Afghanistan: Verbrechen der Sowjets dürfen nicht verdrängt werden

Abzug der sowjetischen Truppen. Foto: RIA Novosti archive, image #58833 / A. Solomonov / CC-BY-SA 3.0

Im russischen Parlament soll eine Resolution verabschiedet werden, durch die der damalige Einsatz nachträglich legitimiert wird. Kommentar

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Vor wenigen Tagen jährte sich der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan zum 30. Mal. Am 15. Februar 1989 verließ der letzte Soldat der Roten Armee über den Amu-Darya das Land - nach einer Niederlage.

Die sowjetische Besatzung des Landes dauerte fast ein ganzes Jahrzehnt an, und sie kostete rund zwei Millionen Afghanen das Leben. Auch in Russland wusste man, was für ein Verbrechen man begangen hatte. Politiker und Intellektuelle wie der bekannte Physiker Andrej Sacharow kritisierten den Afghanistan-Einsatz und prangerten die Verbrechen der Roten Armee an. Vor allem nach dem Abzug stand die Frage, wie unmoralisch und falsch der Krieg gewesen ist, nicht mehr im Raum.

Doch nun soll sich das ändern. Einem Bericht der Washington Post zufolge soll es im russischen Parlament eine Resolution geben, durch die der damalige Einsatz nachträglich legitimiert werden soll. Die einstige Niederlage soll zum vermeintlichen Erfolg deformiert werden.

Das Parlament wird erwartungsgemäß eine Resolution verabschieden, die die sowjetische Invasion im Jahr 1979 rechtfertigt und damit das frühere Urteil des Kremls, das von einem "politischen Fehler" sprach, revidieren. Im ganzen Land sollen Gedenkveranstaltungen abgehalten werden.

Washington Post

Eine solche Geschichtsrevision ist gefährlich, wenn man bedenkt, wie grausam die Verbrechen der Roten Armee und der afghanisch-kommunistischen Regierungen in Kabul gewesen sind. Fakt ist, dass sie in vielen Debatten bereits zu kurz kommen und kaum noch erwähnt werden.

Vor allem in sogenannten kritischen und linken Diskursen liegt der Fokus oftmals auf die damaligen Rebellen-Gruppierungen, die Mudschaheddin, sowie auf die Rolle der USA, Saudi-Arabiens und Pakistans. Natürlich herrschte damals der Kalte Krieg und natürlich spielte sich auch ein Stellvertreterkrieg am Hindukusch ab.

Doch mittlerweile weiß man viel mehr von den Machenschaften eines Zbigniew Brzezinski und der berühmt-berüchtigen "Operation Cyclone" als über die brutalen Verbrechen der damaligen Regime in Kabul, der Roten Armee sowie des KGB.

Genozidale Verbrechen

Dabei waren eben jene Verbrechen, die damals gegen die afghanische Zivilbevölkerung ausgeübt wurden, nicht nur in jeglicher Hinsicht niederträchtig, sondern genozidal. Die Rote Armee löschte ganze Dörfer aus und machte sie dem Erdboden gleich, während ihre afghanischen Verbündeten Zehntausende von Menschen in ihren Folterkerkern verschwinden ließen.

Laut einem damaligen UN-Bericht tötete die Rote Armee allein zwischen Januar und September 1985 mindestens 33.000 Zivilisten. Sie übte, so hob der Bericht hervor, eine Gewalt aus, die in keiner Weise mit jener der Aufständischen, die ebenfalls Kriegsverbrechen begingen, vergleichbar gewesen ist.

In diesem Kontext sollte man auch ein besonderes Augenmerk auf jene kommunistischen Führer werfen, die in Kabul vor und nach der sowjetischen Intervention das Sagen hatten. Ein Beispiel hierfür ist etwa Noor Mohammad Taraki, der die kommunistische Demokratische Volkspartei Afghanistans führte und sich nach der sogenannten Saur-Revolution im Jahr 1978 und dem damit verbundenen blutigen Putsch gegen Präsident Mohammad Daud Khan zum Regierungschef ernannte.

Um Taraki entwickelte sich ein kruder Kult. Seine Anhänger betrachten in als den "Anführer der Revolution". Doch der Diktator terrorisierte Afghanistan so sehr, dass sich selbst das Politbüro in Moskau Sorgen machte. Die rund 300.000 traditionellen Mullahs im Land betrachtete Taraki als "Hürde für den Fortschritt". Er ließ viele von ihnen foltern, erschießen oder lebendig begraben.

Außerdem gab er den Befehl, jegliche Anhänger der Muslimbrüder und anderer Gruppierungen sofort hinzurichten. Dies erscheint umso weniger verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Taraki ein großer Anhänger jenes "Roten Terrors" gewesen ist, der sich nach der bolschewikischen Revolution abspielte. "Lenin lehrte uns, gnadenlos gegenüber den Feinden der Revolution zu sein", sagte Taraki einst zu Alexander Puzanov, dem damaligen Botschafter der Sowjetunion in Afghanistan.

Laut Vasili Mitrokhin, einem ehemaligen KGB-Archivar, wurde Taraki Jahre bevor er an die Macht kam von den Sowjets rekrutiert und erhielt dabei den Codenamen "NUR". Tarakis Amtszeit hielt allerdings nicht lange. Rund eineinhalb Jahre nach der "Revolution" wurde der Lehrer von seinem einst treusten Schüler, Hafizullah Amin, entmachtet und ermordet. Die Terrorherrschaft der afghanischen Kommunisten wurde von Amin allerdings fortgesetzt.

Zehntausende von Afghanen wurden in diesem Zeitraum verschleppt, gefoltert und getötet. Zahlreiche Familien suchen bis zum heutigen Tage die Überreste ihrer Verwandten oder eine Bestätigung ihrer Tötung.

Im Gegensatz zu Taraki hatte Amin keinen einschlägigen KGB-Hintergrund. Er wurde nie vom sowjetischen Geheimdienst in den Daud-Jahren oder zuvor rekrutiert. Stattdessen war eher Gegenteiliges der Fall. Aufgrund der Tatsache, dass Hafizullah Amin in den USA studiert hatte, lag oftmals der Verdacht im Raum, er sei ein CIA-Agent. Dieses Gerücht, das schon länger existierte, wurde auch vom Politbüro verbreitet, nachdem es immer unzufriedener mit Amins Regierungsstil wurde.

Ironischerweise glaubte man in Moskau irgendwann, dass dieses Gerücht womöglich doch der Wahrheit entspreche. Letztendlich war Amins Inkompetenz sowie sein Führungsstil der Grund für die sowjetische Militärintervention im Dezember 1979 - eine Tatsache, über die heute sogar der US-Präsident anscheinend nichts weiß. Vor wenigen Monaten meinte Donald Trump nämlich, dass die Sowjetunion aufgrund von "Terroristen", die Russland bedrohten, in Afghanistan einmarschierte.

Amin wurde nach dem Einmarsch getötet. An seiner Stelle installierte man Babrak Karmal (KGB Codename MARID). Karmal, der den sogenannten Parcham-Zweig der afghanischen Kommunisten führte, war eine geeignete Marionette.

"Seine sowjetischen Köche, Kellner und Bediensteten, der sowjetische Fahrer in seiner schwarzen Limousine und seine sowjetischen Berater kümmerten sich um ihn rund um die Uhr. […] Seine Gespräche wurden aufgezeichnet. Sowjetische Wachen patrouillierten im Palast, in dem Karmal lebte. Afghanische wachen umgaben ihn, aber ihre Waffen waren nicht geladen. Jener Karmal, der sich einst frei bewegen konnte, war nun wie eine Perle", schrieb der bekannte afghanische Historiker Mohammad Hassan Kakar einst.