30 Millionen Euro gute Laune
Die Kampagne Du bist Deutschland will für Aufbruch sorgen
Sicher, die Situation ist alles andere als befriedigend. Auch eine Woche nach der Wahl hat Deutschland noch keine neue Regierung. Und obwohl die beiden großen Parteien CDU und SPD nie so wenig Stimmen auf sich vereinen konnten, machen sich eben diese beiden Verlierer nun gemeinsam an die Regierungsbildung. Haben wir das verdient? Anscheinend schon. Aber verzagen sollen wir nicht. Eine neue Werbekampagne will unserer typisch deutschen Miesepetrigkeit endgültig ein Ende bereiten. Arbeitslosigkeit, Verarmung, Zukunftsangst, Rassismus – und nun auch noch die große Koalition? All das war gestern. Heute ist die Zeit des großen Aufbruchs, denn: Du bist Deutschland. Ja, auch du!
Herzstück der gleichnamigen Kampagne (Hurra, ich bin Deutschland!) ist ein zwei Minuten langer Werbefilm, der bis zum kommenden Jahr in Fernsehen und Kinos zu sehen, mehr noch, nicht zu übersehen sein wird. 25 der größten Medienunternehmen haben Sendeplätze für umgerechnet 30 Millionen Euro freigestellt, damit auch wirklich jeder von der guten Laute angesteckt wird. Die Kampagne soll zudem auf Zeitungen und Zeitschriften ausgeweitet werden. Das Logo der Initiative, eine Art schwarz-rot-goldener Kothaufen, wird also allgegenwärtig sein.
Insgesamt stellen die Medienpartner in dem Kampagnenzeitraum von vier Monaten mehr als 30 Millionen Euro Mediavolumen bereit. Dadurch werden rund 1,6 Milliarden Kontakte erzielt. Dies entspricht einer rechnerischen Reichweite von 98%. Jeder Deutsche wird durchschnittlich 16 Mal angesprochen.
“Du bist Deutschland” sei, so hieß es vorab in der Pressemitteilung, “die größte Social Marketing Kampagne in der Mediengeschichte der Bundesrepublik”. Neben Unternehmen wie Bertelsmann, Springer und Gruner + Jahr (G + J) haben sich zahlreiche Prominente zur Teilnahme überreden lassen. So werden uns in den kommenden Wochen und Monaten Anne Will, Ulrich Wickert zusammen mit Oliver Kahn, Marcel Reich-Ranicki und Katherina Witt mit wunderbar positiven Losungen Mut machen.
Im derzeitigen TV-Spot sprechen rund 40 prominente und unbekannte Mitbürger den Text eines so genannten Manifests für Deutschland. Ihr gemeinsamer Vortrag soll sinnbildlich für die Botschaft der Kampagne stehen: Ungeachtet der Stellung in der Gesellschaft packen wir alle an, um Wohlstand zu schaffen. „Egal, wo du arbeitest. Egal, welche Position du hast“, wie zwei Hafenarbeiter vor dem Rumpf eines Schiffes verkünden. Spätestens bei dieser Passage beginnt man zu ahnen, dass die Kampagne vielleicht „überparteilich und politisch unabhängig“ ist, wie beteuert wird, bei weitem aber nicht ohne politischen Anspruch bleibt. Und den formuliert ein Chirurg im Operationssaal zu Ende: „Frage dich nicht, was die anderen für dich tun. Du bist die anderen." Im FDP-Programm hätte es nicht besser stehen können. Um dem Vorwurf des Defätismus vorzubeugen: Natürlich ist gegen den Appell an Eigeninitiative nichts einzuwenden. Doch liegen die sozialen Probleme tiefer, als Nachrichtenmoderatorin Anne Will uns mit dem Satz „Du bist der Baum“ glauben machen will.
Also, was soll das ganze? “Deutschland redet sich selber schlecht”, begründete der Vorstandsvorsitzende von G + J, Bernd Kundrun, das Projekt am vergangenen Freitag bei der Präsentation der TV- und Kinospots in Berlin. Dagegen wollten die Initiatoren einen Impuls setzen, “und einen Bewusstseinswandel für mehr Selbstvertrauen und Motivation anstoßen”. In die Arsch-hoch-Rhetorik reihte sich auch der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey, ein: “Wir müssen mit Unsicherheit und Verzagtheit Schluss machen.” Jeder einzelne solle daran erinnert werden, dass sein Beitrag für dieses Land wichtig sei.
Wen das ganze nun stark an den Auftritt einer Partei oder Nichtregierungsorganisation erinnert, der liegt so falsch nicht. In der ausliegenden Presseerklärung wird die “Initialzündung einer Bewegung für mehr Zuversicht” angekündigt. In bester Terminologie sozialer Bewegungen erklärte G + J-Chef Kundrun sodann: “Wir laden alle Menschen ein, sich dieser Bewegung anzuschließen.”
Bei so viel jäher Euphorie und Aufbruchstimmung sollte man ins Grübeln kommen. Immerhin waren es doch gerade die Unternehmerverbände, die uns über Jahre hinweg die Stimmung verdorben haben. Wir würden alle über unseren Bedarf leben, hieß es da. Wir müssten den Gürtel enger schnallen und endlich aufhören zu jammern. Und es waren eben die 25 Träger der neuen Kampagne samt ihrer Ulrich Wickerts und Anne Wills, die uns all diese Thesen immer wieder vortrugen. Dabei gibt es einen bedeutsamen Unterschied. In der Vergangenheit – seit 1989 also – hatte die zunehmende Endzeitstimmung vor allem zur Deregulierung des Sozialstaates gedient. Weil das Volk zu viel fordere, gehe es mit Deutschland den Bach runter, so lautete die langjährige Argumentationslinie in Ost und West.
Die Deutschland-Kampagne wird wohl erst dann ihren politischen Charakter offenbaren, wenn im neuen Bundestag in den kommenden vier Jahren vermeintliche Außenseiter gegen diese Politik antreten. Oder, wie es im TV-Spot heißt: „Meckere nicht über dein Land, sondern biete ihm deine Hilfe an.“ Gegen Anti-Patrioten wie Oskar Lafontaine werden wir dank der neuen Kampagne dann immun sein. Denn nun wissen wir: Es gibt keinen Unterschied zwischen oben und unten. Es gibt nur Deutschland. Und das lässt sich sein Kuschel-Gefühl nicht verderben.