Frieden mit dem Krieg machen
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Über Kriegsmoral: Die aktuelle deutsche Lesart der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung, Teil 1
Nach "Give War a Chance" ein paar fortführende Überlegungen dazu, wie die sachlichen Gründe des Ukraine-Kriegs und ihre moralische Überhöhung in der deutschen Politik und Öffentlichkeit zusammengehören
Seitens der Führungsmacht des Westens hat man nicht gehört, dass dort eine "Zeitenwende" ausgerufen worden wäre. Der Umgang der USA mit dem russischen Angriff auf die Ukraine lag ganz auf der Linie der Sicherung einer Friedensordnung, der auch davor schon die Osterweiterung der Nato und daneben der EU, die Modernisierung aller Kriegswaffen sowie die Abkehr von Rüstungsabkommen zugedacht waren (eine umfassende Analyse findet sich hier).
Denn die maßgebliche Definition von Frieden besteht darin, dass die Staatenwelt anerkennen und als Grundlage ihres wirtschaftlichen und politischen Verkehrs nehmen soll, was die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten als Regime der westlichen Werte und Freiheiten erschaffen haben. Dem ökonomischen Kern davon hat das nachsowjetische Russland zwar eifrig Rechnung getragen, seine Gesellschaft auf die Partizipation am globalen Kapitalismus hin ausgerichtet und ihm billige Energieträger und neue Wachstumsquellen beschert.
Ungetrübt war die Freude der freien Welt darüber allerdings nicht. Denn in der strategischen Qualität der Atomwaffen, die die russische Föderation geerbt, gepflegt und verbessert hat, sah und sieht der Westen einen entscheidenden Widerspruch zur geforderten Art der Beteiligung am Weltmarkt. Bei der ist verlangt, die Hierarchie zu akzeptieren, die aus kapitalistischem Erfolg oder Misslingen hervorgeht, sowie Korrekturen dieser Konkurrenz nur nach erlaubten Regeln anzustreben.
Deren Setzung, das wissen die USA am besten, ging nicht aus einem Treffen der Völkerfamilie hervor, sondern aus einem Weltkriegsergebnis, von dem ausgehend die amerikanische Siegermacht mit dem überlegenen Dollar und mithilfe von Waffen bis hin zur atomaren Abschreckung ein globales System errichten konnte, dessen unangefochtene Geltung seither Frieden heißt.
Durch die entsprechende nukleare Gegendrohung gelang es der Sowjetunion, ihren Staatssozialismus den gesetzten Regeln eine Epoche lang zu entziehen – was im Prinzip für die marktwirtschaftlich bekehrte Föderation noch immer gilt.
Dem Gewaltverbot der US-amerikanisch dominierten Weltordnung steht Russlands Nuklearmacht im Wege und verleiht ihm die Fähigkeit, auch außenpolitisch dagegenzuhalten. Es bedroht also immerfort den Frieden, den die Nato und ihre Expansion nur verteidigen.
Der Einmarsch in die Ukraine stellt den Versuch dar, mit der kriegerischen Reklamation eines Einflussgebiets zugleich den generellen Respekt der Nato-Staaten einzufordern, wogegen der US-Präsident gleich eine neue Epoche des Kampfes Autokratie gegen Demokratie ausruft.
Daraus resultiert ein Kriegsverlauf, in dem der Westen auf einen hochgerüsteten Stellvertreter setzt und damit und dabei, wie die russische Seite auch, die atomare Schwelle nicht überschreiten will – gerade weil sie im Hintergrund der stattfindenden Kämpfe präsent ist.
Folglich werden die freiheitlichen Protektoren der Ukraine mit jedem taktischen Erfolg ihres Schützlings risikofreudiger und eskalieren mit ihm gemeinsam den Krieg in Schritten, die vor allem die deutschen Politiker in den jeweiligen Vorwochen noch als ungangbar betrachtet haben.