Afghanistan: Der hohe Blutzoll der Bevölkerung
Ein Angriff von US-amerikanischen und afghanischen Spezialeinheiten auf eine Hochzeitsfeier wird von der afghanischen Regierung mit der Zusammenarbeit zwischen Taliban und al-Qaida begründet
Wie geht es in Afghanistan weiter? Wie Donald Trump kürzlich bekräftigte, sind die Verhandlungen zwischen den Talibanvertreter und den US-Unterhändlern aus seiner Sicht erstmal gestorben,"dead". Das US-Veteranenmagazin Task and Purpose beschwert sich über die Stille der US-Administration zum Geschehen im Land: "Es wäre sicher gut zu wissen, was zum Teufel los ist in Afghanistan."
Mindestens 40 zivile Tote
Jüngste Meldungen bestätigen, was nach dem überraschend plötzlichen Abbruch der Verhandlungen seitens des US-Präsidenten befürchtet wurde: Dass die kriegerischen Auseinandersetzungen zunehmen und die Zivilbevölkerung einen hohen Preis dafür bezahlt. Ein Angriff (englisch "raid") in der Nacht des vergangenen Sonntags in der Provinz Helmand hat nach Auskunft eines Augenzeugen und zweier afghanischer Regierungsangestellter mindestens 40 Zivilisten das Leben gekostet, wie Reueters berichtet. Laut Informationen der Nachrichtenagentur waren sie Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft.
Die afghanische Nachrichtenseite Tolo-News berichtet, ebenfalls auf Augenzeugen gestützt, von mindestens 14 Zivilisten, die auf der Fahrt nachhause von einer "Vorbereitungsfest" auf eine Hochzeit getötet wurden. Aus beiden Berichten geht hervor, dass Frauen und eine größere Anzahl von Kindern unter den Opfern sind. Das wurde laut Tolo-News auch von offizieller Stelle der Provinzverwaltung in Helmand bestätigt, wobei man dort von Zivilisten spricht, die als "Passanten" während der Nachtoperation bezeichnet werden.
"Gezielte Präzisionsangriffe"
Der genaue Verlauf ist, wie man schon an diesen Informationsfragmenten erkennen kann, ziemlich unklar bis auf die Tatsache, dass die Angreifer afghanische Spezialeinheiten waren, die sowohl am Boden sowie auch aus der Luft von der US-Armee unterstützt wurden. CBS zitiert aus einem Statement des US-Kommandos in Afghanistan, wonach es "gezielte Präzisionsangriffe" waren.
Sie galten, und das ist der für die Militärstrategen interessante Aspekt, einem Waffenlager, das mit al-Qaida in Verbindung gebracht wird. Das wäre ein Beweis für eine Waffenbrüderschaft zwischen den Taliban und al-Qaida. Was den Verlauf betrifft, so spielt die mutmaßliche Anwesenheit von al-Qaida-Mitgliedern ebenfalls eine Rolle, weil behauptet wird, dass ein Mann (ein "ausländischer Kämpfer", so ein Vertreter des afghanischen Verteidigungsministeriums) einen Sprengstoffgürtel gezündet haben soll, womit der Tod und die Verletzung von vielen Zivilisten erklärt wird.
Es habe darüber hinaus weitere Explosionen nach den Luftangriffen gegeben, gibt CBS einen US-Militärvertreter wieder, der dies als Nachweis dafür erwähnt, dass der angegriffene Gebäudekomplex auch als Waffenlager genutzt wurde. Nach Reuters-Informationen wurde das Gebäude als Ausbildungsstätte für Selbstmordattentäter - und zwar männlichen wie weiblichen - von den Taliban und der al-Qaida genutzt.
Afghanische Stellen vorab über die Hochzeit informiert
Der Reuters-Augenzeuge berichtet, dass die Hochzeitgesellschaft gerade zu einer "Henna-Zeremonie" ins Haus gehen wollte, als der Kampf begonnen habe. Man habe den angreifenden Truppen gesagt, dass man nicht zu den Taliban gehöre. Bei CBS ist gar zu erfahren, dass offizielle afghanische Stellen vorab über die Hochzeit informiert wurden.
Die Undurchsichtigkeit der Aktion wird von offiziellen Aussagen weiter verstärkt. So behauptet der Sprecher der US-Armee in Afghanistan Colonel Sonny Leggett, dass "die meisten, die bei der Operation getötet wurden, durch Gewehrschüsse der Milizen oder die Explosion der gelagerten Waffen oder der Selbstmordwesten ihr Leben verloren".
Das Büro des Provinzgouverneurs von Helmand spricht allerdings davon, dass 22 Taliban-Kämpfer getötet wurden, darunter vier Kommandeure und der "Schattengouverneur" der Taliban von Musa Qala. Doch nicht durch "friendly fire", wie es die Äußerung des US-Armeesprechers nahelegen könnte?
Gemeldet wird von CBS, dass sich fünf Männer aus Pakistan und einer aus Bangladesch unter den Gefangenen befinden, die große Öffentlichkeit wird allerdings wahrscheinlich nicht erfahren, ob deren Aussagen bestätigen, was das Büro des afghanischen Präsidenten als Erfolgsmeldung für den Angriff verkündet: Das Ziel sei eine hochrangige al-Qaida-Gruppe gewesen, die in dem Gebäudekomplex mit Taliban-Führern zusammen war. Der Gebäudekomplex sei als wichtige Stellung der Taliban in Helmand bekannt.
Zusammenarbeit zwischen den Taliban und al-Qaida
Das besondere Ziel sei Asim Umar gewesen, der Führer der al-Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS). Ob der Mann getötet wurde oder in Gefangenschaft geriet, ist den Twittermeldungen von Ghanis Büro nicht zu entnehmen. Dort heißt, dass Umars Bote getötet wurde. Der sei zu Lebzeiten für Umars Nachrichten an al-Qaida-Chef Sawahiri verantwortlich gewesen. Auch ein bekannter Sprengstoffexperte der Taliban sowie dessen Helfer seien getötet worden.
Dies ist eine Nachricht, die bei den Autoren des US-amerikanischen Long War Journal auf ausgeprägtes Interesse stößt, weil sie die These stützt, die von Thomas Joscelyn und Bill Reggio gegen die Verhandlungen der USA mit den Taliban ins Feld geführt wurde: Die enge Zusammenarbeit zwischen den Taliban und al-Qaida steht in den Augen der beiden gegen ein US-Abkommen mit den Taliban.
Der Think Tank FDD (Foundation For Defence of Democracies), dem beide Autoren angehören und der das Magazin finanziert, ist eng mit neokonservativen Kreisen verbunden. Dort verfolgt man strategische Ziele, zu denen ein Totalabzug der USA nicht gut passt. Man hält dort Iran, ein Nachbarland Afghanistans, für einen Verbündeten von al-Qaida.
So kommt es, dass im Long War Journal zuverlässig sämtliche Spuren aufgelistet werden, die dem widersprechen, was in der US-Öffentlichkeit als Taliban-Zusage bei den Verhandlungen kursierte - eine Art Garantie, dass die Taliban dafür Sorge tragen würden, dass al-Qaida keinen sicheren Hafen in Afghanistan habe. Jüngste Meldungen von Waffenlieferungen der Taliban an al-Qaida werden als Kontrast dazu weitergegeben.
Zwar geht es in der Garantieerklärung, die von den Taliban gefordert wurde, genauer genommen darum, dass die USA sicherstellen wollten, dass von al-Qaida oder anderen radikalen Dschihadistengruppen keine Anschlagsgefahr für andere Länder, vornehmlich der USA, ausgehen soll.
Aber mit dem Verweis auf die enge Zusammenarbeit der beiden großen Dschihadistengruppen werden Zweifel daran verstärkt, dass der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan die richtige Entscheidung ist. Die Autoren des LWJ haben Einfluss. Das zeigt sich etwa an den Auftritten vor US-Ausschüssen, zu denen Joscelyn häufig eingeladen wird.
Erfolge?
Der US-Präsident hat sich vorerst auf die Seite der "Abzugsskeptiker" gestellt, die sich besonders aus dem Milieu der Militärs laut hervortaten. Wie der erwähnte Angriff in Helmand zeigt und ebenso der Drohnenangriff der USA am 18. September in Nangarhar, beim angeblich mindestens 30 Zivilisten den Tod fanden, bleibt die US-Präsenz in Afghanistan eine Quelle von sinnlosem Leid.
Der Angriff galt einem IS-Versteck, getroffen wurden Zivilisten. Es sieht nicht danach aus, als ob die Kriegsführung der USA in weiteren Jahren der Präsenz den Erfolg gegen Terroristen in Afghanistan erreichen kann, den sie in den letzten 18 Jahren nicht geschafft hat. Die Taliban machen währenddessen in ihrer Erklärung vom 21. September noch einmal deutlich, dass das Ziel ihres Dschihads die "Beendigung der Besatzung" ist und die "Errichtung eines islamischen Emirats".
Manche Beobachter meinen, dass die Konkurrenz durch den IS die Taliban zu weiteren Gewaltaktionen anspornen würde. Wie es aussieht, reißt die Gewaltspirale nicht ab.