Äthiopien: Mindestens 52 Tote bei Oromo-Veranstaltung

Regionen in Äthiopien. Karte TUBS (Wikimedia Commons). Lizenz: CC BY-SA 3.0

Regierung und Separatisten geben sich gegenseitig die Schuld

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Bei einer Veranstaltung der Oromo-Volksgruppe im etwa 40 Kilometer von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba entfernten Bishoftu kamen am Sonntag nach Angaben der Regierung 52 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden teilweise schwer verletzt. Dazu, wie die Teilnehmer starben, gibt es unterschiedliche Angaben:

Oromo-Separatisten behaupten, Soldaten hätten von einem Hubschrauber aus das Feuer eröffnet und Menschen über eine Klippe getrieben, nachdem Teilnehmer in Sprechchören "Freiheit" forderten und die Handgelenke über ihren Köpfen kreuzten - ein Erkennungszeichen des Oromo-Separatismus. Medienberichte, dass die Sicherheitskräfte aus den Reihen der Veranstaltungsteilnehmer mit Flaschen und Steinen beworfen wurden, werden von dieser Seite bestritten.

Dem äthiopische Ministerpräsidenten Hailemariam Desalegn nach haben die Sicherheitskräfte dagegen nicht geschossen, sondern große Anstrengungen unternommen, die Öffentlichkeit zu schützen. Er gibt die Schuld "Unruhestiftern", die "ein Chaos geplant" hätten und dafür verantwortlich seien, dass so viele Menschen in den Tod stürzten. Diese Unruhestifter will er nun zur Verantwortung ziehen.

Auch zur Zahl der Teilnehmer und der Toten gibt es sehr unterschiedliche Angaben: Jawar Mohammed vom amerikanischen Oromia Media Network (OMN) zufolge nahmen bei der Veranstaltung am Sonntag nicht "Tausende", sondern zwei Millionen teil - und nicht 52, sondern etwa 300 kamen ums Leben. In der Vergangenheit hatte Mohammed gegenüber der BBC allerdings die "Vergrößerung" von Zahlen durch Oromo-Separatisten eingeräumt.

Konflikt hält seit November 2015 an

Die mindestens 52 Toten sind der vorläufige Höhepunkt in Auseinandersetzung zwischen Oromo und der äthiopischen Regierung, die seit fast einem Jahr andauern: Ursprünglicher Anlass der Oromo-Proteste war der Plan, die Verwaltungsgrenzen von Addis Abeba auf Kosten der die Hauptstadt umgebenden Oromo-Region auszudehnen. Dieser Plan wurde im Januar fallen gelassen - aber die Proteste gingen weiter. Seit Februar liefern sich Oromo-Milizen Gefechte mit der Polizei. Im März hatten die Auseinandersetzungen auch räumlich ein Ausmaß angenommen, dass sich der BBC-Korrespondent James Jeffrey fragte, ob sie die Einheit des Landes gefährden (vgl. Löst sich Äthiopien auf?).

Oromo-Nationalisten fordern, die Regierung solle als Reaktion auf die andauernden Proteste inhaftierte Gesinnungsgenossen freilassen, damit diese in Verhandlungen vermitteln. Die Regierung hat das bislang nicht vor. Ihrer Meinung nach wurden anfänglich legitime Proteste gegen die geplante neue Grenzziehung von organisierten Verbrecherbanden übernommen, die nicht nur zahlreiche öffentliche Einrichtungen, sondern auch Privathäuser von Nicht-Oromo in Brand steckten.

Die früher als "Galla" bekannten Oromo, die auch in Kenia leben, sind die größte Volksgruppe in Äthiopien. Der Anteil der etwa zur Hälfte christlichen und zur Hälfte moslemischen Volksgruppe ist mit knapp 35 Prozent deutlich größer als die 27 Prozent des äthiopischen Quasi-Staatsvolks der Amharen, das auch dann nur auf etwa 33 Prozent kommt, wenn man es mit den kulturell und sprachlich verwandten (und politisch seit 1991 sehr einflussreichen) Tigray als Abessinier zusammenfasst.

Die wichtigsten Sprachen in Äthiopien und Eritrea. Karte: TP

Die Oromo eroberten im 16. und 17. Jahrhundert Siedlungsgebiete von Nachbarvölkern, wo sie mit ihren Pferden und ihren Kopfbedeckungen aus den langen Haaren von Blutbrustpavianen Angst und Schrecken verbreiteten. Im 19. und 20. Jahrhundert dehnten dann die Amharen ihr Herrschaftsgebiet aus, deren Kaiser Menelik II. 1896 die Italiener besiegte und den anderen europäischen Kolonialmächten erfolgreich vormachte, er würde als Christ die Nachbarvölker zivilisieren, wenn man ihn dort herrschen lässt (obwohl dieses Unterfangen in der Praxis vor allem daraus bestand, dass diese Völker amharische Garnisonen ernähren mussten).

Für den äthiopischen Bürgerkrieg der 1970er und 1980er Jahre spielte der Nationalismus der außeramharischen Volksgruppen eine wichtige Rolle. Nachdem die heute regierende "Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker" (EPRDF) 1991 die Regierung stürzte, wurde allerdings lediglich aus dem nach 1945 übernommenen ehemals italienischen Kolonialgebiet Eritrea ein eigener Staat. Alle anderen Gebiete blieben bei Äthiopien, bekamen aber deutlich größere Selbstverwaltungsrechte.

In der damals ins Leben gerufenen Region Oromia herrscht die EPRDF-Blockpartei "Demokratische Volksorganisation der Oromo" (OPDO). In Opposition zu ihr steht die "Oromo-Befreiungsfront" (OLF), die das Oromogebiet aus dem äthiopischen Staatsverband lösen will. Andere politische Akteure sind die "Föderalistische Demokratische Oromo-Bewegung" (OFDM) und die äthiopienweite Oppositionskoalition "Vereinigte Äthiopische Demokratische Kräfte" (UEDF), die beide für mehr Föderalismus eintreten.

Ein Problem, das auch nach der Gründung der Region Oromia weiterbestand, war, dass mehrere Gebiete zwischen Volksgruppen umstritten sind: Die zwischen Somalis und Oromo strittigen Städte Harar und Dire Dawa machte man deshalb trotz Oromo-Bevölkerungsmehrheiten zu eigenen Regionen - ebenso wie die Hauptstadt Addis Abeba, die 1889 von den Amharen auf erobertem Gebiet errichtet wurde und in der etwa ein Fünftel der Einwohner Oromo spricht.

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