Alarmzustand in Griechenland und Zypern
Tsipras ruft den ministeriellen Sicherheitsrat ein
Die orthodoxe Kirche feiert in diesen Tagen das Pfingstfest. Ausgerechnet am Pfingstsonntag rief Premierminister Alexis Tsipras des Ministeriellen Sicherheitsrat samt den Vertretern des Heeres, der Luftwaffe und der Marine zu einem kurzfristig anberaumten Treffen in sein Büro im Maximos Mansion in der Herodes Attikus Strasse in Athen. Selbst nach Abschluss des Meetings stellte Tsipras nicht klar, welche Gründe genau, ihn zur Einberufung des Rats motivierten.
Tsipras erklärte im Anschluss vor Journalisten, dass sich die Bürger keine Sorgen machen sollten und nicht auf die Panikmache bestimmter Medien achten sollten. Tsipras erschien, was ein Novum ist, unrasiert vor die Kameras. Es ist ungewöhnlich und war für die vor Ort befindlichen Pressevertreter durchaus überraschend, dass der Premier selbst am Ende einer derartigen Sitzung vor die Kameras tritt. Normalerweise übernimmt der Regierungssprecher, der ebenfalls der Sitzung zugegen war, solche Aufgaben.
Das gesamte Procedere rund um das Treffen des Sicherheitsrats trug, zusammen mit den jüngsten Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, nicht unbedingt zur Beruhigung bei.
Streit um die Erdgasvorkommen in der Ägäis
Die Türkei zweifelt das Recht der Republik Zypern an, in den Gewässern vor der Insel in der erklärten ausschließlichen Wirtschaftszone die dortigen fossilen Energievorkommen zu nutzen. Die Türkei hat ein eigenes Suchschiff in eines der von der Republik Zypern markierten "Grundstücke" geschickt. In den vergangenen Tagen wurde auch seitens türkischer Quellen immer wieder berichtet, dass das Suchschiff mit einer Probebohrung begonnen habe. Ob es tatsächlich zu einer Bohrung gekommen ist, bleibt jedoch unklar.
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Die politische Situation der Republik Zypern ist dagegen seit 1974 ein Zankapfel zwischen Zypern, den Griechen und der Türkei. Die dritte Garantiemacht der Inselrepublik, das Vereinigte Königreich, verhält sich im Streit der übrigen Partner neutral. Sie hofft selbst auf eine Nutzung von Energievorkommen, weil die britischen Militärbasen auf der Insel zum Staatsgebiet des Vereinigten Königreichs zählen.
Erdogan dagegen argumentiert, dass auch dem türkisch besetzten Nordteil der Insel, der international nicht anerkannten "Republik Nordzypern", Bohrrechte zustehen. Er sieht diese auch in den südlichen Gewässern, welche näher am freien Teil, im südwestlichen Bereich der Insel in der Nähe der Küstenstadt Paphos liegen. Angrenzend an das nun vom türkischen Bohrschiff durchkreuzte Grundstück vermeldete Zypern vor knapp vier Monaten den größten Erdgasfund der vergangenen Jahre.
Die Regierung in Zypern hat Haftbefehl gegen die Besatzung des Bohrschiffs erlassen. Sie möchte diese auch über einen internationalen Haftbefehl zur Rechenschaft ziehen. Erdogan dagegen droht jedem, der sich dem Schiff nähert mit dem Eingreifen der türkischen Kriegsmarine und der Luftwaffe.
Die Problematik der faktischen, aber staatsrechtlich nicht legalisierten Teilung der Insel gehört zu den Kernpunkten des Konflikts. Zur türkischen Besatzung, aktuell mehr als 30.000 Soldaten, kam es, als die CIA-gestützte griechische Obristenjunta in Athen meinte, sie habe von den USA auch die Erlaubnis für einen Putsch auf Zypern erhalten. Die antikommunistischen, ideologisch einem rassistischen Faschismus zugetanen Obristen putschten 1974 gegen den regierenden Erzbischof Makarios, der Zypern zum Teil der blockfreien Staaten gemacht hatte, aber aus seiner Sympathie für Kuba und die Union der Sowjetrepubliken nie einen Hehl machte.
Die Obristen strebten den Anschluss der Insel ans griechische Mutterland an. Die ethnischen Türken, die einen großen Teil der Bevölkerung der früheren britischen Kolonie stellten, sahen sich bedroht. Der Putsch scheiterte kläglich. Eine von Seiten der Putschisten immer wieder zitierte Unterstützung der USA war nach dem Scheitern nicht mehr vorhanden. Die Türkei griff mit einer Militärinvasion ein, die Obristen schickten als Antwort ihr Militär aus Griechenland. Der Konflikt endete mit der bis heute bestehenden Besetzung der Insel und mit dem Sturz der Obristen.
Im aktuellen Konflikt stehen die USA auf Seiten Zyperns. Sie bezeichneten die türkischen Aktionen als sehr provokativ. Faktisch jedoch haben die USA bisher nicht mit weiteren Maßnahmen reagiert. Die Administration von Präsident Donald Trump befindet sich selbst im Streit mit der Türkei. Er geht darum, dass Erdogan darauf pocht, sowohl russische Raketensysteme vom Typ S-400 als auch F 35 Kampfjets von den USA zu erwerben. Beim Deal über den Kauf der Jets setzte Erdogan eine türkische Beteiligung am Bau der Flugzeuge durch. Griechenland soll, wenn der Verkauf der Jets an die Türken scheitert, trotz seiner klammen Finanzlage, als Kunde einspringen. Offiziell sind Griechen und Türken gemeinsame Partner der NATO.
Zuspitzung am Wochenende
Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Tsipras die Konferenz der Mittelmeeranrainerstaaten der Europäischen Union ins Leben gerufen. Auf der letzten Tagung dieses Interessenverbunds, in der vergangenen Woche auf Malta, gelang es Tsipras und dem regierenden Staatspräsidenten Zyperns, Nikos Anastasiadis, eine gemeinsame Resolution der sieben Regierungschefs gegen die Aktionen zu Türkei verabschieden zu lassen.
Diese Resolution sorgte bei Erdogan, der rund um die Neuwahl für das Bürgermeisteramt von Istanbul im Wahlkampf steckt, für Verärgerung. Erdogan griff in einer öffentlichen Rede den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron persönlich an. Er warf Macron dilettantisches Handeln und Unkenntnis der Geographie vor, denn so Erdogan, Frankreich habe kein Staatsgebiet in der östlichen Ägäis.
Macron hatte gesagt: "Ich möchte meine Solidarität mit Zypern, sowie meine Unterstützung für seine Souveränität bekräftigen. Die Türkei muss die illegalen Aktivitäten in Zyperns ausschließlicher Wirtschaftszone einstellen. Die EU wird in diesem Punkt nicht zurückweichen." Erdogan hingegen kritisiert, dass der französische Interessen vertretende Total Konzern wegen seines Engagements in der Nutzung der Energiequellen vor Zypern der wahre Grund für Macrons Solidarität sei.
Bislang hatte sich Tsipras, auch im Wahlkampf, aus der öffentlichen Diskussion über die Erdgasvorkommen vor Zypern betont zurück gehalten. In einem Fernsehinterview im laufenden Wahlkampf für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 7. Juli erklärte er gar, die angeblichen Bohrungen der Türkei seinen "leere Drohungen".
Noch am Samstag hatte Außenminister Georgios Katrougalos erklärt, es werde "kein zweites Imia geben". Er rief zu Ruhe und Besonnenheit auf, und sah keinen Grund zur Panik. Die fast in Rufnähe der türkischen Küste liegenden Imia-Inseln sind ein weiterer Konfliktpunkt im Streit der Länder. Die Griechen zählen die 5,5 Seemeilen von der Insel Kalymnos gelegenen Felseninseln zu ihrem Staatsgebiet, die Türkei sieht, frühestens seit 1985, in den von ihr Kardak genannten Inseln eine Grauzone. Türkische Seekarten von 1985 sehen die Inseln dagegen in griechischem Staatsgebiet.
Ende Januar 1996 standen sich vor Imia nahezu die gesamten griechischen und türkischen Seestreitkräfte kampfbereit gegenüber. Auf dem Höhepunkt der Krise hatten türkische Pioniere die Insel besetzt und ein griechischer Marinehubschrauber kam unter ungeklärten Gründen zum Absturz. Der offene Krieg wurde auf Initiative der USA buchstäblich in letzter Minute abgewendet.
Am Sonntag hat die griechische Regierung offenbar ihre Meinung geändert und den Sicherheitsrat einberufen. Auch auf Zypern tagte der dortige Rat und die beiden Regierungschefs hatten am Sonntagabend ein längeres Telefonat, um ihre künftigen Aktionen miteinander abzustimmen. Sie wollen die EU-Staatschefs für ein Handeln gegen die Türkei gewinnen. Sollte es tatsächlich zu einer Bohrung gekommen sein, dann fordern Tsipras und Anastasiadis handfeste Sanktionen.
Die Opposition in Griechenland bemängelt, dass es seitens der griechischen Regierung keine klare Linie und keine Erklärung zu den Vorgängen rund um Zypern gäbe. Medien stellen auch die Frage in den Raum, ob Erdogan sich ebenfalls in die griechischen Bohrgebiete begeben will. Schließlich fand bis zum 14. Juni ein griechisches Seemanöver samt der dazugehörigen Truppenverlegungen statt. Die Oberste Leitung der Streitkräfte reagierte auf die um sich greifende Unsicherheit in Griechenland mit dem Hinweis, dass die Truppenverlegungen nur im Zusammenhang mit dem Manöver standen und mittlerweile alle Militäreinheiten wieder an ihren ursprünglichen Einsatzorten stationiert sind.
Tsipras hatte vor der Einberufung des Sicherheitsrats, geplante Wahlkampfauftritte auf der Insel Kos und der Insel Nissyros kurzfristig abgesagt. Als Grund führte er ein vorrangiges nationales Thema an. Der Premier stand zuletzt wegen seiner Passivität rund um die Problematik der Bohrgebiete vor Zypern in der Kritik. Wirklich neu ist die Problematik nicht, dass sie die übereilte Einberufung des Sicherheitsrats rechtfertigen würde.
Außenminister Katrougalos twitterte nach Abschluss der Ratssitzung: "Das griechische Volk kann sich sicher fühlen. Mit Einstimmigkeit, Wachsamkeit und Entschlossenheit verteidigen wir unsere nationalen Rechte mit der Waffe der internationalen Legitimität und unserem erhöhten diplomatischen Ansehen. Nie zuvor wurden unsere Positionen von der internationalen Gemeinschaft so umfassend unterstützt."
Die Position der Regierung Zyperns
Der zypriotische Regierungssprecher Prodromos Prodromou erklärte am Ende der dortigen Sicherheitsratssitzung: "Seit einigen Tagen beobachten wir die Erklärungen türkischer Offizieller und die oft widersprüchlichen Informationen. Es gibt in diesen Tagen Berichte über den Transport von spezifischem Gerät für Bohrungen." Eine tatsächliche Bohrung bestätigte er nicht, und widersprach damit einer Titelgeschichte der zypriotischen Zeitung Fileleftheros vom Sonntag. Zypern möchte, so Prodromou, von den EU-Staatschefs ein gemeinsames Handeln und Maßnahmen, welche die Türkei vor weiteren Aktionen abschrecken. Martialische Töne vermied der zypriotische Regierungssprecher.
Auch dies lässt keinen direkten Grund erkennen, warum Tsipras so dramatisch auf die bekannt provokativen Wahlkampfauftritte Erdogans reagieren musste. Es stellt sich die Frage, ob er mit seinem Auftritt sein Image als resoluter Regierungschef aufpolieren wollte, so wie Erdogan es bereits seit langem tut. Fraglich ist nun aber auch, wie Erdogan reagiert und ob sich beide Wahlkämpfer am Ende gegenseitig zu einem militärischen Konflikt aufstacheln.