Absturz ET 302: Minuten des Schreckens
Vorläufiger Untersuchungsbericht aus Addis Abeba entlastet die Piloten nach dem zweiten Crash einer Boeing 737 Max - und gewährt dramatische Einblicke, zugleich spitzt sich die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Computer zu
Auf einem trockenen Feld wenige Kilometer außerhalb der äthiopischen Kleinstadt Bischoftu endet Flug ET 302 am Sonntagmorgen, dem 10. März, um 8.45 Uhr in einem Feuerball. Für 149 Passagiere und acht Crewmitglieder aus 33 Nationen bedeutete es den Tod. Mehrere Meter tief ist der Ackerboden aufgerissen, die Erde schwarz verbrannt. Ein kurzer Flug, bestehend aus Schreckensmomenten: Die Unglücksmaschine vom Typ Boeing 737 MAX 8 war kaum sieben Minuten in der Luft, nachdem sie gerade erst vom Bole-Airport der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba abgehoben hatte.
Die Piloten flogen gemäß den Standards
Jetzt, knapp einen Monat später, liegt ein vorläufiger Bericht vor. Der Report wurde mit Spannung erwartet, denn die Umstände um Flug ET 302 werfen weiterhin dringliche Fragen auf. Die Steuerungssoftware des Fliegers war alsbald unter Verdacht geraten, wie auch bei einem Absturz wenige Monate zuvor, bei dem eine Lion-Air-Maschine desselben Typs (ebenfalls eine Boeing 737 Max) in Indonesien abstürzte (Kampf zwischen Pilot und Computer). Dabei kamen 189 Menschen ums Leben.
Ob jeweils das umstrittene Steuerungssystem der Modellfamilie für die Unglücke letztlich allein (oder in welcher Konstellation) ausschlaggebend war, muss in den Einzelheiten weiterhin aufgeklärt werden. Allerdings gibt der vorläufige Untersuchungsbericht aus Addis Abeba, den die äthiopische Transportministerin Dagmawit Moges Ende der Woche der Öffentlichkeit vorstellte, einige Hinweise, die zur Aufklärung beitragen könnten.
So habe die Crew von Ethiopian Airlines in den Minuten vor dem Crash korrekt gehandelt und alle vom Hersteller Boeing für die kritische Flugphase vorgesehenen Vorgaben befolgt. Bislang war dieser Punkt unklar; vereinzelt war sogar die Qualifikation der Besatzung in Frage gestellt worden. Die Piloten verhielten sich wohl zunächst professionell gemäß der Checkliste "Stabilizer Trim Runaway" und schalteten die elektrische Trimmung ab. Dennoch hat man die Maschine nicht unter Kontrolle bringen können. Der Flugverlauf blieb instabil. Nach den Untersuchungen aus Addis Abeba besteht kein Zweifel daran, dass die Nase der Maschine mehrmals und ohne entsprechende Anweisungen automatisch nach unten gedrückt worden ist.
Tödliches Fiasko
Ein Fiasko. Vergeblich kämpfte die Besatzung der 737 darum, die Lage zu stabilisieren. Dreimal rief der Kapitän zu seinem Co-Piloten "Zieh hoch!", aber es half nichts. Die Daten aus dem Flugschreiber von ET 302 zeigen eindeutig, dass die Piloten die automatische Steuerung wiederholt an- und abschalteten. Damit folgten sie den Anweisungen. Vergeblich. Hartnäckig übernahm und behielt der Bordcomputer die Regie, zog die Flugzeugnase immer wieder nach unten. Dabei müssen enorme Kräfte entstanden sein, möglicherweise im Zusammenhang mit einer ungewöhnlichen Beschleunigung - Kräfte, die sich auf den Flugverlauf dramatisch auswirkten und die Situation immer weiter zuspitzten.
Sind auch deswegen offenkundige Trimmversuche per Handrad gescheitert? Solche manuellen Eingriffe gehören zum fliegerischen Repertoire der Pilotenausbildung - und sie sind schon normalerweise mit erheblichem Kraftaufwand verbunden. Manuelles Trimmen bedeutet Einsatz banaler Muskelkraft, Insider nennen diese Arbeit gar "akrobatisch". Wohl auch deswegen bezeichnet die betroffene Fluggesellschaft Ethiopian Airlines in ihrer Mitteilung dieser Woche es als sehr unglücklich, dass die Piloten der Absturzmaschine "trotz ihrer harten Arbeit" das Flugzeug nicht davon abhalten konnten, den tödlichen Kurs fortzusetzen.
Allerdings bleibt die Frage auch nach diesen Überlegungen letztlich nicht beantwortet, warum das Unglücksflugzeug nicht konsequent manuell weiterflog. Sind die Elektromotoren zur Trimmverstellung von der Stromversorgung getrennt, so kann der Autopilot eigentlich keine Inputs mehr geben. Hatten die Piloten von ET 302 zuletzt den richtigen Ansatz, haben aber - unter enormem Stress - den "Course of action" zu hektisch geändert und damit weitere Trim-Inputs eines fehlerbehafteten Systems ermöglicht? Sichere Antworten können nur die weiteren Untersuchungen geben.
Noch mehr Softwareprobleme - Konkurrent Airbus überdenkt Sicherheitsarchitektur
Während die Crew durch den vorläufigen Untersuchungsbericht aus Addis Abeba ein Stück weit entlastet wird, wird der Druck auf Boeing immer größer. Nach zwei Flugzeugabstürzen mit insgesamt 346 Opfern sollte die umstrittene Steuerungssoftware MCAS eigentlich zügig modifiziert werden, jedoch stieß man zuletzt auf ein zweites Software-Problem. Dieses sei bei der Überarbeitung des umstrittenen Steuerungsprogramms festgestellt worden, stehe aber nicht in direktem Zusammenhang damit, teilte Boeing mit.
Die zuständige Luftfahrtbehörde FAA stuft das Problem jedoch als sicherheitsrelevant ein. Die FAA war zuvor selbst unter Druck geraten, der Vorwurf wurde laut, dass die US-Behörde bei der Zertifizierung der 737 Max ein Auge zugedrückt habe.
Die europäische Firma Airbus scheint unterdes aus den Fehlern des US-Konkurrenten zu lernen. Für die Modellfamilie A320 wird ein Computerupdate vorgenommen, das helfen soll, in komplexen Momenten und unter Druck das Richtige zu tun. Hier zeigt sich ein Überdenken der Sicherheitsarchitektur, die in einem modernen Flieger unerlässlich und gleichzeitig zum Problem geworden ist. Warnungen, Alarmprioritäten und Verfahren sollen so konzipiert werden, dass sichergestellt ist, dass die Piloten die Quelle fehlerhafter Informationen schnell und korrekt diagnostizieren können.
Dahinter steht die Einsicht, dass in modernen Flugzeugen mit mehreren interagierenden Systemen zwischen den Quellinformationen und den Piloten zu viele Ebenen existieren können - eine Komplexität, die potenziell tödliche Gefahren birgt.