Ägypten und Deutschland: alternativloses "business as usual"?
Ein Rekordauftrag für die Firma Siemens und warum es sich die deutsche Regierung leisten könnte, die Machthaber deutlicher auf ihre Repressionspolitik anzusprechen
Die Normalisierung der Beziehungen mit dem autoritären ägyptischen Regime unter Ex-General Al-Sisi ist nicht so alternativlos, wie sie in Deutschland bisweilen dargestellt wird. Die ägyptische Regierung kann sich nicht langfristig darauf verlassen, von den Golfstaaten finanziert zu werden. Sie ist letztendlich auch auf Investitionen und Know-How aus Deutschland und Europa angewiesen.
Rückblickend betrachtet war der Weg zum roten Teppich, der dem ägyptischen Staatspräsident Al-Sisi bei seinem Staatsbesuch in Berlin Anfang Juni ausgerollt wurde, ziemlich kurz. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war bereits im März in Sharm-Al-Sheikh zu Besuch, wo die ägyptische Regierung durch eine Investorenkonferenz versuchte, das angeschlagene Image des Landes als Investitionsziel zu verbessern.
Im Mai folgte ihm Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der in Kairo nicht nur Präsident Al-Sisi traf, sondern auch den Großscheich der traditionsreichen Al-Azhar-Universität, Ahmad al-Tayyib. Im Zentrum der Gespräche während des Staatsbesuchs soll vor allem die Terrorismusbekämpfung gestanden haben. Die Signale der Bundesregierung, die autoritäre ägyptische Regierung wie vor den arabischen Umstürzen wieder primär als Partner im Kampf gegen den Terrorismus und nicht als anti-demokratischen Dorn im Auge zu sehen, waren eindeutig.
Bis dato galt als deutsche Bedingung für einen möglichen Staatsbesuch Al-Sisis in Berlin jedoch noch das Abhalten von Parlamentswahlen, die ursprünglich für den März diesen Jahres angesetzt waren. Letztlich ließ die Bundesregierung auch diese Forderung fallen und rollte dem autoritär herrschenden Ex-General ohne Bedingungen den roten Teppich aus.
Wie kam es dazu? Manche Beobachter gehen davon aus, dass abgesehen von den klaren Koordinaten, die Al-Sisi angesichts des Chaos in der Region einer verunsicherten deutschen und europäischen Nahost-Politik anbieten kann, auch ein sehr handfestes Angebot von ägyptischer Seite den Ausschlag gab.
Siemens: drei Gaskraftwerke und zwölf Windparks in Ägypten
Im Rahmen von Al-Sisis Besuch in Berlin, der von einer Delegation ägyptischer Geschäftsleute begleitet wurde, wurde auch ein Rekordauftrag für die Firma Siemens besiegelt. Siemens soll demnach drei Gaskraftwerke und zwölf Windparks in Ägypten errichten; geschätztes Volumen des Deals: 8-10 Milliarden.
Aufträge dieser Größe sind für Siemens auf dem europäischen Markt nicht einzuholen, auf dem saturierten deutschen Markt schon gar nicht. Der erste Auftrag an Siemens im Land ein Gaskraftwerk zu errichten wurde schon im März während der Investorenkonferenz in Sharm-Al-Sheikh besiegelt. Zu diesem Zeitpunkt soll die ägyptische Regierung bereits die Aussicht auf weitere Großaufträge signalisiert haben, vor allem im Bereich der Energieversorgung.
Die Verbesserung der maroden Energieversorgung ist zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik der Regierung Al-Sisis - und ein Feld, bei dem sie bei vielen Bürgern punkten kann. Um dies zu erreichen hat die ägyptische Regierung unter anderen vor, mit russischer Hilfe am Mittelmeer das erste Atomkraftwerk des Landes zu errichten.
Mit deutschem Know-How sollen Gas- und Windkraftwerke errichtet werden, aber auch bestehende Gaskraftwerke auf den billigeren Brennstoff Kohle umgerüstet werden. Vor allem im Bereich der Solar- und Kraftwerkstechnologie sei auch in der Zukunft mit weiteren Aufträgen für deutsche Firmen zu rechnen, vermuten Wirtschaftsanalysten des Handelsblattes.
Großprojekte: der "zweite" Suezkanal, ein Atomkraftwerk und eine neue Verwaltungsstadt
In ihrer Wirtschaftspolitik setzt die ägyptische Regierung zudem auf symbolkräftige Großbauprojekte. Dazu zählen eine zweite Fahrtrinne für den Suezkanal, das erste Atomkraftwerk des Landes und eine neue Verwaltungshauptstadt, die in der Wüste zwischen Kairo und Suez entstehen soll. Die Geldgeber aus den Golfstaaten signalisierten bereits ihre Bereitschaft zu investieren - und hoffen auf lukrative Immobiliengeschäfte nach der Fertigstellung.
Der Drang der Herrschenden nach Großbauprojekten genießt eine gewisse Tradition am Nil; und bei dem Pyramidenbau der Pharaonen muss man noch nicht einmal beginnen, um die Linie nachzuzeichnen. Ex-Präsident Gamal Abdel-Nasser ließ Anfang der 60er Jahre den damals größten Staudamm der Welt am Oberlauf des Nils errichten, unter Anwar Al-Sadat folgte nach dem Krieg gegen Israel im Jahr 1973 die erste große Satellitenstadt außerhalb der damaligen Kairoer Stadtgrenzen, "Medinat Nasr" (Stadt des Sieges).
Die Regierung Hosni Mubaraks versuchte sich im "Wadi-al-Jidid" (Neues Tal) - Projekt in der großflächigen Gewinnung von Agrarland durch Bewässerung der südägyptischen Wüste - ein Unterfangen, was bei jetzigem Stand betrachtet als kostspielig und gescheitert angesehen werden kann.
Die Großprojekte deutscher Firmen und ihre Profiteure
In Kreisen deutscher Unternehmer und von Teilen der Bundesregierung wird heutzutage wieder vermehrt argumentiert, dass deutsche Investitionen zwar durchaus der autoritären Regierung Al-Sisis zu mehr Legitimität verhelfen, aber auch der maroden ägyptischen Wirtschaft auf die Sprünge helfen würden. Damit würde auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Armut im Lande zurückgedrängt, was letztlich die Gefahr einer Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten verringere.
Doch hält diese PR-Phrase nicht weit. Auch in den späten Mubarak-Jahren war Ägypten nach klassischen ökonomischen Indikatoren mit Wachstumsraten von 5-6% ein Boomland. Aber die Profite wurden zumeist auf intransparente Weise unter einer kleinen regime-nahen Clique von Geschäftsleuten verteilt. Und während die kleine Mittelschicht ihren relativen Wohlstand bestenfalls halten konnte, wurde die Situation für die große Bevölkerungsmehrheit immer prekärer.
Nach dem Ersticken des demokratischen Experiments und Al-Sisis politischer Restauration sind es heute mehr oder weniger dieselben Seilschaften aus Militär und Geschäftsleben, welche die Geschicke des Landes bestimmen. Es gibt kaum einen bedeutenden Geschäftsmann, welcher in den Monaten nach dem Umsturz vorübergehend wegen Korruptionsangelegenheiten verurteilt wurde, der heute nicht wieder freigesprochen und vollends rehabilitiert ist. Dass dieselben neuen alten Eliten heute auf mehr Partizipation und breitere Teilhabe drängen, ist zu bezweifeln.
Auch eine andere Sache unterscheidet sich heute nicht von damals: Die Anzahl der jungen Menschen, die in Ägypten jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen, beträgt fast eine Million. Im Vergleich dazu: Nach aktuellen Schätzungen geht Siemens davon aus, im Rahmen der Errichtung von drei Gaskraftwerken und zwölf Windparks im Land, ungefähr 1.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen.
Was ein Rekordauftrag für die Firmenbücher von Siemens und ein Imagegewinn für den Ex-General ist, bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein für die zahlreichen jungen Menschen, die überqualifiziert in prekären Jobs arbeiten.
Die Verwundbarkeit des Tourismusgeschäfts
Ein unberechenbarer Faktor ägyptischer Einnahmen bleibt weiterhin der Tourismus, in dem indirekt bis zu 15% der Bevölkerung beschäftigt sind. Zwar haben sich die Touristenzahlen nach dem Tiefpunkt im Sommer 2013 im vergangenen Jahr wieder erholt, doch den vorrevolutionären Stand haben sie noch lange nicht erreicht.
Nur die Touristen aus Russland strömen nach wie vor in großen Mengen ins Land - und die ägyptische Regierung beschloss vor kurzem ihnen die Visagebühren zu erlassen. Touristen aus Deutschland sind die zweitgrößte Besuchergruppe. Die Sicherheitslage ist schwierig einzuschätzen.
Abgesehen von den verlustreichen Angriffen der Jihadisten im Nord-Sinai auf die dort stationierte Armee, kommt es auch im ägyptischen Kernland immer wieder zu kleineren Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, meist auf Institutionen des Staates wie Polizeistationen oder Gerichtsgebäude. Touristen waren seit dem Sturz des Ex-Präsidenten Morsi aber nur einmal Opfer eines Terroranschlags, als ein Selbstmordattentäter sich im Februar 2014 nahe der israelischen Grenze in einem Bus in die Luft sprengte und dabei drei koreanische Touristen tötete.
Doch ein vereitelter Anschlag vor dem Karnak-Tempel in Luxor Mitte vergangener Woche, bei dem Polizisten einen Angreifer töteten und sich ein zweiter in die Luft sprengte, wies daraufhin, dass die Gefahr eines großen Anschlages auf Touristen nicht auszuschließen ist. Die Attentäter kamen aus dem oberägyptischen Minya, wo ein Gericht Ende letzten Jahres 526 Menschen wegen eines Angriffs auf eine Polizeistation im Schnellverfahren zum Tode verurteilte. Zwar wurden nur etwas mehr als 100 der Todesurteile auch in zweiter Instanz bestätigt, doch es bleibt zu vermuten, dass die willkürlichen Urteile auch zur Radikalisierung der Attentäter beitrugen.
Ein großer Anschlag auf die ökonomische Achillesferse des Landes - den Tourismus - und ein massiver Einbruch der Touristenzahlen in dessen Folge zählt nicht nur zu den Horrorszenarien im ägyptischen Sicherheitsapparat, sondern auch im Wirtschaftsministerium.
Von wegen alternativlos
Doch trotz der realen Terrorgefahr im Land ist die Orientierung der deutschen Außenpolitik auf "business as usual" jedoch nicht so alternativlos, wie er bisweilen dargestellt wird. Deutschland könnte die ägyptischen Machthaber klarer auf ihre Repressionspolitik ansprechen, ohne damit wirtschaftlich allzuviel zu riskieren.
Zwar sucht Al-Sisis Regierung eine Diversifizierung der Außenbeziehungen - was die Annäherung an andere autoritäre Regime wie Russland und die enge Bindung an die Golfstaaten widerspiegelt - doch Europa und Deutschland sind dabei keineswegs aus dem Spiel. Technologien deutscher Firmen werden am Nil traditionell hochgeschätzt; deutsche Waren werden in der Importrangliste nur durch Einfuhren aus China übertroffen.
Dass die Regierung Al-Sisis sich in absehbarer Zeit leisten könnte, sich vom Westen loszulösen, ist angesichts der klammen Finanzlage des Landes ein eher unwahrscheinliches Szenario - was auch sein Besuch in Berlin widerspiegelt. Die finanzielle Unterstützung der Golfstaaten ist keineswegs langfristig garantiert.
Schon heute wird in Regierungskreisen der Vereinten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens darauf gedrängt, der ägyptischen Regierung nicht nur Finanzspritzen zu geben, sondern gewinnbringend im Land zu investieren
Zudem scheint der neue saudische König Salman ein entspannteres Verhältnis zur Muslimbruderschaft zu haben - was auch daran liegen mag, dass die islamistische Vereinigung nach ihrer gewaltsamen Entmachtung in Ägypten nur noch in Tunesien durch die an der regierenden Koalition beteiligte Partei "Ennahda" an der Machtausübung beteiligt ist.
Darüber hinaus deutet manches darauf hin, dass Saudi-Arabien daran arbeitet, die bisherige Schutzmacht der Muslimbrüder, die Türkei, in eine sunnitische Allianz gegen den Iran zu integrieren. Dies könnte die saudische Politik konzilianter gegenüber den weitestgehend entmachteten Muslimbrüdern machen und die Unterstützung für General Al-Sisi weniger bedingungslos als bisher.
Letztlich könnte der General also doch gezwungen sein, seine Beziehungen zu Europa nicht zu vernachlässigen und unliebsamen europäischen Forderungen nach Demokratisierung stärker entgegenzukommen - wenn sie denn gestellt würden.