Afrin: Schwere Kämpfe zwischen türkischen Verbündeten und Milizen
Die Türkei erhebt ausdrücklich "hegemoniale Ansprüche". Die Milizen streiten sich über die Beute
Afrin wird von der Türkei und ihren Verbündeten als Beute behandelt. Der Eindruck, dass sich die Lebensbedingungen in Afrin mit der türkisch geführten Operation "Olivenzweig" deutlich verschlechtert haben, wird von jüngsten Nachrichten aus dem syrischen Distrikt erhärtet.
Am Wochenende fuhr die türkische Armee schweres Gerät auf, um gegen islamistische Milizen vorzugehen, die bei der Operation "Olivenzweig" noch Verbündete waren. Die Nachrichten sind, wie so oft, in einigen Punkten widersprüchlich.
Es gab Tote, so viel ist gewiss. Von mindestens 25 Toten berichtet Kurdistan24.net, das sich auf Angaben des "Syrischen Observatoriums für Menschenrechte" (SOHR) bezieht. Bekanntlich hat das SOHR ein weitgeknüpftes Netzwerk von Informanten in Syrien, deren Berichte mal mehr und mal weniger zuverlässig sind.
Laut SOHR handelt es sich um die schwersten kriegerischen Auseinandersetzungen, seit die türkische Armee mit Hilfe verbündeter syrischer Milizen im März dieses Jahres über Afrin die Kontrolle über Afrin übernommen hat.
Aus dem schwer lesbaren, weil weitgehend ohne Punkt und Komma geschriebenen SOHR-Bericht über die Vorgänge am Wochenende lässt sich herauslesen, dass die türkische Armee mit verbündeten Milizen gegen das Hauptquartier der Miliz Shuhada’a al-Sharqiyya vorgehen wollte.
Krieg mitten in der Stadt
Der Gruppe werden laut Bericht Plünderungen, schwere Gewaltaten und Entführungen vorgeworfen. Von solchen räuberischen und brutalen Milizen-Aktivitäten ist in Afrin seit vielen Monaten die Rede. Offenbar gab es für die türkische Armee, die mit Panzern und schweren gepanzerten Fahrzeigen anrückte, wichtige Gründe, um gegen die Gruppe vorzugehen, dessen Hauptquartier mitten in der Stadt Afrin liegt.
Nach Auskunft der SOHR-Informanten wurde am Samstag eine Ausgangsperre verhängt. Daraus resultierten die Kämpfe, die von schweren Verlusten auf beiden Seiten und brennenden Häusern in der Nachbarschaft führten. 14 Kämpfer der Miliz Shuhada’a al-Sharqiyya sollen getötet worden sein, der Rest der 25 "casualties" (wozu auch Verletzte zählen) finden sich auf der anderen Seite. Wie viele davon der türkischen Armee angehören oder den mit ihr verbündeten Milizen, vornehmlich der turkmenischen Sultan Murad Brigade, bleibt noch im Dunkeln.
Opportunisten und Dschihadisten: Ahrar al-Sharqiya
Die genannte Uneinigkeit in den Berichten zu den Kämpfen besteht über die Rolle der Miliz Ahrar al-Sharqiya. Diese hat Verbindungen zur Shuhada’a al-Sharqiyya. Ob sie nun so weit gehen, dass die Ahrar al-Sharqiya aufseiten von Shuhada’a al-Sharqiyya dem türkischen Kampfbündnis entgegenhielt oder ob sie sich ebenfalls auf deren Seite geschlagen hat, darüber gibt es differierende Berichte.
Um die Mühe der Leser nicht mit detaillierten, aber unzuverlässigen Informationen zu strapazieren, sei auf einen entscheidenden Punkt hingewiesen, nämlich die Aufsplitterungen von Gruppen, die sich opportun der Lage und Dynamik von Machtverhältnissen und daraus resultierenden Gewinnen und Unterstützung anpassen.
Ahrar al-Sharqiya ist dafür ein Musterbeispiel. Die Miliz hat, wie es ausführlich vom französischen Historiker Matteo Puxton im Mai dieses Jahres geschildert wurde, sehr viel Wandlungsfähigkeit bewiesen. Es gibt, um grob die interessanten Verbindungen aufzuzeigen, engste Verknüpfungen zu Dschihadisten, namentlich zur al-Nusra-Front und zu deren ehemaligen Kampfbrüdern von Ahrar al-Sham, die als Salafisten gelten und von der Türkei kräftig unterstützt werden.
So setzt sich Ahrar al-Sharqiya aus einer Mischung von Dschihadisten und Salafisten und anderen Islamisten zusammen, die nach Auffassung der Türkei lange Zeit kooperationsfähig waren. Die Miliz spielte laut Puxton zwar keine Hauptrolle bei den Operationen "Euphrates Shield" und "Olive Branch", nahm aber eine sichtbare Rolle ein. Der gemeinsame Nenner war die Gegnerschaft zu den Kurden, die militärisch mit der YPG und politisch mit der PYD verbunden werden.
Aussichten auf Kriegsbeute
Man kann davon ausgehen, dass neben dem gemeinsamen Feind ein großes Interesse der Ahrar al-Sharqiya an der Kriegsbeute bestand. Darüber gab es schon homerischen Kriegszeiten großen Streit. Nimmt man nun hinzu, dass manche engere Verbindungen zwischen der Miliz Shuhada’a al-Sharqiyya und der Ahrar al-Sharqiya unterstellen, so wird die Konfusion darüber, auf welcher Seite sich Ahrar al-Sharqiya bei den Kämpfen am Wochenende befand, nachvollziehbar. Gut möglich erscheint in diesem Licht, dass es innerhalb der Miliz unterschiedliche Fraktionen gibt, die je nach Opportunität handeln.
Die Aufsplitterung von Milizen wie auch ihre Allianzenbildungen ist ein Phänomen, das die Türkei vor größere Kontrollprobleme stellt. Nicht nur in Afrin, sondern auch in Idlib (vgl. Idlib: HTS behauptet, alle bewaffnete Gruppen hätten sich zusammengeschlossen).
Das Problem verschärft sich dadurch, dass die Türkei zum einen von den Astana-Vereinbarungen zur Garantiemacht der Opposition gemacht wurden, zum anderen durch die Absicht der Türkei, auf der syrischen Seite der Grenze eine möglichst weit von Afrin nach Osten reichende Pufferzone zu errichten. Dabei ist man wesentlich von den syrischen Milizen abhängig.
Geht es nach kurdischen Twitter-Beobachtern, so kämpfte Ahrar al-Sharqiya am Wochenende in Afrin gegen die mit der Türkei verbündeten Milizen Sultan Murad-Brigade und al-Hamzat. Dem gegenüber gibt es die Darstellung eines Twitter-Beobachters aus Ankara, der von Erklärungen der Ahrar al-Sharqiya berichtet, wonach sie gemeinsam mit der türkischen Armee, der Nationale Syrischen Armee, der Polizei und anderen verbündeten Milizen gegen Shuhada’a al-Sharqiyya sowie "Verbrechern der YPG" vorgegangen ist.
Die Olivenernte und die türkische Hegemonie
Nach Informationen des kurdischen Mediums ANF ging es bei der türkischen Operation am Wochenende, deren Auseinandersetzungen noch nicht beendet sind, um die Zerschlagung von Milizen. Als Gegner wird hier Ahrar al-Sharqiya bezeichnet:
Die Zerschlagungsoperation gegen die Miliz Ahrar al-Sharqiya wird von türkischen Spezialeinheiten und dem vom türkischen Geheimdienst MIT kontrollierten Bündnis aus dschihadistischen und rechtsextremen Milizen, Jaish al-Watani ("Nationale Syrische Armee") geleitet.
Während sich im Bündnis Jaish al-Watani unter anderen viele Mitglieder des Al-Qaida-Ablegers Jabhat al-Nusra befinden, rekrutiert sich Ahrar al-Sharqiya vor allem aus IS-Milizionären, die vor den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aus Deir ez-Zor geflohen sind. Zuvor war es schon häufiger zu Auseinandersetzungen und Beutestreitigkeiten zwischen diesen beiden Milizbündnissen gekommen.
Nach aktuellen Informationen gingen das türkische Militär und die Miliz Sultan-Murad-Brigade zunächst gegen eine der Ahrar al-Sharqiya nahestehenden Gruppe (Tecamma) vor, anschließend wurde auch Ahrar al-Sharqiya in die Operation mit einbezogen.
ANF
Bemerkenswert ist, dass von ANF der Streit um die Olivenernte in Afrin als Auslöser geschildert wird. Demnach gebe es zwischen Ahrar al-Sharqiya und der "vom türkischen Geheimdienst MIT kontrollierten" Sultan-Murad-Brigade schon lange einen schwelenden Konflikt, der sich beim Streit über die Olivenernte aufschaukelte.
Wie an dieser Stelle bereits berichtet, hat die Türkei, die den syrischen Distrikt Afrin de facto verwaltet, angeordnet, dass die in diesem Jahr reich ausgefallene Olivenernte in die Türkei gebracht wird. Der türkische Agrarminister Bekir Pakdemirli räumte dies nun in einem offiziellen Statement ein und begründete das Vorgehen damit, dass die türkische Regierung es nicht wolle, dass die Einkünfte in die Hände der PKK fallen. Sie sollten besser in die Hände der türkischen Regierung gelangen. Denn: "Das ist eine Region in unserer Hegemonie."