Afrin: YPG in der Zwickmühle
Es gibt Unterstützung gegen die türkischen Angriffe durch Milizen, die mit der syrischen Regierung verbunden sind, aber bislang nicht genügend. Für mehr steht die Beziehung zu den USA im Weg
In Afrin ist weiter Verstärkung für die YPG eingetroffen, Milizionäre von sogenannten syrischen Volksschutzeinheiten. Das wird in vielen Kurznachrichten auf Twitter gemeldet, untermalt mit Bildern und Videos. Auch die syrische Nachrichtenagentur Sana, eng verbunden mit der Regierung in Damaskus, berichtet von "popular forces", die bereits schon seit Mittwoch in mehreren Schüben in die Region Afrin gekommen sind.
Laut der kurdischen AFN-News traf am heutigen Donnerstag die "dritte Gruppe der Volksschutzeinheiten" in Afrin ein. Die erste Gruppe, die bereits am Dienstag gekommen sei, sei seit gestern in Cindirês und Raco stationiert.
Wie bedeutend die Verstärkung ist, die den YPG-Kämpfern an der Front gegen den Angriff der Türkei und ihrer islamistischen Verbündeten beistehen, darüber gibt es noch keinerlei genaue und verlässliche, sondern nur sehr unterschiedliche Angaben.
Am Dienstag meldete die türkische Nachrichtenagentur Anadalu Agency noch, dass "pro-Regime-Milizen", die auf dem Weg nach Afrin waren, 10 Kilometer vor dem Erreichen der Region mit Warnschüssen davon abgehalten wurden, so dass der Konvoi kehrt machte. Daraus entstand im Folgenden der Eindruck, dass die Abschreckung der Türkei funktionieren könnte. Die türkische Regierung bestärkte diesen Eindruck.
Wut in Ankara
Wie sehr ihr eine Zusammenarbeit oder gar eine Vereinbarung zwischen den YPG und der syrischen Regierung gegen den Strich geht, machte der Vize-Premierminister und Regierungssprecher Bekir Bozdağ am heutigen Mittwoch erneut deutlich:
Es gibt Geheimdienstkenntnisse, dass schmutzige Verhandlungen zwischen dem syrischen Regime und der YPG in der Region Afrin geführt wurden, aber es gibt auch Informationen, wonach sie zu keiner Vereinbarung gekommen sind. Es wurde nicht bestätigt, dass das Regime offizielle Truppen in der Region Afrin einsetzt.
Bekir Bozdag
Bozdag hatte am Sonntag Damaskus gewarnt, das die Konsequenzen von Truppenbewegungen nach Afrin, um die "Terroristen" der PYD/YPG zu schützen, zu einer "Katastrophe für die Region" führen würden.
Signale, dass es zu einer Kooperation zwischen der syrischen Regierung und der YPG in Afrin kommen könnte, gab es schon länger. Dass Vertreter der Kurden und der Regierung mit russischer Vermittlung über mögliche gegenseitige Unterstützung bei einem türkischen Angriff sprachen, wurde schon kurz nach Beginn der Operation Olivenzweig am 20. Januar bekannt.
Es hieß, dass die Verhandlungen aber daran scheiterten, dass die Kurden die Bedingungen nicht akzeptieren wollten, die ihnen Damaskus gestellt habe. Als Stichworte drangen durch: die Entwaffnung der YPG und eine sehr weitgehende, grundsätzliche Übergabe der Machtbefugnisse an die syrische Regierung. Die YPG-Vertreter haben dies abgelehnt, hieß es.
Schon nach den ersten Tagen der Operation Olivenzweig zeigte sich aber auch, dass die syrische Regierung und ihre Truppen die YPG unterstützen, indem sie etwa Nachschub an Waffen und Kämpfern passieren ließen.
Mit dem vergangenen Wochenende verstärkten sich die Hinweise, dass die Verhandlungen zwischen der YPG und der syrischen Regierung weiter gehen und zu einer weiterführenden Unterstützung geführt hätten. Spekuliert wurde über eine anstehende Entsendung von regierungsnahen Milizen oder sogar von Truppen der syrischen Armee. Allerdings widersprach ein YPG-Sprecher Informationen von einer Vereinbarung, die er als fake news bezeichnete (siehe Afrin: Syrische Regierungsmilizen unterstützen nun doch YPG gegen Türkei?).
"Asad schickt Schiiten", symbolisch
Allerdings räumte dann am heutigen Mittwoch selbst ein Medium wie die NZZ ein, dass es zu Verabredungen gekommen sein muss. Denn, wie die Nahost-und Türkeikorrespondentin Inga Rogg berichtet: "Asad(!) schickt Schiiten". Keine regulären Soldaten, "sondern schiitische Milizionäre aus den beiden Kleinstädten Nubl und Zahraa".
Roggs Informationen zufolge, die auch andernorts zu lesen waren, gab es eine Vorgeschichte. Die YPG hatten die Bewohner der beiden Orte während der Einkesselung von Nubl und Zahraa durch islamistische oder dschihadistische Milizen geholfen. Es handele sich demnach um keine wirklich nennenswerte große Unterstützung durch die syrische Regierung, sondern lediglich um eine "symbolische Verstärkung", so die Türkeikorrespondentin der NZZ.
Dem stehen Informationen des belgischen Journalisten Elijah Magnier gegenüber. Der langjährige Nahost-Kriegsreporter berichtete schon früh von weitreichend konzipierten Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung, Kurden-Vertretern und Russland, die zu einer beträchtlichen Unterstützung der YPG führen würden, sollten sich die Kurden auf die Vereinbarungen einlassen.
Magnier widersprach sehr bald und entschieden den Meldungen aus der Türkei, wonach die Unterstützungsmilizen kehrt machen.
Im Gegenteil es würden jetzt täglich mehr kommen, den Angriffen der Türkei trotzend.
Die Vereinbarung muss noch "reifen"
Geht es nach Magniers Informationen, so halte sich Damaskus noch zurück mit der Entsendung der regulären Armee, da dieser Entschluss erst noch "reife" und auf allen Ebenen mit Russland - und auch der Türkei - abgesprochen werden müsse.
Allerdings würde Assad schon jetzt die Nachricht an Erdogan schicken, dass er sein Territorium nicht aufgebe. Dass die Türkei die Grenzen Syriens zu respektieren habe.
Die Botschaft an die Kurden laute, dass nur die Zentralregierung in Damaskus, die von Russland unterstützt wird, sie schützen könne - und eben nicht die USA. Würden sich die Kurden weiter an die USA halten, so seien sie die Verlierer, wie Magnier schon in der Vergangenheit mehrfach betonte.
Magniers Positionierung und Sympathie ist klar. Sie findet sich nicht aufseiten der USA und nimmt auch nicht engagiert oder kämpferisch Partei für das demokratische Projekt der PYD/YPG, das im Nahen Osten eine Besonderheit ist und politisch viel Zukunfsträchtiges hat.
Der langjährige Nahost-Beobachter hat dagegen im Blick, was die US-Regierung zum Beispiel völlig ignoriert, was aber für Al-Assad und dessen Verbündeten Putin absolute Priorität hat, die Souveränität der syrischen Regierung (keine Einmischung in innere Angelegenheiten) und den territorialen Zusammenhalt Syriens.
Gegen beides spricht das Bündnis, das die USA mit den SDF, wo die YPG den maßgeblichen Kern stellen, auf einem großen Gebiet Syriens haben. Für Damaskus sind die USA Besatzer, aggressiv und nicht eingeladen.
YPG-Sprecher: Unterstützung reicht nicht aus
Der YPG-Sprecher Nouri Mahmoud sagte am Donnerstag gegenüber Reuters, dass die bisherige Unterstützung durch Kämpfer, die die Rückendeckung der syrischen Regierung haben, nicht ausreiche, "um die türkische Besatzung zu stoppen".
Laut Bedran Çiya Kurd, der von ANF-News als Vorstandsmitglied der Demokratischen Gesellschaftsbewegung (TEV-DEM) vorgestellt wird, gibt es Verhandlungen zwischen der YPG und dem syrischen Militär, mit dem Ziel die Grenzen von Afrin zu schützen.
Die Aufgabe, die Besatzung zu verhindern, ist ebenso unsere Aufgabe wie die der syrischen Armee. (…) Das Projekt der demokratischen Autonomie und der Föderation Nordsyrien liegt innerhalb Syriens und sieht die Einheit Syriens vor. Es geht nicht um eine Spaltung Syriens oder darum, einen Teil Syriens abzugrenzen. Es gibt viele Themen, über die wir künftig mit Damaskus zu reden haben.
Bedran Çiya Kurd, TEV-DEM
Laut Kurd stimmt es nicht, dass die YPG "die Waffen niederlegen werden oder Efrîn (Afrin) dem Regime übergeben wird". Es gebe nicht einmal eine solche Diskussion. "Es geht darum, einen Genozid und eine Besatzung zu verhindern. Etwas anderes steht nicht zur Diskussion."