Frieden mit dem Krieg machen

Seite 3: Die Moral zur Sache

Das ist so ungefähr die Sache, um die es im Ukrainekrieg geht. Die Weise, wie die beteiligten Staaten sie betreiben, geht mit einer Kriegsmoral einher, die zwei Abteilungen hat – eine der politisch Maßgeblichen und eine der unmaßgeblichen Mitmacher.

Die eine kam im Anspruch des Westens, seine Maxime und die Friedensordnung zu verteidigen, schon zur Sprache. Dies, wie viele Linke es tun, als reine Heuchelei aufzufassen, als ein böses Spiel mit hohen Werten, hinter dem sich Macht- und Geldinteressen verbergen, greift zu kurz.

Natürlich heucheln deutsche oder US-amerikanische Minister, wenn sie verlautbaren, sie würden die Ukraine mit Panzern versorgen, um das souveräne Recht Kiews auf freie Wahl der Bündnispartner hochzuhalten. Schließlich haben sie den Euro-Maidan unterstützt, um die Russen aus dem Angebot zu nehmen.

Wenn die deutsche Chefdiplomatin vor der Uno die "Geburt der kleinen Mia in der Kiewer U-Bahn" als Auftrag zur Verschärfung des antirussischen Waffengangs anführt, nehmen selbst die Qualitätsmedien das nicht wörtlich, sondern loben die "gelungene Emotionalisierung" (Bild-Vize bei Lanz, 19.5.22).

Bei der Darstellung der eigenen Außenpolitik als eine von Werten geleitete geht es aber um mehr. In dieser Fassung kennen moderne Staaten ihre Interessen. Freiheit, Frieden, Völkerrecht, auch die Kinder im Bunker sind dann unvermeidliche Titel, unter denen ein Staat den Konkurrenten und Feinden diese Interessen als mehr als das, nämlich als legitime, allgemeine, alle Nationen verpflichtende Prinzipien aufnötigen will.

Widerstand dagegen lässt sich so zum unmoralischen Angriff auf berechtigte Anliegen erklären, deren Verteidigung bis hin zum gerechten Krieg für den Frieden sittlich geboten ist. Wirksamkeit wie Glaubwürdigkeit gehen freilich nicht aus der professionellen Handhabung dieser diplomatischen Kunst hervor, auf die sich jeder Souverän versteht. Sie wissen alle, dass die anerkannte Lauterkeit staatlicher Interessen die Beigabe zur profanen Gewalt ist, die dieselben erfolgreich behauptet und durchsetzt.

Trotzdem oder gerade deshalb will kein Politiker auf den Einsatz und die Leistung dieses staatsmoralischen Instruments verzichten, von dem er weiß, dass es auch an der Heimatfront seine Wirkung entfaltet. Auch Putin führt nach seinen Worten nur eine berechtigte Sonderoperation gegen nazistische Aggressoren durch und sorgt sich um die Kinder von Mütterchen Russland unter Fremdherrschaft.

Während die russische Mehrheitsgesellschaft diese Heiligung des Kriegs ziemlich unbesehen glaubt und die Konsequenzen mitträgt, blicken ihre Zeitgenossen in der westlichen Welt bei der Propaganda der Herren im Kreml nur allzu gut durch.

Zu diesem Durchblick gehört umgekehrt, dass die wachen Bürger durch die bloße Kunde vom "russischen Angriffskrieg" schon genügend wissen, um einen profunden Schuldspruch zu fällen und ihrerseits zum Schulterschluss mit ihrer Regierung überzugehen.

Hier findet dann die zweite Abteilung des Kriegsmoralismus in Volk und Öffentlichkeit statt, die von der ersten, die der politischen Entscheidungsträger, entsprechend angeleitet wird. Die allerdings kennen und handhaben das funktionale Verhältnis dieser Moral zur Staatsräson, was sie von den untergebenen Bürgern unterscheidet, die sich einen Reim auf den guten Zweck des militärischen Engagements ihrer Nation machen sollen.

Diese Art, mit dem Krieg seinen Frieden zu schließen, gelingt in aller Regel reibungslos, obwohl sie vornehmlich von den normalen Leuten ausgebadet werden muss, und die deutschen noch vergleichsweise billig wegkommen, falls sie für die westlichen Werte nur ein wenig frieren und Teile ihres Einkommens drangeben müssen.

Von der Kriegsmoral der Regierten handelt der zweite und letzte Teil.