung. Klimaschutz bleibt ungelöst. Ein Jahresrückblick. (Teil 2 und Schluss)
Ein scheinbarer Ausweg aus den negativen Folgen von der Idee, der Staat müsse möglichst sparen, besteht darin, dass Deutschland ausreichend viele Schuldner im Ausland findet. Ausreichend bedeutet in Höhe der Sparwünsche der Inländer einschließlich des Staates, um wenigstens Stagnation zu erreichen.
Noch besser ist es aus deutscher Sicht, wenn die Bereitschaft des Auslandes, sich zu verschulden, so groß ist, dass man sich im Inland keine Gedanken um die eigene wirtschaftliche Entwicklung machen muss.
Wettbewerbsvorteil durch Unterbewertung: Die Rolle des Euros
Erreichen lässt sich das, indem deutsche Produkte auf den internationalen Märkten preisgünstiger angeboten werden als von potenziellen Konkurrenten. Um das zu gewährleisten, muss der Euro im Vergleich zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands unterbewertet sein, was seit vielen Jahren der Fall ist.
Die Wettbewerbsfähigkeit lässt sich auch steigern, indem die inländischen Löhne im Durchschnitt zeitweise langsamer steigen als die durchschnittliche inländische Produktivität plus die durchschnittliche Inflationsrate der Handelspartnerländer. Ein auf diese Weise einmal errungener preislicher Vorsprung bevorteilt die Exportindustrie jahrelang, auch wenn er nicht weiter ausgebaut wird.
Allerdings ist diese Strategie nicht nachhaltig. Nicht nur, dass Deutschland extrem abhängig vom Konjunkturverlauf im Rest der Welt ist. Auch die inländische Nachfrage läuft insgesamt schlechter – den inländischen Beschäftigten entgeht durch die "Lohnzurückhaltung" ja ein Teil des Einkommenszuwachses, der aufgrund der Produktivitätssteigerung eigentlich möglich und für eine eigenständige positive Entwicklung der inländischen Nachfrage auch nötig wäre.
Investitionsdilemma: Inländischer Markt vs. Exportorientierung
Die lohnbedingt schwache Inlandsnachfrage macht darüber hinaus Investitionen in Hinblick auf den inländischen Absatzmarkt immer weniger attraktiv, sodass das absolute Produktivitätsniveau außerhalb der Exportindustrie langfristig langsamer wächst als in Ländern ohne dieses merkantilistische Vorgehen. Das Ausland verschuldet sich in Deutschland und verliert obendrein auf Dauer Arbeitsplätze, während es in Deutschland an Arbeitskräften fehlt.
Trotz der langfristigen Nachteile eines unausgeglichenen Handels für alle Beteiligten hält sich diese wirtschaftspolitische Strategie, weil die Drohung mit Arbeitsplatzverlusten bei einer angemesseneren Lohnpolitik regelmäßig verfängt. Bestes Beispiel dafür ist die ab Januar 2024 in Kraft tretende Mindestlohnanhebung um 41 Cent, auf die ein Jahr später wiederum eine Steigerung von 41 Cent folgen soll.
Dass die Arbeitgeberseite parallel dazu über Arbeitskräftemangel klagt, ist ein offensichtlicher Widerspruch. Doch eine Debatte darüber kommt nicht in Gang. Stattdessen beklagen Liberale wie Konservative, das Lohnabstandsgebot, also ein hinreichend großer Unterschied zwischen Bürgergeld und Mindestlohn, sei nicht gewahrt, seit das Bürgergeld in Übereinstimmung mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Reaktion auf die Preisschübe bei Energie und Lebensmitteln deutlich angehoben wurde.
Hier wird "arm" gegen "noch ärmer" ausgespielt, ohne dass große Teile der Bevölkerung merken, wie dadurch die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird. Und so kann sich die Politik des Merkantilismus halten und werden deutsche Handelsüberschüsse als Ausweis nationaler Stärke gefeiert, statt sie infrage zu stellen.
Nationale Klimapolitik: Gute Absichten, begrenzte Wirkung
Auch die nationalen Politikversuche zum Klimaschutz sprechen die Sprache der Einzelwirtschaft. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Kurzfristigkeit und Unausgereiftheit einzelner Maßnahmen. Viel wichtiger ist, dass alle Bemühungen, fossile Brennstoffe hierzulande oder auch in der EU einzusparen, keine positiven Erfolge beim Klimaschutz zeitigen können, solange sie nicht von einer exakt gleich großen Reduktion der Förderung fossiler Brennstoffe begleitet werden.
Denn auf den internationalen Märkten wirkt der Ausfall von Nachfrage aus einer Region, die fossile Brennstoffe netto importiert, preissenkend und damit nachfragefördernd irgendwo anders auf der Welt. Es klingt scheinbar zynisch, aber wer an der Lösung dieses Problems nicht ebenso intensiv arbeitet wie an der inländischen Verbrauchsreduktion, kann sich die Mühe und die vor allem sozialpolitischen Probleme, die mit einem Absenken des Konsums fossiler Brennstoffe verbunden sind, sparen.
Trotzdem steckt sich die deutsche wie die europäische Politik immer neue Einsparziele und doktert halbherzig an deren Einhaltung herum. Man will der Öffentlichkeit und vor allem der jüngeren Generation dadurch offenbar zeigen, wie ernst es den verantwortlichen Politikern und Politikerinnen mit dem Aufhalten des Klimawandels ist.
Doch scheut man sich, die verteilungspolitischen Konsequenzen klar zu benennen, die mit dem erforderlichen Strukturwandel innerhalb jedes Landes und zwischen armen und reichen Ländern verbunden wären, wenn eine tatsächlich wirksame Politik installiert würde.
Offen wird für den Green New Deal mit der Vorstellung geworben, Europa müsse nur dafür sorgen, weltweit die führende Kraft im Bereich grüner Technologien zu werden. Dann seien Einbußen an privatem Wohlstand vermeidbar und man käme dennoch beim Klima-, Umwelt- und Artenschutz weltweit voran.
Manche glauben noch an diese Erzählung, weil sie ihnen scheinbar nichts abverlangt. Doch je offenkundiger wird, dass sich der Klimaschutz weltweit nicht ausreichend in die richtige Richtung bewegt, desto mehr Menschen wenden sich von diesem dringendsten Thema enttäuscht ab, weil sie es für unlösbar halten.
Der fehlende internationale Konsens beim Klimaschutz
Die Klimakonferenz in Dubai ist bei der Absprache einer parallelen Reduktion von Produktion und Verbrauch fossiler Brennstoffe auf internationaler Ebene keinen Schritt weitergekommen, obwohl das ihre wichtigste Aufgabe als internationales Forum wäre. Aber auch hier wird nicht übergreifend gedacht. Erst wenn die Wirkungszusammenhänge klar verstanden und offen benannt werden, besteht die Chance, in – sicher auch dann noch sehr harten – Verhandlungen eine tatsächlich wirksame Strategie zu entwickeln.
Das Echo zu den Ergebnissen der COP 28 in einer Aktuellen Stunde des Bundestages zeigt, wie weit entfernt die deutsche Politik von dieser Einsicht ist. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung von der CDU formulierte: "Dass [das Abschlussdokument] … zum ersten Mal die Weltgemeinschaft dazu auffordere, "weg von fossiler Energie, hin zu Klimatechnologie", sei ein wichtiger Schritt. … Nun müsse an die Umsetzung gegangen werden."
Genau, aber wie die aussehen muss, ist so unklar wie vor der Konferenz. Und daher ist es keine Übertreibung zu bilanzieren, dass die COP28 beim Klimaschutz genau null erreicht hat. Der mit einer halben Milliarde US-Dollar befüllte Hilfsfonds für arme, besonders von der Klimakrise betroffene Länder weist in die Richtung, in die es momentan geht: bestenfalls Anpassung an den Klimawandel.
Wirtschaftspolitik in der Demokratie: Die Suche nach einem rationalen Ansatz
Solange wir Irrlehren als Leitlinien der Wirtschaftspolitik akzeptieren oder gar eine entsprechende Politik aktiv einfordern, ist keine Verbesserung der Wirtschaftspolitik zu erwarten. Schließlich leben wir in einer Demokratie, in der es für jeden Politiker und jede Politikerin naheliegt, der Mehrheitsmeinung nicht klar entgegenzutreten, um nicht von vornherein die eigenen (Wieder-)Wahlchancen zu minimieren.
Deshalb wünsche ich uns allen für das neue Jahr, dass wir auf gesamtwirtschaftlichem Gebiet rationaler und lernbereiter werden und dass es Menschen in der Politik gibt, die die gesamtwirtschaftlichen Interessen überzeugend vertreten und sich nicht in erster Linie nur als Sprachrohr einzelner Gruppen verstehen.
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