AfD: Warum dieser Rechtsruck?

Seite 2: Teil der Bildungsmisere

Das können anscheinend immer weniger. Stichwort Bildungsmisere. Wenn dann von dieser Gefahr, die viele allenfalls ahnen, aber nicht realisieren können, unmittelbare Eingriffe (für sie Übergriffe) in ihre finanziellen und damit existenziell notwendigen Ressourcen ausgehen, wenden sie sich an solche Stimmen, die vermeintlich davor schützen wollen. Stichwort "Heizhammer".

Aus unserer unheilvollen Geschichte wissen wir, dass die NSDAP um 1930 besonders das S im Namen betont hat, das für sozialistisch steht. Oder simpel heruntergebrochen: Hitler hat den Menschen versprochen, sie aus ihrer sozialen Not zu erlösen bzw. sie davor zu bewahren.

Dass hat den demokratischen Parteien damals eine Menge Stimmen gekostet. D. h. auf heute bezogen, dass die AfD bei vielen eine soziale Fürsorge suggeriert, die sie im Grunde gar nicht vertritt. Allein der Glaube daran scheint aber zu wachsen.

Für die Verschlechterung ihrer alltäglichen Lebenssituation, das Abrutschen der Konten in den Dispo, machen nicht wenige den Ukraine-Krieg verantwortlich. Und damit sind auch Bürger:innen gemeint, die grundsätzlich mit der AfD nichts am Hut haben. Vielleicht beschleicht sie nur die latente Angst vor einer unwägbaren Entwicklung bis hin zum Atomkrieg. Mit diesen unguten Gefühlen lassen die etablierten politischen Lager viele allein.

Auch Die Linke ist in dieser Frage uneins. Anders die AfD. Sie stellt sich eindeutig gegen eine bedingungslose militärische Unterstützung der Ukraine und spricht sich für Waffenstillstandsverhandlungen aus. Grund genug für Nichtfaschisten, die vorher im bürgerlichen Wahlspektrum noch eine Alternative gefunden haben, mit der AfD zu sympathisieren.

Mancher, der sich dann postwendend als »Putin-Freund« beschimpft sieht, wird trotzig und denkt, jetzt erst recht(s). Ein weiterer Punkt, der anscheinend immer mehr Deutsche verunsichert, ist der wachsende Einfluss der EU-Befugnisse auf die politischen Entscheidungen im Land.

Die EU-Affinität aller in den Parlamenten vertretenen Parteien, außer eben der AfD, wird zusehends konterkariert durch eine EU-Skepsis unter der Bevölkerung. Grundsätzlich krankt die Vermittlung der Entscheidungen aus Straßburg und Brüssel nicht nur hierzulande daran, dass diese als Gängelung und Bevormundung empfunden werden.

Die positiven Effekte einer EU-Mitgliedschaft geraten in den Hintergrund. Das wird von populistischen Bewegungen gerne aufgegriffen, die das Konstrukt einer nationalen Identität dagegenhalten und auf angebliche Gefahren der Entfremdung pochen.

Das hat Großbritannien den Brexit beschert und war – nicht zu vergessen- der initialzündende Anlass für die Gründung der AfD: der Ausstieg aus der EU. Den hat in GB maßgeblich Boris Johnson durchgeboxt. Ihn deshalb als Faschisten zu bezeichnen, würde nur offenlegen, dass man für die Bewertung der Vorgänge jegliches Maß verloren hat. Will sagen: Wer gegen die EU votiert, muss nicht genuin ein Nazi sein.

In diesen Zusammenhang gehört ein Thema, mit dem man sich medial heute nur noch in die Nesseln setzen kann. Der Umgang mit Fremden oder genauer benannt die Migrationspolitik. Wer öffentlich die Frage stellt, ob der nach wie vor ungebrochene Zuzug von Migranten verschiedenster kultureller Prägungen unser Gemeinwesen vielleicht überlastet, ist nicht gleich rassistisch.

Es wird aber mittlerweile allzu schnell mit diesem Verdikt belastet. Was einen Shitstorm garantiert, wenn man einen Account in einem sozialen Medium betreibt. Vorbehalte gegenüber Fremdem sind menschlich, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb ist man zunächst nicht grundsätzlich fremdenfeindlich. Dazu gehört mehr.

Gemeinschaften bilden Gruppenidentitäten heraus. Aus dieser – eigenen -- Perspektive sehen sie andere. Auf dieser Grundlage hat der Schweizer Historiker Urs Bitterli eine Theorie der Kulturkontakte entwickelt, in der er zwischen Kulturberührung und Kultur-Zusammenstoß differenziert.

Ob dieser Prozess friedlich oder aggressiv verläuft, hängt demnach von unterschiedlichen Faktoren ab, die von beiden Gruppen beeinflusst werden. Dass größere Gruppen aus verschiedenen Kulturkreisen schließlich im Prozess einer Akkulturation zusammenwachsen, ist ein Prozess von langer Dauer. Der Migrationsforschung ist bekannt, dass es in solchen Verläufen knallen und knirschen kann, Rückschritte und vorübergehende Beziehungsabbrüche sind nicht selten.

Wechselseitiger Lernprozess

So etwas sofort mit der verbalen Keule abzustrafen (Rassist! Fremdenhasser! Nazi!), leistet nur der Polarisierung Vorschub, mehr nicht. Wer die Geschichte der Zuwanderung in die Bundesrepublik berücksichtigt, schaut auf eine über 60 Jahre gehende Phase, in der es die deutsche Gesellschaft verstanden hat, die Migranten aus unterschiedlichen Ländern und Herkunftsgebieten zu integrieren.

Angefangen mit den sogenannten Gastarbeitern aus Südeuropa, dann aus dem türkischen Raum, Flüchtlinge aus Südostasien, später aus dem Nahen Osten, dazu Millionen aus den Republiken der UdSSR und der heutigen Russischen Föderation, aus Rumänien, Polen und Tschechien (Aussiedler).

Viele Familien leben hier bereits in der dritten Generation. Begleitet von einem wechselseitigen Lernprozess. Wohlgemerkt, dies betrifft nahezu ausschließlich die alte Bundesrepublik. Die Menschen aus der ehemaligen DDR kennen diese Tradition nicht, und scheinen sich auch nur schleppend daran zu gewöhnen.

Die genannten Gruppen von Zuwanderern haben fast alle eins gemeinsam: Sie unterscheiden sich in kultureller Hinsicht nicht grundsätzlich von den einheimischen Deutschen. Das Gros ist sozusagen in der abendländischen Welt zuhause. Dazu kommt, dass diese Zuwanderer eine hohe Bereitschaft zur Integration gezeigt haben.

Sie wollten sich hier anpassen und hier leben, ohne auf nennenswerte Vorbehalte gegenüber den hiesigen Lebensgewohnheiten zu pochen. Das ist mit den neuen Migranten aus dem orientalischen bzw. muslimischen Herkunftsländern zum Teil anders.

Sie tun sich nicht selten mit der Eingewöhnung ungleich schwerer, bestehen darauf, man solle unbedingt respektieren, dass sie ihre kulturellen Gepflogenheiten beibehalten und gegenüber den heimischen abgrenzen. Ihre von der muslimischen Tradition fest vorgeschriebenen Regeln des Zusammenlebens, der Rolle von Mann und Frau, ihre Einstellung zu Homosexuellen stoßen sich an den kulturellen Selbstverständlichkeiten, die unsere auf den Menschenrechten basierende Grundordnung vorgibt.

Streng betrachtet, wandern uns immer mehr Menschen zu, die sich in ihrem Selbstverständnis nicht an die Normen des GG orientieren. Man muss das im Einzelnen nicht weiter ausführen. Die Tendenz zur Ausbildung von Parallelwelten, die quer zu unserer Verfassung stehen, ist nicht mehr von der Hand zu weisen.

Solche Entwicklungen – die vorhersehbar waren – können die allgemeine Toleranz mitunter überstrapazieren. Wer aus einer emotionalen Überforderung heraus nach Begrenzung des Zuzugs ruft, muss nicht unbedingt ein Rassist oder fremdenfeindlich sein, er*sie hat einfach nur Angst vor dem Fremden, das aus dem Moment heraus als ein Zuviel erscheint. Wenn man dann nur als Fremdenhasser:in wahrgenommen wird, wendet man sich womöglich Stimmen zu, die einem versprechen, die Ängste ernst zu nehmen. Da wären wir wieder bei der AfD.

Was tun gegen den Rechtstrend?

Diese Frage ist ungleich schwerer zu bearbeiten als die Suche nach den Gründen. Die bittere Wahrheit ist, dass es keine Rezepte oder Programme gibt, die in Aussicht stellen, die Entwicklung zu entschärfen oder gar zu stoppen. Niemand könnte so vermessen sein, zu behaupten, dergleichen in der Schublade zu haben. Die aktuelle Dynamik deutet eher darauf hin, dass der Höhenflug der AfD nicht beendet ist. Als letzten Brandschutz kann man bei Entscheidungen, die Spitz auf Knopf stehen, versuchen, Wählerbündnisse zu schließen, um ein AfD-Mandat zu verhindern. In Schwerin hat das geklappt, in Sonneberg nicht.

Die CDU hat mit einem Schnellschussprogramm »Agenda für Deutschland« reagiert. Die Skepsis, ob so etwas tatsächlich in den Köpfen derer ankommt, die damit angesprochen werden sollen, ist groß. In diesem Zusammenhang könnte man noch klären, warum die CDU nicht vom Unmut über die Ampel profitiert: Weil sie vielleicht, genauso wie die Regierung, für eine vorbehaltlose militärische Unterstützung der Ukraine steht?

Die Ampel selbst hat auf den letzten Metern vor der Legislatur-Pause versucht, dem Gebäudeenergie-Gesetz den Schrecken zu nehmen. Der sogenannte Heizhammer wird gemeinhin als letzter Anstoß empfunden, der viele Unzufriedene schließlich zur AfD getrieben habe. Schaut man jedoch auf die E-Mobilität, so zeigt sich auf Deutschlands Straßen, dass auch hier die Vermögenden vorpreschen. Vorrangig sind es Mittelklasse- oder Oberklasse-Modelle, die sich unter Strom in den Verkehr mischen.

Weniger Kleinwagen. Würde man hier die Halterfrage klären, käme höchstwahrscheinlich dabei heraus, dass es sich um Zweitwagen aus finanziell gut gestellten Haushalten handelt. Am besten rechnet sich das klimaneutrale Fahren für Bürger:innen, die ein Eigenheim mit Solaranlage haben. Sie können über die hauseigene Wallbox am günstigsten auftanken.

Das ist in Deutschland aber momentan nicht Standard, sondern Luxus. Wie muss das auf Millionen Kleinwagenhalter:innen wirken, die froh sind, ein Auto im Wert von 3000 bis 9000 Euro finanzieren zu können? Könnte sich da nicht schnell die Sorge in die Köpfe schleichen, künftig von der Automobilität ausgeschlossen zu sein, weil man schlicht nicht genügend Geld hat? Für alle diese Zweifler an der elektronischen Verkehrswende hält die AfD die passenden Versprechen bereit. Sie stellt sich ihnen als die Retterin der Benziner und Diesel dar. Und wird gewählt.

Solange es den Vorantreibern der E-Mobilität nicht gelingt, das ehrgeizige Projekt für die Masse erschwinglich zu gestalten, wird sich daran wohl nichts ändern.

Schlussendlich hat sich die Bundesregierung in ein EU-Programm zur Verlagerung der Asylanträge an die Außengrenzen gefügt. Unter Schmerzen! Zumindest haben die Verantwortlichen gezeigt, dass sie durchaus begreifen, dass man in der Demokratie nicht zu sehr auf Maximalforderungen bestehen sollte. Es gibt immer welche, die man damit verprellen kann, und zwar so sehr, dass sie für die Demokratie verloren gehen.

Und sonst? Auch wenn man weiß, dass gegen das rechte Kraut Aufklärung wenig hilft, darf man Versuche nicht aufgeben. Im Großen wie im Kleinen. Im Großen kann hier Schule eine Menge leisten. Daher sollte grundsätzlich überdacht werden, ob unser Bildungssystem seine Möglichkeiten wirklich ausschöpft. Wenn Männer und Frauen jüngere Generationen beklagen, dass sie die Schule immer noch mit dem Gefühl verlassen, sie müssten sich wegen der NS-Geschichte schämen, kann etwas nicht richtig laufen.

Es stimmt: Nachfolgende Generationen haben eine historische Verantwortung für die Verbrechen, die in deutschem Namen verübt worden sind! Aber sie sind nicht moralisch in die Pflicht zu nehmen. Besser wäre es, ihnen vor Augen zu führen, wie die Bundesrepublik mit der Entwicklung einer Erinnerungskultur um das Holocaust-Mahnmal in Berlin etwas geschaffen hat, was sich wertschätzen lassen kann. Jedoch scheint es immer noch verpönt, jungen Menschen zuzugestehen, dass sie durchaus stolz sein dürfen auf die Tradition seit 1949.

Dabei ist nichts dagegen einzuwenden, ein Nationalbewusstsein an den Tag zu legen, das auf dieser jüngeren Geschichte fußt. So würde aufgezeigt bzw. Zeichen gesetzt, dass Bekenntnisse zur Nation nicht per se mit einer rechten Gesinnung einhergehen müssen. Im Politikunterricht an deutschen Schulen kann man beobachten, dass das Thema EU entweder zu kurz kommt oder nicht angemessen vermittelt wird. Wie kann es sonst sein, dass diese supranationale Institution mit ihrer hohen Bedeutung für unser Leben, nationale Gesetzgebung und Wirtschaft für zu viele junge Deutsche ein undurchsichtiges Konstrukt bleibt, dessen exekutive Macht sie nicht nachvollziehen können?