A License to Kill
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Bellizisten und Friedensbesorgte streiten für und um den gerechten Krieg (Teil 2 und Schluss)
Die Regierten sind in ihren kriegsmoralischen Urteilen etwas freier als die Regierenden, insofern Letztere staatlichen Absichten und Sachlagen Rechnung zu tragen haben. Deshalb enthält die Kriegsmoral der Bürger wegen ihres Unterschieds zur offiziellen auch mehr Möglichkeiten zu eigener Interpretation und Fehldeutung, die zu Klagen an die Adresse der Politik führen können.
Teil 1: Frieden mit dem Krieg machen
Wenn Scholz, Habeck oder Lindner die gerechte Sache der Ukraine einerseits proklamieren, zum andern den deutschen Beitrag dazu mit anderen Staatszwecken – der beherrschbaren militärischen Eskalation, der gesicherten nationalen Energieversorgung oder der nachhaltigen Schuldenwirtschaft – abgleichen und Relativierungen vornehmen, haben sie ihre Gründe. Wenn die christliche Opposition sich damit profiliert, dass sie die gute Sache noch besser machen würde, gehört das zum parlamentarischen Prozedere.
Auch der verantwortliche Journalismus stellt zweimal täglich die richtigen Fragen in der korrekten Wortwahl:
Aus Kiew heißt es, schweres Gerät sei noch nicht angekommen. Welche Probleme gibt es bei der Lieferung? Tut die Bundesregierung genug, um den Verteidigungskampf der Ukrainer zu unterstützen?
Ankündigung zu Maischberger vom 24.5.22
Dieser konstruktiven Kritik verschließt sich sogar die Linkspartei nicht, deren Vertreter Jan van Aken (am 22.5.22 bei Anne Will) bemängelt, dass vor dem Schießen Putins Russland gar nicht ordentlich erpresst werde.
Moralische Rigoristen
Der moralische Rigorismus von Bürgern aber, bei dem belehrte Kriegsdienstverweigerer, bekehrte Maoisten und grüne Bellizisten keine unwesentliche Rolle spielen, interpretiert die Abwägungen der Regierung schnell als Widerspruchs zwischen Wort und Tat und zeigt sich irritiert.
Dann passen die Stückzahl und die Geschwindigkeit der Lieferung schwerer Waffen nicht, man vermisst den Mut, noch schwerere aufzufahren, betränt das gute Geld, das täglich für russisches Gas in Moskaus Kriegskasse fließe, und fordert im Namen der ukrainischen Toten, Leidenden und Helden eine Militarisierung der deutschen Verantwortung für das überfallene Volk um jeden Preis.
Wenn man nicht wüsste, dass solche Rigoristen den ungezählten Kriegsopfern weltweit durchaus mit einer Abstufung ihrer gefühlten Imperative zum Handeln begegnen, könnte man glauben, sie würden die vermisste Geltung ihrer Moralität schlicht nicht aushalten und deren unbedingte Wiederherstellung erschiene ihnen als eigentliche Aufgabe des Kriegs.
In der publizistischen Aufregung über den offenen Brief von Alice Schwarzer und Kollegen an den Bundeskanzler meldeten sich viele Wortführer dieser Gesinnung, um dem Defätismus von Emma die Stirn zu bieten. Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, initiierte einen Gegenbrief, der eine Entschlossenheit zum atomaren Risiko einfordert, die zum Fürchten ist:
Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist nicht durch Konzessionen an den Kreml zu bannen, die ihn zu weiteren militärischen Abenteuern ermutigen. […] Der Gefahr einer atomaren Eskalation muss durch glaubwürdige Abschreckung begegnet werden.
Klartext: Konzessionen, um die Weltkriegsgefahr zu bannen, fallen seit Gorbatschow bekanntlich einzig in die Schuldigkeit Moskaus und sind nur durch unseren Mut zum Abenteuer der eskalierenden Abschreckung zu erzwingen. Ihren singulären ethischen Wert sieht diese grüne Scharfmacherei darin, dass sie beweise, "wie ernst es uns mit dem deutschen 'Nie wieder' ist".
Ernste Fragen an Emma stellt im Spiegel auch Wolfgang Müller, "Musiker, Jahrgang 1975" mit Kindheitserinnerungen an "Kampfjets im Tiefflug" über sein hessisches Dorf. Seither herrschte trügerische Ruhe:
Dass der Tag kommen könnte, an dem man tatsächlich etwas für seine Ideale opfern müsste, für Freiheit, für Selbstbestimmung, kommt uns völlig fremd vor.
Aber nicht mehr lange, denn der Russe steht vor der Hauptstadt:
Dieses Mal ist es die Ukraine, das nächste Mal Moldau, übernächstes Mal Polen, dann vielleicht Berlin. Wo ist die Grenze? In der Krise zeigt sich der Charakter, sagt Helmut Schmidt. Faschisten sind bereit, jedes Leben und jeden Wohlstand zu opfern, um ihre Ziele zu erreichen, und alle freien Gesellschaften sind Putins erklärte Feinde. Ich fürchte, dass diese Gesellschaften, dass WIR ebenfalls bereit sein müssen, alles zu riskieren, um zu bestehen.
Also stellt uns, bevor wir "der Hauptangst um das eigene Wohlergehen" erliegen, Herr Müller die "Ursprungsfrage: Wie wollen wir leben? Und im Zweifel – wie wollen wir sterben?" Dass er auch dichtet, kann die moralische Verstiegenheit seiner Einfälle nicht entschuldigen: Um gegen den Feind zu bestehen, müssen wir Wohlergehen und Leben einer Sache opfern, die größer ist als wir – also dem Ruf des Charakters folgend zu Faschisten werden.
Töten hilft
Um es Emma gehörig zu geben, hat der Musiker noch eine Idee:
Was mit der Ukraine passiert, ist das staatliche Äquivalent zu einer Vergewaltigung durch den Ex-Mann. […] Vor diesem Hintergrund [spreche Schwarzer] die Empfehlung aus, lieber nicht zu arg zu helfen, um dem Gewalttäter keinen Vorwand für einen dritten Weltkrieg zu liefern.
So gesehen schützt also der Fücks’sche Mut zum atomaren Risiko auch noch vor sexueller Gewalt. Maik Koltermann, Chef der Hamburger Morgenpost und ehemaliger Kriegsdienstverweigerer, erinnert sich im gleichen Kontext an die alte Fangfrage der amtlichen Gewissensprüfer: "Würden Sie auf einen Angreifer schießen, der ihre Freundin vergewaltigen will?"
Die richtige, aber nicht zielführende Gegenfrage damals wäre gewesen: Wollen Sie damit andeuten, die Bundeswehr sei gegründet worden, um jungen Pärchen gefahrlose Waldspaziergänge zu ermöglichen? Diese Entgegnung gilt auch der aktuellen Moralkeule der Anwälte des gerechten Kriegs:
Der Ukraine die Waffen vorzuenthalten, bedeutet nur, dass die russische Armee mehr und mehr Gebiete erobert, mehr und mehr Zivilisten tötet, mehr und mehr Frauen vergewaltigen kann.
Anton Hofreiter
Noch einmal zum Mitschreiben, weil es eigentlich für jeden evident ist: Auch deutsche Panzer dienen nicht dem Zweck der Lebensrettung oder dem Wohl der Bevölkerung, sondern kommen für staatliche Kriegsziele zum Einsatz, für die die Vernichtung von Menschen und Reichtum notwendiges Mittel und kalkulierte Folge ist. Koltermann aber muss gestehen, dass er der alten Gewissensfrage etwas abgewinnen kann, indem er sie in schon bekannter Weise verlängert.
Dabei erklärt er ein nur als "Wir" bekanntes Subjekt zum Besitzer von Polen, das sogar ans Aufgeben denkt:
Wie reagieren wir, wenn das nächste Land angegriffen wird? Bieten wir Putin dann Polen an? Wie reagieren wir, wenn wir angegriffen werden? Geben wir auf? Lieber lebendig als frei?
Das seien "schreckliche, albtraumhafte Fragen, auf die ich keine guten Antworten habe. […] Aber meine alten Antworten und Gewissheiten funktionieren nicht mehr." Solche Abflüge in eine moralische Parallelwelt kauft man sich ein, wenn man auch in Kriegszeiten an der Ineinssetzung von Volk und Herrschaft festhält und zur kontrafaktischen Bestimmung des Kriegs als Schutz dieser "Gemeinschaft" übergeht.