Adobe lässt sich erweichen
Die Freilassung des russischen IT-Spezialisten, der in Kalifornien in Haft sitzt, hängt jetzt von den Staatsanwälten ab
Der öffentliche Druck durch Protestaktionen verschiedener Art hat Adobe Systems zum Einlenken gebracht. Das Software-Unternehmen hatte in Zusammenarbeit mit dem FBI dafür gesorgt, dass der Hacker Dimitri Sklyarow wegen Verletzung des Digital Millennium Copyright Act verhaftet wurde. Adobe ist nunmehr mit der Freilassung des Russen einverstanden. Die Anklage kann jedoch nur von der amerikanischen Regierung niedergeschlagen werden.
Ein russischer Gefängnisinsasse in den USA kann Hoffnung schöpfen. Der 27-jährige Dimitri Sklyarow sitzt in San Francisco in Untersuchungshaft, weil er für einen Gastvortrag bei dem Hacker-Kongress DefCon in Las Vegas unvorsichtigerweise amerikanisches Staatsgebiet betreten hatte. Damit war ein Haftbefehl der amerikanischen Bundespolizei FBI vollstreckbar geworden. Dieser gründete sich auf dem angeblichen Verstoß (Vgl.Die verbotene Copyright-Zone) des von Sklyarow in Russland mitentwickelten und nach Nevada mitgebrachten Programms "Advanced Ebook Processor" gegen bundesrechtliche Normen des Digital Millennium Copyright Act DMCA. Das russische AEBPR-Programm wandelt ungenügend verschlüsselte elektronische Bücher (e-Books) in PDF-Dateien um, die mit dem kostenlos erhältlichen Acrobat Reader gelesen werden können.
Die Festnahme Sklyarows am 16. Juli rief in der libertären Open-Source-Szene der USA einen Sturm der Entrüstung hervor. Der DMCA ist seit seiner Verabschiedung 1998 ohnehin eines der wohl meistgehassten Gesetze überhaupt. Und vor allem viele Nerds mussten jetzt mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut zur Kenntnis nehmen, dass man bei Verstößen gegen den DMCA nicht nur zivilrechtlich, sondern auch strafrechtlich belangt werden kann. Die berechtigte Angst davor, das ungewisse Schicksal Sklyarows zu teilen, bewog etwa den Linux-Kernel-Hacker Alan Cox angeblich dazu, seine Teilnahme an der USENIX-Konferenz in den Vereinigten Staaten abzusagen.
Aktivisten eröffneten flugs eine Mailingliste und die Website BoycottAdobe.org , die die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation bei der Organisation der Proteste unterstützte. Begleitet wurden die Aktionen im virtuellen Raum von Demonstrationen im öffentlichen Raum mehr als zehn amerikanischer Städte. Adobe gelang es zunächst die Pro-Sklyarow-Front aufzuweichen, indem es nach anfänglichem Abblocken einwilligte, mit der EFF zu verhandeln. Daraufhin versuchte die EFF, um einen möglichen Verhandlungserfolg nicht zu gefährden, die Aktionen der Aktivisten kurzfristig abblasen zu lassen. Die aufgebrachten Geeks ließen sich jedoch nicht mehr kontrollieren. Wie einige der EFF richtig entgegenhielten, kann schließlich nicht Adobe, sondern nur der Staat Sklyarow in die Freiheit entlassen. Und so kam es zu mehreren Kundgebungen vor Einrichtungen des FBI und des Justizministeriums. Ungefähr 30 Menschen protestierten in New York vor der städtischen Public Library an der Fifth Avenue. In Boston beerdigten Aktivisten mit dem Tragen eines Sarges symbolisch Freiheiten beim Gebrauch copyright-geschützter Werke, die der DMCA 1998 vernichtet habe. Hacker vom Film-Zine "2600 magazine", das eine DMCA-Zivilklage am Hals hat, versuchten am 20. Juli eine Pressekonferenz in Mountain View / Kalifornien zu stürmen, bei der der ultrakonservative Justizminister John Ashcroft sprach.
Etwa hundert Demonstranten marschierten diesen Montag vor der Firmenzentrale von Adobe in San Jose auf. Während drinnen die Verhandlungen zwischen Vertretern von Adobe und der EFF liefen, skandierten Protestierende draußen Code is Speech und Hey ho hey ho, DMCA has got to go. Wenn das die Ramones noch erlebt hätten. Nach mehr als zwei Stunden traten die Verhandlungsparteien an die Öffentlichkeit. Die Adobe-Vizepräsidentin Colleen Pouliot erklärte, dass man zwar nach wie vor die verschärften Copyright-Schutzbestimmungen aus dem DMCA befürworte. Im besonders gelagerten Fall Sklyarow könne es aber im Interesse keiner Seite sein, so Pouliot, den Programmierer noch weiter strafrechtlich zu verfolgen.
Es bleibt jedoch fraglich, ob Sklyarow wirklich bald wieder auf freien Fuß kommen wird. Die Strafverfolgungsbehörden, die aufgrund einer Straftat ermitteln, brauchen sich vom Sinneswandel eines privaten Nebenklägers nicht beeinflussen zu lassen. Und der für den Fall zuständige oberste Staatsanwalt von Nordkalifornien, der Milde walten lassen müsste, ist allzu liberaler Umtriebe gewiss unverdächtig. Es handelt sich dabei um Robert S. Mueller, der erst vor kurzem von Präsident George W. Bush als Nachfolger von Louis Freeh im Amt des FBI-Direktors nominiert worden ist.