Russlands S-500: Die Herausforderung für die Nato

Trägerlastwagen des S-500 Flugabwehrraketensystems

S-500 Flugabwehrraketensystem. Bild (von 2021): Pressedienst des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation

Mit einer Reichweite von 600 Kilometern übertrifft Prometheus die Abwehrsysteme des westlichen Verteidigungsbündnisses. Könnte es sogar F-35-Tarnkappenjets aufspüren?

Russland hat offenbar das erste Regiment des neuesten Flugabwehrkomplexes S-500 "Prometheus" in Dienst gestellt. Dies teilte laut der Website Eurasiantimes der Generalstabschef der Russischen Föderation, General Waleri Gerassimow, am 18. Dezember bei einer Präsentation vor ausländischen Militärattachés mit.

Einzelne Komponenten des S-500-Systems sollen laut The War Zone bereits im Juni dieses Jahres in der Nähe der Brücke von Kertsch auf der Krim stationiert worden sein.

Reichweite von bis zu 600 Kilometern

Die S-500 ergänzt das bekannte S-400 "Triumf" System nach oben, mit erweiterten Fähigkeiten zur Abwehr von Weltraumzielen. Der neue Komplex soll in der Lage sein, Ziele in einer Reichweite von bis zu 600 Kilometern zu bekämpfen – ein Wert, der bisher von keinem Nato-System erreicht wurde.

Während das amerikanische THAAD-System, das dem russischen in seinen Fähigkeiten am nächsten kommt, eine maximale Reichweite von etwa 200 Kilometern hat, würde die S-500 mit 600 Kilometern den dreifachen Wert erreichen – vorausgesetzt, die Angaben, die, übermittelt vom staatlichen Sender Ria Nowosti, auch einen propagandistischen Wert haben, treffen zu.

Zum Vergleich: Das Patriot-System aus US-amerikanischer Produktion kommt in seiner neuesten Version auf eine Reichweite von 160 Kilometern.

Theoretisch könnte es auch Raumschiffe abwehren

Die S-500 soll sowohl Flugzeuge als auch ballistische Raketen und Satelliten abwehren können und wäre damit mit weltweit einzigartigen Fähigkeiten ausgestattet. Theoretisch könnte es auch Raumschiffe abwehren.

Zu den technischen Spezifikationen des Systems wurde bislang bekannt: Der Radarkomplex besteht aus vier Radargeräten pro Batterie, darunter das S-Band-Aufklärungsradar 91N6E(M), das C-Band-Aufklärungsradar 96L6-TsP, das Multi-Mode-Gefechtsradar 76T6 und das Raketenabwehr-Gefechtsradar 77T6. Mit diesen Radarsystemen können ballistische Ziele bis zu einer Entfernung von 2.000 Kilometern und Flugziele bis zu einer Entfernung von 800 Kilometern verfolgt werden.

Das System soll auch in der Lage sein, Hyperschallwaffen abzufangen, die sich noch in der Entwicklung befinden und von der Nato noch nicht eingesetzt werden.

Sowohl die S-500 als auch die S-400 sind aus dem älteren System S-300 hervorgegangen.

Eine neue Ebene

Die S-500 fügt sich nahtlos in das abgestufte Luftverteidigungssystem Russlands ein. Statt ältere Systeme wie S-300 oder S-400 zu ersetzen, schafft sie eine neue Ebene zwischen den taktischen Systemen und dem in der Entwicklung befindlichen strategischen Raketenabwehrsystem A-235 "Nudol", das zur Abwehr nuklearer Sprengköpfe konzipiert ist.

Durch diese Schichtung soll sichergestellt werden, dass keine Lücken in der Abwehr von Bedrohungen entstehen, unabhängig davon, ob diese aus der Atmosphäre oder aus dem Weltraum kommen.

Zwei Raketentypen

Produziert wird die S-500 vom staatlichen russischen Rüstungskonzern Almaz-Antey, der auch die S-400 und S-300 herstellt. Im Gegensatz zu S-400 und S-300, die jeweils mit vier Raketen pro Startfahrzeug ausgestattet sind, setzt die S-500 auf eine schlankere Konfiguration mit zwei Raketen, die speziell für den Einsatz in extremen Höhen und gegen Hochgeschwindigkeitsziele optimiert sind.

Bisher scheint es zwei Raketentypen für das neue System zu geben. Zum einen die 40N6M für die Flugabwehr und zum anderen die 77N6 / 77N6-N1 für die Abwehr von ballistischen Raketen und Satelliten mit einem kinetischen Gefechtskörper.

Zehn Ziele gleichzeitig

Das System soll bis zu zehn Ziele gleichzeitig bekämpfen können und eine Reaktionszeit von nur drei bis vier Sekunden haben.

Eine S-500-Batterie, in Russland auch Bataillon genannt, besteht aller Wahrscheinlichkeit nach aus vier bis sechs Startfahrzeugen, begleitet von den oben erwähnten Radarsystemen und Führungsfahrzeugen.

Zu einem Regiment werden vermutlich zwei bis vier Batterien mit insgesamt acht bis 24 Startfahrzeugen zusammengefasst. Die genaue Konfiguration ist aufgrund der Geheimhaltung noch nicht bekannt. Auch die genaue Anzahl der Batterien pro Regiment wird je nach strategischen Erfordernissen variieren.

Einsatz gegen AWACS?

Die Fachzeitschrift Bulgarianmilitary erwähnt eine nicht zu vernachlässigende Fähigkeit des neuen Systems:

Dank dieser beispiellosen Reichweite kann die S-500 weit über die Grenzen Russlands hinaus zuschlagen und für die Nato-Luftstreitkräfte wichtige Objekte wie Tankflugzeuge und AWACS-Flugzeuge ins Visier nehmen, lange bevor diese sich dem umkämpften Luftraum überhaupt nähern können.

Bulgarianmilitary

Im andauernden Krieg in der Ukraine können die ukrainischen Truppen auf US-amerikanische AWACS-Flugzeuge und deren luftgestützte Radaranlagen zurückgreifen, die ihnen erhebliche Aufklärungskapazitäten zur Verfügung stellen. Die Nato-Flugzeuge bleiben außerhalb des ukrainischen Luftraums.

Obwohl die USA auf diese Weise kriegswichtige Zieldaten an die Ukraine weitergeben, hat Russland bisher nicht versucht, die AWACS-Aktivitäten zu unterbinden. Denn dies würde die Gefahr eines direkten Krieges zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen und Russland auf der anderen Seite heraufbeschwören.

Sollte es tatsächlich zu einer direkten Konfrontation zwischen den beiden Machtblöcken kommen, wären die AWACS-Flugzeuge vermutlich ein leichtes Ziel für die neue S-500 mit ihrer enormen Reichweite – das US-AWACS-System kommt in seiner neuesten Konfiguration nur auf eine Reichweite von bis zu 520 Kilometern.

Abwehr von Hyperschallraketen

Aber nicht nur die AWACS-Flugzeuge wären gefährdet, auch die satellitengestützte Aufklärung der Nato könnte im Konfliktfall bedroht sein.

Das Fachportal Army Recognition weist darauf hin:

Das System ist Berichten zufolge in der Lage, Satelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn (LEO) anzugreifen, was seinem Einsatzbereich eine neue Dimension verleiht. Dies macht die S-500 nicht nur zu einem äußerst leistungsfähigen Raketenabwehrsystem, sondern auch zu einem mächtigen Instrument, um Gegnern den Zugang zu wichtigen weltraumgestützten Anlagen wie Kommunikations-, Aufklärungs- und Wettersatelliten zu verwehren.

In dieser Hinsicht verbessert es Russlands Fähigkeit, die Operationen von Gegnern, einschließlich der Nato und anderer westlicher Staaten, die sich für militärische und strategische Zwecke in hohem Maße auf Satelliten verlassen, zu stören.

Army Recognition

Auch Army Recognition merkt an, dass die Fähigkeit der S-500 zur Abwehr von Hyperschallraketen besonders besorgniserregend sei, da sich die USA zunehmend auf die Entwicklung eigener Hyperschallwaffen konzentrieren würden

Der Möglichkeitsraum: Aufspüren von F-35

Das S-500-System ist auf Interoperabilität ausgelegt und ergänzt die bestehenden Flugabwehrsysteme der russischen Streitkräfte. Ursprünglich ist es nicht primär für die Bekämpfung konventioneller Kampfflugzeuge konzipiert – diese Aufgabe übernehmen je nach Entfernung bevorzugt Systeme wie die S-400, S-300 oder die neue S-350.

Allerdings kann das leistungsstarke Radarnetzwerk der S-500 mit S-400-Systemen vernetzt werden, um Tarnkappenflugzeuge über große Entfernungen zu erfassen und zu verfolgen.

Sollte das russische Radarnetz tatsächlich in der Lage sein, die amerikanischen Tarnkappenflugzeuge F-35 und F-22 aufzuspüren, würde dies einen der wichtigsten vermeintlichen militärischen Fähigkeitsvorteile der Nato zunichtemachen, nämlich die Tarnkappeneigenschaften der modernsten Flugzeuge des westlichen Militärbündnisses.

Die USA haben über Jahre hinweg einen beträchtlichen Teil ihres Militärbudgets in die Entwicklung und Beschaffung der Tarnkappenflugzeuge F-22 Raptor und insbesondere der F-35 Lightning II investiert. Sollten die fortschrittlichen Tarnkappeneigenschaften dieser Flugzeuge tatsächlich kompromittiert werden, wäre diese beispiellose militärische Investition weitgehend entwertet.

Damit wäre zugleich der Eckpfeiler der Nato-Militärdoktrin, die auf der Erlangung der absoluten Luftüberlegenheit beruht, infrage gestellt.

Kampf um die Luftherrschaft

Mit der neuen Mittelstreckenrakete Oreschnik wären die russischen Streitkräfte zudem mutmaßlich in der Lage, Flächenziele wie Militärflugplätze für eine gewisse Zeit auszuschalten. Die Oreschnik verfügt über 36 einzeln lenkbare Submunitionselemente mit einem Gefechtsgewicht von voraussichtlich 100 Kilogramm. Nur wenige Oreschnik-Raketen würden also ausreichen, um einen Flughafen unbrauchbar zu machen.

Mit der S-500 und der S-400 könnten die russischen Streitkräfte Angriffe der Nato auf das eigene Territorium selbst mit Tarnkappenflugzeugen zu einem äußerst kostspieligen Unterfangen machen. Die neue Oreschnik-Rakete könnte zudem die Fähigkeit der Nato, ihre Flugzeuge überhaupt effektiv einzusetzen, erheblich einschränken.

Der Kern der Nato-Doktrin – die Erlangung der uneingeschränkten Luftherrschaft – könnte damit grundsätzlich infrage gestellt werden.