2023 im Rückblick: Wirtschaftspolitik zwischen Inflation und Schuldenbremse

Seite 2: Die Vorstellung vom zu großen Schuldenberg

Ganz zu schweigen von denjenigen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, welche bei steigender Arbeitslosigkeit regelmäßig unter dem Damoklesschwert von Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand stehen. Dass diese Gefahr besteht, lehren das Beispiel der Agenda 2010 ebenso wie die haushaltspolitischen Vorschriften, die Griechenland in der Eurokrise von der Troika abverlangt wurden.

Auch die Fiskalpolitik ist von einzelwirtschaftlichen Überlegungen geprägt. Der Glaube ist weitverbreitet, Staatsschulden seien grundsätzlich etwas Schlechtes, nicht zuletzt, weil sie die Finanzierungsmöglichkeiten privater Investitionen einschränkten, den Staatshaushalt mit Zinszahlungen und daher je nach Höhe auch zukünftige Generationen in unzumutbarer Weise belasteten.

Staatsschulden in der modernen Wirtschaft: Ein notwendiges Instrument

Oder man glaubt, eine steigende Quote der Staatsschulden gemessen an der Wirtschaftskraft eines Landes sei mittel- bis langfristig schädlich, auch wenn der Staat kurzfristig Krisen durch öffentliche Neuverschuldung abfedern kann.

Man sagt, die Möglichkeit, dass der Staat in Notlagen der Privatwirtschaft finanziell unter die Arme greifen könne, müsse immer wieder neu abgesichert werden, indem die Schuldenquote möglichst gering gehalten oder nach erfolgten Anstiegen wieder verringert werde.

Diese Art der Vorsorge nach dem Motto "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" sei notwendig, damit der Staat an den Finanzmärkten als vertrauenswürdiger Kreditkunde gelte und in Krisensituationen zu guten Konditionen, sprich: niedrigen Zinssätzen Finanzmittel erhalte.

Solche Vorstellungen sind ebenso populär wie falsch. Der erforderliche gesamtwirtschaftliche Blick geht ihnen völlig ab. Dennoch haben sie 2009 zur Verankerung der deutschen Schuldenbremse im Grundgesetz geführt, wozu eine Zweidrittelmehrheit der Bundestagsabgeordneten notwendig war.

Die Schuldenbremse: Ein Hindernis für wirtschaftliche Flexibilität

Die Schuldenbremse schränkt – spätestens seit ihrer Interpretation im Bundesverfassungsgerichtsurteil von Mitte November – die Handlungsmöglichkeiten des Staates zur mittel- und längerfristigen Bewältigung exogener Schocks ein. Vollständig verbietet sie, dass sich der Staat rechtzeitig darum kümmern darf, endogene, also vom System selbst produzierte Krisen von vornherein durch Neuverschuldung zu verhindern oder wenigstens während ihrer erkennbaren Anbahnung so klein wie möglich zu halten.

Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil explizit darauf hin (Ziffer 121), dass die Schuldenbremse gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge ignoriere und ihre Einhaltung daher gerichtlich besser überprüft werden könne als nach alter Rechtslage, als noch eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" vorliegen musste, um ein Überschreiten der regulären Grenzen für die Kreditaufnahme des Bundes zu rechtfertigen. Das ist juristisch sicher korrekt, zeigt aber in aller Klarheit das Desaster, das mit der Grundgesetzänderung von 2009 angerichtet wurde.

Die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Wirtschaftspolitik

Auch die europäischen Fiskalregeln enthalten bei aller Undurchsichtigkeit ihrer Berechnungsgrundlagen, praktischen Handhabung, Aussetzung und Wieder-in-Kraft-Setzung eine klar erkennbare Abneigung gegen öffentliche Verschuldung.

Egal, wie der aktuelle Streit um ihre Reform ausgeht, ist absehbar, dass sie wie die deutsche Schuldenbremse weiterhin den Blick auf den unumstößlichen Zusammenhang werden vermissen lassen, dass in der Gesamtwirtschaft immer die Einnahmen der einen die Ausgaben anderer sind.

Das bedeutet, dass Sparbemühungen der Privaten, also geringere Ausgaben, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dämpfen, weil es die Unternehmen Nachfrage kostet. Weil das so ist, trägt selbst eine leichte Abwärtsbewegung der Konjunktur die Gefahr in sich, sich zu einer großen Rezession auszudehnen. Nur der Staat kann jederzeit dagegenhalten, außer er ist durch unsinnige Regeln gefesselt.

Deutsche Schuldenbremse und europäische Fiskalregeln lähmen die Fiskalpolitik. Und am Ende zahlt eine ganze Region, allen voran Deutschland, einen hohen Preis dafür, dass die Bevölkerungsmehrheit einer ökonomischen Irrlehre aufsitzt, die aus der einzelwirtschaftlich rationalen Erkenntnis herrührt, sich in schlechten Zeiten besser nicht zu verschulden und im Laufe des Lebens nicht nur alle fälligen Zinsen zu bezahlen, sondern auch alle Schulden zu tilgen.

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