Afghanistan: Neue Warlord-Geschichten

Faryadi Sarwar Zardad. Bild: Screenshot aus dem BBC-YouTube-Video

Der Warlord Abdul Rashid Dostum ist Vizepräsident, Faryadi Sarwar Zardad wurde aus britischer Haft entlassen und ist nach Kabul zurückgekehrt

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Dass in Afghanistan weiterhin brutale Kriegsfürsten das Sagen haben, ist an sich nichts Neues. Doch als manche von den jüngsten Vorwürfen gegen Abdul Rashid Dostum, dem gegenwärtigen afghanischen Vizepräsidenten erfuhren, meinten sie, nicht richtig gehört zu haben. Der Grund: Der usbekische Warlord und seine Milizen sollen einen älteren Mann gefoltert und sexuell missbraucht haben.

Bei dem älteren Mann handelt es sich um Ahmad Ishchi, einen politischen Rivalen Dostums, der ebenfalls der usbekischen Minderheit Afghanistans angehört. Ishchi ist der ehemalige Gouverneur der Provinz Jawzjan, Dostums Heimprovinz.

Erstmals schilderte Ishchi den Missbrauch Anfang Dezember vor laufender Kamera während eines Interviews mit dem afghanischen Nachrichtensender Tolo TV. Demnach soll Dostum Ishchi nicht nur mit dem Tod gedroht, geschlagen und erniedrigt, sondern auch vergewaltigt haben. Der Vorfall soll sich Ende November ereignet haben. Besonders prekär: Da Präsident Ashraf Ghani zum damaligen Zeitpunkt außer Landes gewesen ist, handelte Dostum de facto nicht nur als Vizepräsident, sondern als amtierender Staatschef.

Ishchis Vorwürfe wurden von Dostum und seinen Vertretern zurückgewiesen. In einem offiziellen Statement sprach das Büro des Vizepräsidenten von einer Verschwörung, dessen Ziel die Diffamierung Dostums sei. Mehreren Zeugen zufolge wurde Ishchi von Dostum Ende November nach einem Buzkashi-Spiel, einer im Norden Afghanistans verbreiteten Reitsportart, auf offener Straße geschlagen, bevor seine Männer ihn in einem Wagen verfrachteten und wegfuhren.

Die afghanische Regierung gab nach der Bekanntmachung des Vorfalls an, die Vorwürfe untersuchen zu wollen. "Niemand steht über dem Gesetz", hieß es seitens der Regierung. Die Vertreter mehrerer westlicher Staaten reagierten ebenfalls beunruhigt. Unter anderem sprach sich auch die EU für eine unabhängige und transparente Untersuchung des Falles aus und betonte, dass etwaige Menschenrechtsverbrechen nicht ignoriert werden dürften.

Dostum ist durch den Westen an die Macht gekommen

Dass westliche Staaten sich um die Menschenrechtsverbrechen von afghanischen Kriegsfürsten kümmern, ist etwas Neues. Obwohl im gegenwärtigen Fall Dostum tatsächlich noch ein Verdächtiger ist, wäre es alles andere als verwunderlich, wenn die Vorwürfe Ishchis sich bewahrheiten würden. Immerhin ist die Vergangenheit des afghanischen Vizepräsidenten bekannt. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Jahrzehnten die Verbrechen von Dostum und seinen Milizen, die zu den brutalsten der jüngeren Geschichte Afghanistans gehören, dokumentiert. De facto finden sie in diesen Tagen weiterhin statt.

Dass Männer wie Dostum in Afghanistan überhaupt regieren, ist hauptsächlich der westlichen Politik am Hindukusch zu verdanken. Denn seit 2001 zieht man es vor, im Kampf gegen die Taliban und zum "Schutz" der eigenen Truppen vor Ort mit nahezu jedem bekannten Kriegsverbrecher zusammenzuarbeiten. Die Folgen dieser Zusammenarbeit ist die massive Bereicherung sowie die politische Unantastbarkeit besagter Kriegsfürsten geworden. Über Massaker und andere etwaige Menschenrechtsverbrechen wurde meistens systematisch hinweggesehen.

Dostum ist allerdings nicht der einzige afghanische Warlord, der in diesen Tagen für Schlagzeilen gesorgt hat. Vor wenigen Tagen wurde nämlich Faryadi Sarwar Zardad, ein berüchtigter Kriegsfürst der Hizb-e Islami, jener Mudschaheddin-Partei, die in den 1980er-Jahren massiv durch den Westen im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt wurde, aus britischer Haft entlassen und zurück nach Afghanistan geschickt.

Warlord Zardad könnte sich rächen

Zardad gehört zu den wenigen Warlords, denen überhaupt ein Prozess gemacht wurde. Dass dies in Großbritannien geschah, war ein ungewöhnlicher Zufall. 1998 stellte Zardad mit gefälschten Dokumenten einen Asylantrag im Land. Währenddessen war der Kriegsfürst in Afghanistan dafür bekannt, Menschen auszurauben, zu foltern und zu töten.

Berüchtigt war Zardad vor allem durch seinen "Menschenhund", einem seiner Kämpfer, den er wie einen Hund hielt und mit dem er seine Geiseln Angst einjagt. Berichten zufolge soll Zardad ihn mit den abgetrennten Hoden seiner Opfer gefüttert haben.

Zardads Identität flog im Jahr 2000 auf, nachdem der damalige Außenminister der Taliban-Regierung, Wakil Ahmad Muttawakil, den Briten während eines BBC-Interviews vorwarf, Zardad Schutz zu gewähren. 2003 wurde der Warlord von den britischen Behörden aufgespürt und verhaftet. Im selben Jahr fand ein Prozess gegen ihn statt. Nachdem mehrere Zeugen aus Afghanistan aussagten, wurde Zardad der Folter und der Entführung schuldig gesprochen und musste eine zwanzigjährige Haftstrafe antreten.

Nun wurde Zardad vorzeitig entlassen und nach Afghanistan abgeschoben. Dutzende seiner Anhänger erwarteten den Kriegsfürst bereits am Kabuler Flughafen. Zeitgleich zeigten sich Menschenrechtler besorgt. Die britische Regierung hat nämlich nicht bedacht, dass zahlreiche Zeugen, die einst gegen Zardad ausgesagt haben, nun gefährdet sein könnten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagte etwa, dass die britische Regierung die damaligen Zeugen in keinster Weise über die Rückführung Zardads nach Afghanistan informiert oder vorgewarnt habe. In Afghanistan wird kein Gerichtsprozess gegen Zardad erwartet. In Kabul wurde der Warlord für kurze Zeit vom afghanischen Geheimdienst NDS in Gewahrsam genommen. Nachdem jedoch ein hohes, namentlich nicht bekanntes Regierungsmitglied intervenierte, wurde Zardad in die Freiheit entlassen.

Erst vor Kurzem handelte die Regierung Ashraf Ghanis einen Friedensdeal mit der Hizb-e Islami, Zardads einstiger Partei, aus. "Viele Menschen befürchten, dass Zardad sich an jenen, die ihn damals in eine britische Gefängniszelle brachten, rächen möchte. Niemand in Kabul scheint den Willen zu haben, ihn zu stoppen", so Human Rights Watch.