Alarmierende Entdeckung: Gefährliche Substanz in 37 Prozent der Urinproben gibt Rätsel auf
Verbotene Weichmacher: Quelle der Phthalate in deutschen Urinproben weiter unklar. Auch Kinder sind betroffen. Das sind die Gesundheitsrisiken.
In der aktuell laufenden sechsten deutschen Umweltstudie zur Gesundheit des Umweltbundesamtes wurden in menschlichem Urin Spuren eines gefährlichen Weichmachers entdeckt. Der gesundheitsschädigende Metabolit fand sich in 37 Prozent aller Proben. Es handelt sich um ein Abbauprodukt des Weichmachers Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP). Phthalate werden vor allem als Weichmacher für Kunststoffe eingesetzt.
Nach Ergebnissen von Tierversuchen wirkt der Metabolit vor allem auf die Fortpflanzungsorgane männlicher Föten im Mutterleib. Für solche reproduktionstoxischen Phthalate gelten in der EU weitreichende Beschränkungen und Verwendungsverbote.
Gesundheitsgefahr Weichmacher: Diabetes durch Phthalate?
Phthalate können zudem das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen, erklärt die UBA-Toxikologin Marika Kolossa. In nahezu jeder untersuchten menschlichen Urinprobe der letzten 15 Jahre seien Weichmacher gefunden worden.
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Bei einzelnen Menschen seien die Konzentrationen so hoch gewesen, dass sie sie zum Gesundheitsrisiko werden können. Phthalate können zudem das Risiko für Diabetes bei Frauen erhöhen, wie eine Studie an der University of Michigan School of Public Health zeigt.
Alarmierender Trend: Auch Kinder mit Risiko-Chemikalien belastet
In Nordrhein-Westfalen untersuchten Experten des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz rückwirkend 551 alte Urinproben von Kindergartenkindern. Ergebnis: Im Untersuchungszeitraum erhöhte sich der Anteil der mit dem Stoff belasteten Proben von 26 Prozent (2017/18) auf 61 Prozent (2020/21).
Die Konzentration bei hochbelasteten Kindern habe sich in etwa verzehnfacht, wie es hieß. Die Ursache dafür sei völlig unklar. Die Wohnorte der Kinder seien nicht maßgebend. Denn im ganzen Bundesland gebe es deutlich erhöhte Werte.
Das Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) bestimmt in regelmäßigen Abständen im Auftrag des NRW-Umweltministeriums die Belastung von Kindern in NRW mit Schadstoffen. Alle drei Jahre wird seit 2011 der Urin von 250 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren auf verschiedene Schadstoffe wie Weichmacher, Konservierungsstoffe oder Pestizide untersucht.
Regulierung und Risiken: Die komplexe EU-Welt der Phthalate
Der Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat ist in der EU seit 2013 stark reglementiert beziehungsweise verboten. In kosmetischen Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und in Spielzeug ist die Verwendung von Phthalaten zwar nicht mehr zugelassen.
Doch dürfen sie in der EU nur nach erfolgreicher Zulassung verwendet werden - mit Ausnahme von Importerzeugnissen. Grundsätzlich müssen Produkte, in denen der Stoff ohne Zulassung enthalten ist, vom Markt genommen werden.
Suche nach der Quelle: Wie Phthalate in den Körper gelangen
Allerdings kann der Stoff noch in alten Produkten enthalten sein, die vor Jahren in der EU hergestellt wurden, erklärt UBA-Chemikalienexperte Lars Tietjen. Wie Recherchen zeigen, sei er früher noch für kleine Dichtungen oder spezielle Arten von Gummihandschuhen verwendet worden. Zwar lägen keine Hinweise auf größere verarbeitete Mengen vor, ausschließen könne man dies jedoch nicht.
Das Umweltbundesamt sucht nun zusammen mit den EU-Behörden fieberhaft nach der möglichen Quelle, über die die Substanz in menschliche Organismen gelangte.
Kunststoffe, Kosmetika, Lösungsmittel: Weichmacher sind überall
Die Verwendung von Phthalate reicht von Kunststoffen, bis hin zu Emulgatoren und Lösungsmitteln in Kosmetika und Hilfsstoffen in der pharmazeutischen Industrie. Sie finden sich in Gummistiefeln, Quietschentchen, Sonnencremes und Nagellack.
Weil sie nicht fest im Kunststoff gebunden sind, dünsten sie mit der Zeit aus und reichern sich in der Raumluft an. Auch in Verpackungen sind sie drin und können auf Lebensmittel abfärben.
Im Laufe der Zeit können Phthalate aus den Produkten entweichen und so vom Menschen aufgenommen werden. Nach Aufnahme in den menschlichen Körper werden sie schnell zu den korrespondierenden Monoestern metabolisiert und über den Urin ausgeschieden.