Absturz der EU: Wer ist schuld am enormen Handelsbilanzdefizit?
Warenaustausch-Bilanz der Union im Keller. Chinas Politik im Fokus von EU-Klagen. Dabei könnte einer der Gründe in den Sanktionen gegen Russland liegen. Ein Kommentar.
In der EU beklagt man sich in jüngster Zeit verstärkt über ein wachsendes Defizit im Warenaustausch mit China. Knapp 400 Milliarden Euro betrug das Defizit zuletzt 2022.
Wie berichtet, war dieses Ungleichgewicht auch Hauptthema beim sino-europäischen Gipfel in Beijing (Peking). Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den chinesischen Gastgebern in gewohnt einfühlsamer Art mitgeteilt, dass man dies nicht tolerieren könne.
Lassen wir mal diese zum Fremdschämen anregenden Blüten deutscher Diplomatiekunst, die wir nicht erst von unserer aktuellen Außenministerin, sondern auch schon von ihren Vorgängern kennen, außer acht und fragen, was es mit diesem in den letzten Jahren stark angewachsenen Minus der EU im Warenaustausch mit der Volksrepublik auf sich hat.
Handels- und Leistungsbilanz der EU
Nun macht es eigentlich nur bedingt Sinn, die Bilanz mit einzelnen Ländern zu erstellen. Der rege Warenaustausch zwischen allen Ländern führt meist dazu, dass ein Land mit dem einen ein Defizit haben mag, mit anderen dafür Überschüsse. Damit wäre dann für das betroffene Land die Bilanz ausgeglichen.
Die Handelsbilanz, wohlgemerkt. Die Leistungsbilanz, die zusätzlich auch grenzüberschreitende Finanzflüsse einschließt, ist volkswirtschaftlich wichtiger, aber ein anderes Thema. Von der Handelsbilanz ließe sich aber immerhin sagen, dass sie für Industriearbeitsplätze wichtig ist, aber auch das eigentlich nur, wenn man die Maximierung des Gewinns der beteiligen Unternehmen und die Länge der Arbeitszeit für Gott gegeben hält.
Doch zurück zum Handelsbilanzdefizit der EU mit China, das in vergangenen Jahr stark angewachsen ist. Um dies einzuordnen, müsste man unter anderem einen Blick auf die gesamte Außenhandelsstatistik der Union werfen, über die Eurostat Buch führt.
Langfristige Trends im EU-Außenhandel
Und hier zeigt sich, dass der Außenhandel der EU tatsächlich aus dem Takt geraten ist, und zwar ausnahmsweise mal zu ihrem Nachteil. 2022 ist die Handelsbilanz der Union regelrecht abgestürzt. Von einem leichten Plus von 55 Milliarden Euro in 2021 fiel sie auf -429,7 Milliarden Euro im Jahre 2022.
Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Im zurückliegenden Jahrzehnt hatte die Union hingegen über lange Zeit einen Außenhandelsüberschuss von oft jährlich etwas über 200 Milliarden Euro gehabt hat. Davor, bis 2011, war die Bilanz fast ausgeglichen. Mal etwas im Plus, mal ein wenig in den roten Zahlen.
Insgesamt hat die Union so zwischen 2002 und 2022 einen Außenhandelsüberschuss von 1.019 Milliarden Euro. Dass sich von der Leyen oder ihre Vorgänger darüber irgendwo beschwert hätten, ist eher unwahrscheinlich. Sie waren vermutlich zu sehr damit beschäftigt, Klagen der Länder zu überhören, die ein Problem in ihrem Defizit gegenüber der EU sahen.
EU-Handelsbilanzdefizit und Sanktionen gegen Russland
Interessant ist indes, dass das Anwachsen des EU-Handelsbilanzdefizits mit den Sanktionen gegen Russland zusammenfällt. Wie man hier in den Eurostat-Statistiken sehen kann, sind im vergangenen Jahr die Ausfuhren in die Russische Föderation viel schneller zurückgegangen, als die Einfuhren von dort. Das hat das Minus in der Handelsbilanz um einige Dutzend Milliarden Euro vergrößert.
Allerdings ist auch das offensichtlich nur ein Teil der Erklärung. Mehr lässt sich vielleicht im Januar sagen, wenn die Zahlen für 2023 vorliegen. Dann werden wir sehen, ob es sich um eine vorübergehende Erscheinung oder eine nachhaltigere Veränderung der Strukturen im internationalen Warenaustausch handelt.