ARD-Stilblüten: Wenn Nagetiere sich öffentlich bei Twitter verschwören

Das Wort "Ratten" ist gestrichen. Was bleibt, ist der Generalverdacht gegen Menschen, die dem Staat nicht restlos trauen. Symbolbild: GDJ auf Pixabay (Public Domain)

Mediensplitter (12): Für das Wort "Ratten" hat sich der Sender entschuldigt. Jetzt geht es nur noch gegen "Rassistisches oder Verschwörerisches". Gemeint ist wohl Verschwörungsmystik. Aber wo fängt die an – und wo endet gesundes Misstrauen zum Beispiel gegenüber Geheimdiensten?

Die ARD hat sich nun also für die viel kritisierte Passage in einem Meinungsbeitrag zur Twitter-Übernahme durch Elon Musk auf ihrer Internetseite tagesschau.de entschuldigt und das Wort "Ratten" aus dem gestrichen – ebenso wie die Formulierung, diese sollten "in ihre Löcher zurück geprügelt werden".

Die Passage wurde geändert. Wir bitten um Entschuldigung für die Wortwahl. Es war nie das Ziel, jemanden zu entmenschlichen.


Aus der nachträglich ergänzten Anmerkung der ARD zu ihrem "tagesschau.de"-Kommentar "Sieben Tage der Zerstörung"

Was an der Passage sonst noch problematisch war, ging angesichts der Nagetier-Metapher völlig unter. In der ursprünglichen Fassung des Kommentars hieß es:

Musk hat auch angekündigt, dass Twitter zum "Marktplatz der Debatte" werden solle. Aber auf seinem "Marktplatz" sollen offenbar auch rassistische oder verschwörerische Ratten aus ihren Löchern kriechen dürfen. Twitter kann nur relevant bleiben, wenn genau diese Ratten - um im Marktplatzbild zu bleiben - in ihre Löcher zurück geprügelt werden.


So die ursprüngliche Wortwahl, für die sich der Sender entschuldigte.

In der aktualisierten Fassung heißt es:

Musk hat auch angekündigt, dass Twitter zum "Marktplatz der Debatte" werden soll. Aber auf seinem Platz soll offenbar auch Rassistisches oder Verschwörerisches Platz haben.

Wieder einmal scheint hier "Verschwörerisches" als Synonym für "Verschwörungstheorien" oder Verschwörungsmystik herzuhalten. Anderes ergäbe wenig Sinn. Öffentliche Verschwörungen hätten für potenziell Betroffene nämlich den Vorteil, dass sie früh genug bemerkt würden, um "die gemeinsame Planung eines Unternehmens gegen jemanden oder etwas (besonders gegen die staatliche Ordnung)" – so die Definition von "Verschwörung" im Duden – zu durchkreuzen.

"Verschwörerisches" in der Öffentlichkeit, ein Widerspruch in sich

Deshalb wären "Verschwörer", die sich über solche Pläne öffentlich oder halböffentlich via Twitter oder in anderen "Sozialen Netzwerken" verständigen, auch nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Den Ermittlungsbehörden würden sie die Arbeit immens erleichtern. Nicht umsonst wird unter "Verschwörung" in der Regel eine geheime Absprache verstanden.

Ein Beispiel für eine rassistische Möchtegern-Terrorgruppe, die es mit der Geheimhaltung nicht so genau nahm und selbst von einem ihrer Strafverteidiger als "Gurkentruppe" bezeichnet wurde, gibt es allerdings in der jüngeren deutschen Geschichte: Die 2015 ausgehobene "Oldschool Society" hatte sich bei Facebook derart unbedarft verhalten, dass nicht einmal der Verfassungsschutz wegschauen konnte.

So konnte der deutsche Inlandsgeheimdienst zwischen allen Negativ-Schlagzeilen im Zusammenhang mit der Mord- und Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) auch einmal einen Erfolg im Kampf gegen Rechts vermelden.

Der NSU-Komplex ist mit Abstand das prominenteste Beispiel dafür, dass auch an Aufklärung interessierte Linke und sogar Opferanwälte im Zusammenhang mit Rechtsterrorismus Gefahr laufen können, als "Verschwörungstheoretiker" abgestempelt zu werden. Denn die Rolle der Inlandsgeheimdienste war hier mehr als dubios; und ein gesundes Misstrauen gegen sie war mehr als berechtigt. "Im NSU-Prozess grassieren Verschwörungstheorien", beklagte 2015 die Korrespondentin des Spiegel.

Ein Unterschied zur Verschwörungsideologie oder Verschwörungsmystik, die keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte braucht und keine Plausibilitätsprüfung zulässt, wird im gängigen Sprachgebrauch nicht gemacht – "Verschwörungstheorie" funktioniert schon seit längerer Zeit als Kampfbegriff.

Staatlichen Akteuren wird damit ermöglicht, unangenehme Fragen entweder gar nicht zu beantworten oder mit einem arrogant-mitleidigen Lächeln. Wer es wagt, Geheimdiensten etwas Schlechtes zuzutrauen, wird damit in die Ecke der Aluhüte und Ufologen gestellt.

Wenn dann auch noch "Verschwörerisches" als Synonym für diesen Kampfbegriff benutzt wird, kann das im schlimmsten Fall bedeuten, dass allzu kritisches Denken über staatliche Institutionen schon als Vorstufe zu eigenem verschwörerischem Handeln gilt. Aber so weit wurde hier vielleicht gar nicht gedacht – womöglich ist der Sprachgebrauch einfach nur schlampig.

Wer kann alles gemeint sein?

Einige fanden vielleicht den ARD-Kommentar in seiner ursprünglichen Fassung halb so wild, weil sie dachten, als "Ratten" müssten sich nur Leute mit wirklich unappetitlichen Meinungen angesprochen fühlen, die andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft diskriminieren oder an eine jüdische Weltverschwörung glauben – oder zumindest an heimlich verimpfte Mikrochips, selbst wenn sie dabei nicht an Juden denken.

Hier verschwimmt aber bereits die Grenze zwischen böswilligen Demagogen und Verwirrten, die sehr schnell auch zu Opfern der eigenen Ideologie werden können.

Abgesehen davon, dass Tierfreunde in solchen Fällen einwenden, Ratten würden unserem Heimatplaneten doch weniger schaden als unsere eigene Spezies, ging es in diesem Fall eindeutig um metaphorische Schädlingsbekämpfung, die immer problematisch ist, wenn sie auf Menschen abzielt.

Bei Verwirrten ist sie noch problematischer als bei Böswilligen; und bei einer so schwammigen Formulierung wie "Verschwörerisches" sind eben nicht nur Verwirrte oder Böswillige potenziell mitgemeint. Alle, die staatlichen Institutionen misstrauen und das offen zum Ausdruck bringen, können letztendlich damit gemeint sein.

Die Springer-Zeitung Die Welt identifiziert den Autor des ARD-Kommentars als "Antirassisten" - und meint, die Gewaltfantasien "der" Antirassisten seien damit entlarvt. Tatsächlich steht der Kommentar nur für einen sehr staatstragenden Teil des antirassistischen Spektrums.