"Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen"
Seite 2: Sehenden Auges rennt man in ein völlig unüberschaubares, aber sehr hohes finanzielles Risiko
- "Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen"
- Sehenden Auges rennt man in ein völlig unüberschaubares, aber sehr hohes finanzielles Risiko
- Auf einer Seite lesen
Hinzu kommt ja noch, dass es keine Karenzzeit für das Wechseln an das Investitionsgericht geben wird, d.h. private Wirtschaftsanwälte, die das bisher gemacht haben, könnten als einige dieser 15 Richter eingesetzt werden.
Pia Eberhardt: Wenn man sich diese Tribunale anschaut, dann ist, glaube ich, das größte Problem aus der Perspektive der Unabhängigkeit, dass sie weiter pro Verfahren bezahlt werden. Das ist in einem System, wo nur eine Seite klagen kann, also der Investor, ein großer struktureller Anreiz für diese Person, zugunsten des Investors zu entscheiden, weil das eben bedeutet, es wird auch in Zukunft viele Klagen, viele Ernennungen und damit viel Geld für diese Personen geben.
Aber es gibt noch andere Fallstricke in dem Vorschlag, die darauf hinweisen, dass die zukünftigen Schiedsgerichte mit genau den gleichen Leuten besetzt werden wie schon heute, die letztendlich den Klageboom durch die investorenfreundliche Interpretation des Rechts angeheizt haben.
Ein Grund ist das Fehlen einer Karenzzeit. Man kann sich vorstellen: Ein privater Anwalt von Freshfields, der heute in dieser Kanzlei sehr viel Geld damit verdient, wenn Investoren Staaten verklagen, und der Investoren in solchen Klagen vertritt, kann ganz problemlos für diese Liste der 15 ernannt werden. Er spricht dann jahrelang Recht, legt das Recht aus - natürlich immer in Gedanken an seine eigene Industrie, die Schiedsindustrie - und geht nach sechs Jahren wieder zurück in die private Anwaltspraxis und beutet das System dann weiter für Investoren aus.
Das ist einer von vielen kleinen Fallstricken, die der Vorschlag enthält. Sie führen zumindest zu einem begründeten Zweifel, dass der Kommission tatsächlich daran gelegen ist, die rechtsstaatlichen Probleme ernsthaft zu beheben.
Wenn CETA angenommen würde, dann könnten alle Unternehmen klagen, die Niederlassungen in Kanada haben. Wenn z. B. Volvo jetzt nicht in Schweden sitzen würde, sondern eine Zweigniederlassung in Kanada hätte, dann wäre das chinesische Unternehmen berechtigt, wenn hier z.B. Umweltauflagen oder gesetzliche Lohnauflagen hier beschlossen würden, die "legitime Gewinnerwartungen" verringern, gegen Deutschland zu klagen.
Pia Eberhardt: Das Investor-Staat-Klagesystem wird heute schon so genutzt, dass es Unternehmen sogar nutzen können, über Niederlassungen in anderen Ländern ihre eigene Regierung zu verklagen. Für das EU-Kanada-Abkommen ist ganz klar, dass dieses Abkommen auch von in Kanada operierenden US-Unternehmen genutzt werden kann. Auch sie könnten dann gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten klagen.
An diesem Problem, also dass da ein System gestrickt wird, was Unternehmen, die clever ihre Investitionen weltweit strukturieren, gegen jede Regierung nutzen können, mit der sie irgend ein Problem haben, ändern die EU-Vorschläge gar nichts. Was das bedeutet, sind letztlich völlig unüberschaubare und unkalkulierbare Risiken.
Ich wage wirklich zu bezweifeln, dass irgendjemand in der Europäischen Kommission oder in der Bundesregierung eine Ahnung hat, wie viele Unternehmen auf Basis dieser Vorschläge klagen und wie hoch die Schadensersatzsummen sein können. Also sehenden Auges rennt man in ein völlig unüberschaubares, aber sehr hohes finanzielles Risiko.
Bekannt ist ja, dass über 40.000 US-Unternehmen solche Niederlassungen in Kanada haben und klagen könnten, aber die wirkliche Zahl von Unternehmen liegt noch weit höher?
Pia Eberhardt: Also wir wissen von etwas über 50.000 in den USA registrierten Unternehmen, die in Europa aktiv sind, vier von fünf dieser Unternehmen, tatsächlich über 40.000, haben auch in Kanada Niederlassungen. Das heißt, sie werden auf Basis des EU-Kanada-Vertrags gegen die EU-Mitgliedstaaten klagen können.
Das sind tatsächlich echte Unternehmen, aber wenn man den Begriff der Investitionen und des Investors in diesen Texten anschaut, dann ist der sehr viel breiter. Er umfasst nämlich nicht nur tatsächliche Unternehmen, sondern auch Anteilseigner und Fonds, und wenn man das ernst nimmt, dann wird einem bewusst, dass man es hier tatsächlich mit Abertausenden von Akteuren zu tun hat, die dieses System nutzen können, um zu klagen.
Also es wird kaum ein größeres europäisches Unternehmen geben, das nicht irgendeine US-Beteiligung hat, die es nutzen kann, um auf Basis von TTIP beispielsweise auch gegen die eigene Regierung zu klagen. Die Klagerisiken sind wirklich völlig unüberschaubar.
Das Geschäft der Investor-Staat-Klagen boomt
Es geht also weit über den Schutz "klassischer "Investitionen" hinaus, es geht auch um indirekte Investitionen, die in Fonds versteckt sind.
Pia Eberhardt: Investorenschutz darf man sich wirklich nicht eng denken. Es geht nicht nur um den Schutz von tatsächlichen Unternehmen, die aktiv sind, Arbeitsplätze schaffen, MitarbeiterInnen haben, sondern auch Kleinstbeteiligungen an Unternehmen geben das Recht zu klagen. Der EU-Kanada-Vorschlag schiebt dem ein bisschen einen Riegel vor, weil er sagt, es können nur Investoren klagen, die substantielle Geschäftsaktivitäten im jeweils anderen Land unterhalten. Was das dann ist, ist natürlich Auslegungssache, aber es wird zumindest versucht, reine Briefkastenfirmen vom Klagen abzuhalten. Für das TTIP ist diese Formulierung bisher noch nicht vorgesehen, aber letztendlich bleibe ich dabei, dass niemand weiß, wer hier alles klagen können wird.
Man muss ja ehrlicherweise sagen, das System der Investitionsstrukturierung und das sog. Treaty Shopping - also dass ich meine Investitionen weltweit so strukturiere, dass ich im Zweifelsfall klagen kann, und idealerweise auf der Basis eines Vertrags, der sehr starke Investorenrechte enthält -, das ist ja schon heute gang und gebe. Auch heute haben Investoren schon die Möglichkeit, ihre Investitionen entsprechend zu strukturieren.
Deutschland hat sehr viele bilaterale Investitionsschutzverträge unterzeichnet - keinen mit den USA -, aber ein cleverer Investor könnte dieses dichte Netz der Investitionsschutzverträge schon heute ausnutzen. Was TTIP verändert, ist , dass es dann das direkte Klagerisiko einräumt, das heißt, das Klagerisiko wird wirklich vervielfacht.
Investitionsanwalt dürfte unter diesen Umständen ein sehr lukrativer Beruf werden?
Pia Eberhardt: Ja, tatsächlich boomt das Geschäft der Investor-Staat-Klagen, deshalb gibt es weltweit mehrere Universitäten, in denen junge Juristen sich ausbilden lassen können als Investitionsrechtler, d.h. es ist eine Armee, könnte man sagen, an jungen Juristen, die für diesen Markt ausgebildet und natürlich alles dafür tun wird, dass der Markt weiter wächst und sie ein Geschäftsfeld haben.