AKW-Befürworter: Zwischen Verehrung des freien Marktes und Abhängigkeit vom Staat
Großbritannien und Österreich im Atomstreit über Hinkley Point C. Wie wettbewerbsfähig ist Atomenergie?
Zwischen Großbritannien und Österreich schwelt ein Atomstreit. Großbritannien lässt neue Atomkraftwerke bauen. Gegen eines dieser Bauprojekte - das an der Küste der Grafschaft Somerset gelegene Atomkraftwerk Hinkley Point C - will das Land Österreich klagen. Der Grund: Die Finanzierung sei mit dem europäischen Wettbewerbsrecht nicht vereinbar.
Nicht nur Österreich ist dieser Meinung. Auch 20 europäische Stromproduzenten aus erneuerbaren Energien wollen gegen Großbritannien rechtliche Schritte einleiten. Bereits Ende November 2014 reichten die Elektrizitätswerke Schönau aus dem Schwarzwald eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein.
Doch Großbritannien ficht das nicht an. Österreich erhielt bereits eine Protestnote, in der die Inselmonarchie Maßnahmen ankündigt. Kein Vorhaben Österreichs soll mehr vor einer eskalierenden Abfolge rechtlicher Maßnahmen Großbritanniens sicher sein. Der von Großbritannien ausgeübte Druck geht über den Einzelfall Hinkley Point hinaus. So soll Österreich die Atomkraft als "nachhaltige Energiequelle" anerkennen, andernfalls müsse das Land "beim EU-internen effort sharing einen größeren Anteil" tragen.
Hinkley Point C: ohne Beihilfen des britischen Staates und der EU unmöglich
In Großbritannien herrscht über Parteigrenzen hinweg Einigkeit über den Bau neuer Atomkraftwerke. Schon 2008 wurde das unter der von Tony Blair und Gordon Brown geleiteten Labour Regierung beschlossen. Auch die Konservativen waren damals dafür. Sie gaben damals aber eine Warnung mit auf den Weg. Unter keinen Umständen, so forderten sie, dürften staatliche Gelder für den Bau neuer Kraftwerke ausgegeben werden.
Und hier wird es spannend. Denn der nun von einer konservativ/liberaldemokratischen Koalitionsregierung vehement verteidigte Neubau Hinkley Point C wäre ohne Beihilfen des britischen Staates und der Europäischen Union unmöglich. Im Gegenteil: Die Kosten eskalieren und das Projekt sieht sich trotz massiver staatlicher finanzieller Unterstützung mit Problemen konfrontiert, deren Lösbarkeit zunehmend angezweifelt wird. Ein Hauptproblem scheint darin zu liegen, dass in Hinkley ein in dieser Form noch nicht existierender Reaktortyp gebaut werden soll.
Dieser Meinung ist Tony Roulstone, der einen Masterstudiengang über nuclear engineering an der Universität Cambridge leitet. Er stellt fest, dass ähnliche Bauprojekte in anderen Ländern in der Krise stecken und deren Regierungen, unter anderem die chinesische, in Zukunft nicht mehr solche Reaktoren bauen lassen wollen.
Finanzielle Schwierigkeiten der Konzerne
Es sind diese Schwierigkeiten, die auf die in Hinkley involvierten Firmen finanzielle Auswirkungen haben. So machte der unter anderem auf den Bau von Atomkraftwerken spezialisierte AREVA Konzern letztes Jahr drei Milliarden Euro Verlust. Diesen Verlust soll unter anderem der ebenfalls französische EDF-Konzern ausgleichen. Geht es nach dem Willen des französischen Staates, soll EDF bei AREVA Anteile kaufen.
Doch auch bei EDF geht es finanziell nicht rund. Die Profite des französischen Staatskonzerns sind 2014 im Vergleich zu 2013 um 25% gesunken. Auch EDF steckt in der AREVA-Krise mit drin. Im finnischen Olkiluoto und dem französichen Flamanville ist EDF am Bau von EPR Reaktoren beteiligt, die von AREVA und Siemens entwickelt wurden. Die Baukosten jener Reaktoren sind von jeweils drei auf 8,5 Milliarden Euro eskaliert. Auch die für Hinkley Point geplanten Reaktoren sollen EPR Reaktoren sein.
Dort sollen auch chinesische Staatskonzerne an der Finanzierung beteiligt werden. Doch diese zieren sich, nicht zuletzt wegen der oben genannten Schwierigkeiten. Die chinesischen Konzerne CGN und CNNC haben scheinbar Angst, ein Fass ohne Boden aufzumachen. Sie fordern deshalb vom französischen Staat finanzielle Sicherheitsgarantien, falls das Hinkley Point Projekt Pleite geht.
Zusätzlich hat EDF bei der britischen Regierung neue Forderungen aufgestellt. Der französische Konzern fordert Kompensation von Großbritannien, falls sich Österreich mit seiner Klage vor dem europäischen Gerichtshof durchsetzen sollte. Kein Wunder, dass Großbritannien gegenüber Österreich derart allergisch reagiert. Auf jeden Fall verzögert sich durch dieses Hickhack der Baubeginn um mindestens einige Monate.
Erstaunliche Kehrtwende bei den britischen Konservativen - und bei der EU
Bislang hat Großbritannien alles Menschenmögliche getan um den Konzernen den Bau von Hinkley Point C zu ermöglichen. Im Oktober 2014 gab es dafür das okay der EU-Kommission, die im Fall der Atomenergie ein "Versagen des Marktes" geortet haben will. Somit konnte Großbritannien mit EDF einen Vertrag abschließen, der dem Konzern über 35 Jahre einen Abnahmepreis von 11 Cent pro Kilowattstunde garantiert. Das ist das doppelte des derzeitigen Marktpreises für Strom in Großbritannien. Zusätzlich will Großbritannien für alle Baukosten - egal wie teuer sie werden - aufkommen.
Das ist eine erstaunliche Kehrtwende insbesondere der Konservativen, die sich ja noch 2008 vehement gegen jegliche staatliche Finanzunterstützung für die Atomenergie aussprachen. Erstaunlich ist auch die Kehrtwende der EU-Kommission, denn noch 2013 war sie gegen die von Großbritannien geplanten Finanzspritzen für die Atomindustrie. Auf jeden Fall ist es in Zeiten britischer Debatten über einen möglichen EU-Austritt ein Wink mit dem Zaunpfahl der EU in Richtung britischer Geschäftsinteressen.
"Atomenergie schlichtweg nicht wettbewerbsfähig"
In ihrer im Auftrag der Elektrizitätswerke Schönau verfassten Beschwerdeschrift an die EU-Kommission hält Rechtsanwältin Cornelia Ziehm fest, hier handele es sich nicht um ein Marktversagen, sondern vielmehr um ein Technologieversagen der Atomkraft. Die Atomenergie sei schlichtweg nicht wettbewerbsfähig.
Die zwischen Großbritannien und EDF abgeschlossenen Verträge verfolgten den Zweck, die Atomenergie vor dem Wettbewerb etwa durch erneuerbare Energien zu schützen, so der Vorwurf Ziehms:
Schließlich soll zwischen Großbritannien und EDF ein 'Schutz' des Projektes gegen bestimmte gesetzliche oder regulative Änderungen vereinbart worden sein. Einzelheiten dazu sind nicht öffentlich bekannt. Der seinerzeitige Wettbewerbskommissar hat sich allerdings am 8. Oktober 2014 dahingehend geäußert, dass Erbauer von Atomkraftwerken vor politischen Risiken zu schützen seien, weil nachfolgende Regierungen ihre Meinung über die Notwendigkeit der Atomenergienutzung ändern könnten.
Eine Analyse von Dr. Philip Johnstone der Universität Sussex vom 17. Februar scheint diese Sichtweise zu bestätigen. Er schreibt:
Das britische Planungssystem wurde so umgestaltet, dass die Nuklearindustrie ihre Vorhaben schneller umsetzen kann. Die Regierung hat eines der international besten Systeme geschaffen, um der Nuklearindustrie bei der Umsetzung von Projekten zu helfen.
Auch politisch greift man der Atomindustrie gerne unter die Arme. Das war kurz nach der Katastrophe in Fukushima der Fall, als führende britische Beamte mit der Atomindustrie Kontakt aufnahmen, um eine gemeinsame Medienstrategie gegen einen befürchteten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung gegen die Atomenergie zu erarbeiten. Der entsprechende E-Mailverkehr wurde seinerzeit von der Tageszeitung Guardian veröffentlicht.
Ohne staatliche Hilfe scheint die Atomindustrie hilflos zu sein. Dr. Philip Johnstone findet das bemerkenswert. Er schreibt:
Wieder einmal wird der zentrale Widerspruch der Atomkraftbefürworter deutlich: Auf der einen Seite die enthusiastische und fast religiöse Hingabe an die 'liberalisierten Märkte' und ein Hass auf jegliche staatliche Intervention. Und auf der anderen Seite das Bedürfnis, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, welches noch nie in einer liberalisierten Wirtschaft gebaut wurde.
Die Atomkonzerne Areva und EDF dürfen sich jedenfalls freuen. Das britische Engagement stellt für sie ein Rettungspaket dar. An beiden Konzernen hängen unter anderem in Deutschland und Frankreich zehntausende Jobs. Auch das vielleicht ein Grund für Entscheidung der EU-Kommission, hier die Grundsätze des freien Marktes gepflegt zu ignorieren.