Alarmstufe Rot im Gesundheitssystem: HIV-Medikamente jetzt auch knapp
Lauterbach rät zur Vorsicht. Lieferengpässe werden häufiger – und für Betroffene lebensbedrohlich. Beispiele und Hintergründe.
Vor knapp zwei Jahren wurde das Brustkrebsmedikament Tamoxifen knapp, im Dezember 2022 waren es Fiebersäfte für Kinder - aktuell sind HIV-Medikamente betroffen.
HIV heute: Dank Medikamenten nicht mehr tödlich
Die Infektion mit dem HI-Virus führt heute – anders als in den 1980er- und 1990er-Jahren – in Ländern mit funktionierendem Gesundheitssystem nicht mehr zur tödlichen Krankheit Aids, aber zur lebenslangen Abhängigkeit von Medikamenten, die den Ausbruch der Krankheit unterdrücken.
Außerdem gibt es wirksame Medikamente, die bei Risikokontakten eine Infektion verhindern können. Die Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil wird zur sogenannten HIV-Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, eingesetzt. Aktuell nutzen in Deutschland rund 40.000 Menschen solche Medikamente zur Vorsorge.
Lauterbach räumt Liefernot ein
Ihnen gilt die aktuelle Warnung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): "Medikamente, die vor Ansteckung HIV schützen, haben Lieferengpässe", teilte er am Mittwochnachmittag mit.
"Wir werden Importe erlauben und Krankenkassen auffordern, Mehrkosten zu übernehmen. Hersteller werden Produktion hochschrauben. In wenigen Wochen wird sich Lage bessern. Bis dahin bitte vorsichtig sein", schrieb Lauterbach auf der Plattform X.
Arztpraxen schlagen schon länger Alarm
Arztpraxen hatten diesbezüglich schon vor knapp zwei Wochen Alarm geschlagen. Laut Dr. Stefan Mauss, der in einer Schwerpunktpraxis für HIV- und Hepatitis-Patienten tätig ist, nehmen auch HIV-Positive die Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil im Rahmen einer Salvage-Therapie ein, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind – ihnen fehle plötzlich ein lebenswichtiges Medikament. Außerdem wird ein Anstieg der Neuinfektionen befürchtet.
Globalisierte Produktion und ihre Folgen
Die Lieferschwierigkeiten hängen eng damit zusammen, dass die Produktion vieler Grundstoffe für die Medikamente von deutschen Firmen aus Kostengründen ins ferne Ausland verlagert wurde: Vor allem nach China und Indien. Bei den von Lauterbach genannten Importen geht es um wirkstoffidentische Medikamente mit europäischer Zulassung.
Mangel auch in Nachbarländern
Laut einem Bericht der Deutschen Apotheker-Zeitung hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei einem digitalen "Runden Tisch" unter anderem mit der Deutschen Aidshilfe zugesichert, "Hersteller nach wirkstoffidentischen Medikamenten mit europäischer Zulassung im Portfolio zu fragen", um deren Import zu erlauben.
Allerdings sei auch in den Nachbarländern nur begrenzt Ware auf dem Markt, teils wurden auch im Ausland Engpässe gemeldet.
Neues Gesetz soll auch Produktion in Deutschland erleichtern
Mit einem im Dezember vorgestellten Medizinforschungsgesetz will die Bundesregierung sowohl die Pharmaforschung als auch die Arzneimittelproduktion vereinfachen und zurück nach Deutschland holen. Gegen das Gesetz gibt es alledings noch Vorbehalte, weil damit auch klinische Studien beschleunigt werden sollen – und weil die dafür zuständige Ethikkommission direkt bei der Genehmigungs- und Zulassungsbehörde BfArM angesiedelt werden soll.
"Forschung an und mit Menschen stellt einen besonders sensiblen Grenzbereich ärztlichen Handelns dar. Freiwillige stellen ihren Körper, ihre Gesundheit zur Verfügung, damit Dritte wie zum Beispiel Pharmafirmen einen Kenntnisgewinn erzielen", so der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz Dr. Günther Matheis.