Äthiopien: Einstieg in eine Diktatur?

Verschiebung der Wahlen in Äthiopien, Abbau der Demokratie

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Angetreten ist Präsident Abiy Ahmed mit dem Versprechen Äthiopien zu demokratisieren. Kurz nach dem Amtsantritt im April 2018 (Aufbruch in den Neoliberalismus mit dem neuen Premierminister Abiy Ahmed?) hat er noch Folgendes gesagt: "Achtzig Leute der Ethiopian Peoples' Revolutionary Democratic Front (EPRDF) haben mich zum Ministerpräsidenten gemacht, obwohl es 100 Millionen Äthiopier gibt." Die Wahlen 2020 sollen aber frei und fair sein, hat er versprochen.

Mit der Begründung Covid-19 (bisher insgesamt 12 Todesfälle) wurden die geplanten Wahlen in einem ersten Schritt auf den 29. August verschoben. Das ist vielleicht noch verständlich angesichts der Ausnahmesituation im Hinblick auf die Pandemie. Nun aber ist auch dieser Termin abgesagt und auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben.

Nach neuesten Meldungen soll die Wahl nicht vor dem April 2021 stattfinden. Wann genau bleibt ungewiss. Es ist zu befürchten, dass diese Verschiebung nur der Anfang ist. Präsident Abiy Ahmed und seine Unterstützer könnten so ihre Herrschaft ohne demokratische Legitimation auf Dauer zementieren und damit Äthiopien in eine Diktatur verwandeln. Das erinnert an den eritreischen Präsidenten, der seit der Unabhängigkeit Eritreas (1993) zwar freie Wahlen versprochen und anfangs noch verschoben hat, aber bis heute (27 Jahre später) warten die Eritreer immer noch auf freie Wahlen.

Angesichts der Erwartungen, die Präsident Abiy Ahmed noch zu Zeiten seines Amtsantritts geweckt hat, steht diese Entwicklung in eklatantem Widerspruch zu seinen Verlautbarungen in der jüngsten Vergangenheit.

Zurzeit gibt es eine Debatte wie sich die erneute Verschiebung der Wahl mit der äthiopischen Verfassung vereinbaren lässt: Parlamentsauflösung, Notstandsregierung, Verfassungsänderung oder eine neue Interpretation der Verfassung. Abiy Ahmed konsultierte Oppositionsgruppen, bezeichnete die Gespräche als "fruchtbar". Insbesondere von Seiten der Tigray People's Liberation Front (TPLF) und von dem Führer der Oromo Liberation Front (OLF) kamen allerdings Kritik und Einwände.

Mittlerweile sind alle involvierten Institutionen in der Hand oder unter Einfluss der regierenden Prosperity Party (PP) von Abiy Ahmed. Gewaltenteilung scheint kaum noch vorhanden, die Variante einer Verfassungsinterpretation im Sinne der Wohlstandspartei PP ist wohl favorisiert, und zudem sind Artikulationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft wie etwa Demonstrationen wegen Coronabeschränkungen nicht vorhanden. Es läuft wohl alles auf eine Machtzementierung der gegenwärtig Regierenden auf unbestimmte Zeit hinaus.

Ministerpräsident Abiy Ahmed. Bild: Twitter-Account des Ministerpräsidenten

Eine weitere kritische Dimension bekommt die Wahlverschiebung durch die Tatsache, dass aus den Wahlergebnissen auf Länderebene letztlich auch die Zentralregierung bestimmt wird. Es gibt nach der äthiopischen Verfassung keine gesonderte zusätzliche Wahl auf Bundesebene. Verschiebung der Wahlen heißt somit auch Verschiebung der Wahl auf Länderebene. Damit ist es auch den Länderregierungen nicht möglich, sich eine demokratische Legitimation ihrer Bevölkerung zu holen.

Sollten die Wahlen jetzt auf unbestimmte Zeit verhindert werden, läuft dies nicht nur auf eine Diktatur des Friedensnobelpreisträgers (2019) hinaus, es droht darüber hinaus die Gefahr der Entmachtung unliebsamer Regionalregierungen durch die Zentralmacht, wie dies bereits in der Somali-Region (Äthiopien) geschehen ist. Insbesondere die Regierung der Region Tigray ist Abiy Ahmed hier ein Dorn im Auge, zumal aufgrund des großen Rückhalts in der Bevölkerung zu erwarten ist, dass die TPLF bei freien Wahlen deutlich im Amt bestätigt würde (Machtkampf in Afrika).

Zentralregierung will die Provinz Tigray mit ihrer kritischen Landesregierung destabilisieren

Die Absetzung unliebsamer Länderregierungen durch die Zentralregierung ist vor dem Hintergrund der instabilen Lage in Äthiopien und zunehmender Unzufriedenheit mit der Regierung Abiy Ahmed ein durchaus realistisches Szenario.

Hauptfeind scheint hier für die gegenwärtige Regierung die Provinz Tigray und die dort regierende TPLF zu sein. Das zeigt sich nicht nur in propagandistischen Verlautbarungen gegen die TPLF, sondern auch in konkreten staatlichen Maßnahmen gegenüber Tigray in den letzten zwei Jahren:

So wurden wichtige und bereits begonnen Infrastrukturprojekte gestoppt. Dazu gehört z.B. die Eisenbahnstrecke von Djibouti über Weldya (Amhararegion) nach Mekelle (Tigrayregion), die nun in Weldya aufhört. Das Wasserkraftwerk in Tekeze kann seine Kapazitäten kaum noch auslasten, da wichtige Wartungsmaßnahmen sowie Zahlungen an den französischen Partner blockiert werden. Darüber hinaus hat es - anders als in den anderen Regionen - in Tigray nicht ein einziges staatliches Projekt mehr gegeben - kein Krankenhaus, keine Schule, keine Straße, kein Energieprojekt.

Jenseits von staatlichen Projekten und Maßnahmen werden auch Investitionen des Privatsektors verhindert und behindert. So wurde es einer chinesischen Investorengruppe nicht erlaubt, nach Tigray zu reisen. Der Regierung Tigray gegenüber wurde lediglich eine fadenscheinige Erklärung abgegeben.

Gleiches passierte einer türkischen Delegation, die 7 Billionen Birr südöstlich von Mekelle investieren wollten. Auch Investoren und Geschäftsleute aus der Tigrayregion selbst werden behindert und bedroht, wenn sie in Tigray investieren wollen oder darauf angewiesen sind, ihre Geschäfte von Addis Abeba aus zu organisieren.

Es scheint, als wollte die Zentralregierung alles tun, um die Region Tigray zu destabilisieren. Auch dies ist ein Hinweis, dass die Landesregierung in Tigray im Herbst möglicherweise entmachtet werden soll, um die Macht der Regierung Abiy zu festigen und den Störenfried Tigray endlich mundtot zu machen.

Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung Tigray beschlossen, für ihre Region die Wahlen nicht ein weiteres Mal zu verschieben, sondern sich im August der Wahl zu stellen. Damit könnte sich die Landesregierung in einer sehr angespannten und kritischen Situation die Legitimation der Bevölkerung holen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Coronasituation in Tigray scheint dies verantwortbar.

Gerade in einer Zeit der inneren Zerrissenheit und der Spannungen, der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme sowie des Drucks von außen wäre eine unzweifelhaft demokratisch legitimierte Zentralregierung wichtig für die weitere Entwicklung und die Einheit Äthiopiens. Von gleich hoher Bedeutung sind demokratische legitimierte und von der Zentralregierung respektierte Regionalregierungen.

Die gegenwärtigen Entwicklungen dagegen geben einmal mehr Anlass zur Sorge, dass in Äthiopien alle Anstrengungen und Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte weiter aufs Spiel gesetzt werden.

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