Äthiopien: Aufbruch in den Neoliberalismus mit dem neuen Premierminister Abiy Ahmed?
Viele Änderungen werden angekündigt, es kam zu einer überraschenden Versöhnung mit Eritrea, aber es besteht Grund zur Skepsis. Ein Kommentar
Nach 27 Jahren erfolgreicher Entwicklung ist seit April 2018 mit Dr. Abiy Ahmed (im Übrigen auch Mitglied der Regierungspartei EPRDF = Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Front) in Äthiopien ein neuer Premierminister an der Macht, der in kürzester Zeit in großem Umfang Veränderungen anstößt, die andeuten, wohin der Weg führt: nämlich in den Neoliberalismus. Das heißt: in die Armut, Spaltung, Ungleichheit, Ausbeutung und für afrikanische Länder leider Destabilisierung und Chaos - und das alles unter dem Deckmäntelchen der Demokratisierung, der Korruptionsbekämpfung, in Namen der "Liebe" und des "Friedens".
Wenn das Land jetzt eine ganz neue Richtung nehmen soll, lohnt ein Blick auf die Politik, die Äthiopiens Weg in den letzten Jahren geprägt hat.
Erfolge der Vorgängerregierungen
Die Vorgängerregierungen haben sehr viel erreicht. Hervorzuheben ist hier u.a. das stetige und nicht nur in Afrika einmalige Wirtschaftswachstum. Die äthiopische Volkswirtschaft ist seit 2003 jedes Jahr um 8 - 10 Prozent gewachsen. Mittlerweile ist Äthiopien die fünftgrößte Volkswirtschaft des Kontinents.
Die Landwirtschaft wurde modernisiert und heute ist Äthiopien in der Lage, mehr landwirtschaftliche Güter zu exportieren als zu importieren und die wachsende eigene Bevölkerung zu ernähren. Das Pro-Kopf-Einkommen ist gewachsen und der Anteil der Äthiopier, dem mehr als 10$ Einkommen am Tag zur Verfügung stehen, hat sich in den letzten Jahren verzehnfacht.
Gleichzeitig wurden wichtige Infrastrukturprojekte vollendet oder in Angriff genommen. Hierzu zählt die Metro in der Hauptstadt, sowie die Eisenbahnverbindung zum wichtigen Hafen Dschibuti und der Ausbau von Straßen und Telekommunikation. Ein großes Zukunftsprojekt ist der Grand Ethiopian Renaissance Dam, der nicht nur den Energiebedarf des Landes decken, sondern darüber hinaus Äthiopien zum Energieexporteur machen soll. Bei Fertigstellung bringt dies nicht nur Unabhängigkeit im Energiesektor, sondern es erhöht die Einnahmen und bildet eine weitere Grundlage für den Aufbau auch agrarunabhängiger Wirtschaftszweige.
Gegenüber dem massiven Widerstand aus Nachbarländern wie Ägypten und Sudan war die Vorgängerregierung mit Diplomatie und Gesprächen ein gutes Stück vorangekommen . Ebenso ist im Bereich des Gesundheitswesens Bemerkenswertes geleistet worden. So wurden unter dem Gesundheitsminister Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus (übrigens seit dem 01.Juli 2017 der neue und erste afrikanische WHO-Generaldirektor) allein in den Jahren 2005 bis 2013 3.500 neue Gesundheitszentren errichtet und 40.000 Menschen für Beratung und Erstversorgung auf dem Land ausgebildet.
Auch in der Bildung und in der Stärkung von Frauenrechten sind beachtliche Fortschritte erzielt worden. Äthiopiens Bildungswesen konnte in den letzten Jahren beachtlich entwickelt werden. So erhöhte sich die Zahl der Universitäten von zwei im Jahr 2000 auf siebenunddreißig im Jahr 2015. Weitere elf Universitäten sollen nach dem "Growth and Transformation" Plan der äthiopischen Regierung bis 2020 hinzukommen. Der Anteil von Frauen an den Universitäten ist beachtlich. Schon im Befreiungskampf gegen Mengistu waren 13 Prozent der Freiheitskämpfer Frauen.
Bei all dieser Leistung konnte der Einfluss von ausländischen auf den eigenen Vorteil bedachten Unternehmen in engen Grenzen gehalten werden, die Früchte der Investitionen bleiben im eigenen Land und Äthiopiens Unabhängigkeit wurde gewahrt.
Internationale Interessen von Wirtschaft und Politik
Anscheinend weckt die erfolgreiche Entwicklung und die interessante geopolitische Lage Begehrlichkeiten bei kapitalistischen weltweit agierenden Unternehmen sowie Staaten wie den USA.
Den Unternehmen ist dabei das Bestreben der bisherigen Regierungen, die Kontrolle über wesentliche Bereiche der Wirtschaft zu behalten, ein Dorn im Auge. Die USA sehen die Kooperationen mit China als störend und die Nähe zum Nahen Osten macht Äthiopien für sie geostrategisch interessant. Nicht umsonst ist Äthiopien das einzige Land Afrikas, welches neben Kenia von Obama besucht wurde.
Wurde die alte Regierung wegen Landgrabbing kritisiert, deutet sich jetzt eine ganz andere Dimension des Ausverkaufs an. Gewinnbringende staatliche Unternehmen aus Stromversorgung und Telekommunikation sowie Ethiopian Airlines sollen verkauft und privatisiert werden.
Den globalen geopolitischen Machtkampf zwischen China und den USA/Europa/ (arabische Länder) darf man über dem Jubel nicht aus dem Blick verlieren. Alle diese Machtblöcke haben eigene Interessen gegenüber Äthiopien und nehmen Einfluss. Was also tun, wenn äthiopische Regierungen nicht gewillt sind, das Land westlichen Unternehmen und westlicher Machtpolitik bedingungslos auszuliefern? Ein beliebtes Rezept ist die Destabilisierung der missliebigen Regierung und die Unterstützung von Kräften, die den eigenen Interessen näher liegen. In der Regel passiert dies gerne unter dem Propagandadeckmäntelchen der sogenannten westlichen Werte und man versucht die eigene Einflussnahme auch gerne zu verbergen. Der US-Botschafter Raynor ist bekannt für seine Einflussnahme. Kommt da ein Premierminister wie Dr. Abiy Ahmed vielleicht gerade recht?
Kritische Anmerkungen zur neuen Regierungspolitik in Äthiopien
Dass der neue PM nun derartig bejubelt wird von eben den Seiten, die offensichtlich ihren Einfluss auf Äthiopien ausdehnen wollen, passt gut ins Bild. Vorher kritisierte Menschenrechtsverletzungen und Militarisierung einer ganzen Gesellschaft in Eritrea sind für eben jene Propagandisten plötzlich auch kein Thema mehr. Zwei neue Friedensengel sind geboren.
Auffällig ist auch die Intransparenz und Eile in der diese Politik und dieser "Friedensschluss" vorangetrieben wird. Es scheint, als ob die Blaupause für diese Veränderungen außerhalb Äthiopiens bereits fertiggestellt wurde und nun ohne Konsultation aller gesellschaftlich wichtigen Kräfte vom neuen Erfüllungsgehilfen umgesetzt wurde. China und die Vereinigte Arabische Emirate (VAE) rivalisieren um Kontrolle und Investitionen in Häfen in der Region, vornehmlich Dschibuti, Eritrea und Somalia, vor allem die VAE sind im Hintergrund ebenfalls in die Friedensgespräche involviert und üben in ihrem Interesse Einfluss auf die eritreischen Machthaber aus.
Welche Beweggründe hat eigentlich der Präsident Eritreas Isayas Afewerki, dass er seine Politik gegenüber Äthiopien ändert? Welche Länder waren vorher seine Geldgeber und was hat sich daran geändert?
Vielleicht spielen hier auch europäische Interessen eine Rolle, die es gerne sähen, wenn sie Eritrea zum sicheren Herkunftsland erklären könnten (ohne dass sich in Eritrea wirklich etwas geändert hätte), um die Migrationsbewegung einzudämmen.
Unliebsame Politiker und Funktionsträger werden abgesetzt oder tot aufgefunden. Zu erwähnen ist hier der Botschafter Äthiopiens Berhane Gebrekristos in China (am 23.Juli 2018) oder der Polizeichef Girma Kassa von Addis Abeba (am 23.Juni 2018). Der Chef des Dangote Cement, Deep Camara, wurde am 16.Mai 2018 von Unbekannten erschossen. Merkwürdig ist auch der ungeklärte Tod des Staudammmanagers Simegnew Bekele am 26.Juli 2018, zwei Tage nachdem der PM ankündigte, dass der Damm nicht termingerecht fertig würde. Viele trauern über seinen Tod und sind sich seiner großartigen Leistung bewusst.
Anlass zur Besorgnis gibt auch die Stimmung, die zur Zeit gegenüber Tigray (Region Äthiopiens, die an Eritrea grenzt) geschürt wird. So wurden nach dem Bombenanschlag auf einer Kundgebung des PM sofort, ohne Beweise und vehement Kräfte aus Tigray verantwortlich gemacht. Dies führte zu Aktionen und Kundgebungen gegen Tigray-stämmige Äthiopier. Statt hier an der Einheit aller Äthiopier über ethnische Grenzen hinweg zu arbeiten, scheint die neue Regierung eher unterschwellig Öl ins Feuer zu gießen. Vielleicht wird hier schon ein Sündenbock vorbereitet. Auch in der äthiopischen Region Somali wurde die Politik der Zentralregierung gegen die gewählte Regionalregierung gewaltsam durchgesetzt. Ein Vielvölkerstaat wie Äthiopien ist ohnehin schon anfällig für Spaltung, um so wichtiger, dass alles dafür getan wird, um das Land zu einen.
Ein bisher erfolgreiches Modell der Entwicklung Äthiopiens wird aufs Spiel gesetzt, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken, die Interessen der äthiopischen Bevölkerung werden auf dem Altar internationaler Finanz-, Profit- und Machtinteressen geopfert. Für die Mehrheit unserer Bevölkerung wird es in den nächsten Jahren ein böses Erwachen geben. Nur zu gern wird dabei die Schuld später den Falschen zugeschoben (z.B. den Vorgängern / bzw. einer bestimmten ethnischen Gruppe). Umso wichtiger, dass bereits heute die gegenwärtige Entwicklung kritisch hinterfragt wird und dass schon jetzt auf die langfristigen Folgen hingewiesen wird. Dieser Beitrag versteht sich als erster kleiner Mosaikstein in diesem Sinne.