Aleppo: Die Inszenierung von al-Qaida
Die UN bemüht sich um zwei Tage Waffenruhe pro Woche. Der Vorschlag hat derzeit wenig Aussichten. Al-Qaida profitiert von der Darstellung des Konflikts
Bei Temperaturen weit über 30 Grad in Aleppo gehen die Trinkwasservorräte zur Neige, Knappheit auch bei der medizinischen Versorgung - der UN-Koordinator für Humanitäre Hilfe, Stephen O’Brien, fordert mindestens eine zweitägige Einstellung der Gefechte pro Woche, damit das schwerbeschädigte Wasserleitungssystem und die Stromversorgung wieder repariert werden kann.
Nahrungsmittel, medizinische Versorgung, Treibstoff für Generatoren und Wasservorräte stünden in der Türkei bereit, man könne dies binnen 24 bis 48 Stunden nach Aleppo bringen, wenn für einen sicheren Zugang gesorgt werde, so Stephen O’Brien.
Vonseiten Russlands wird berichtet, dass ab dem heutigen Donnerstag eine tägliche Waffenruhe von drei Stünden angekündigt wurde. Übermittelt wird die Aussage von Sergei Rudskoi, einem hochrangigen Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, dass "jede militärische Aktion, Luftwaffenangriffe und Beschuss von der Artillerie zwischen 10 Uhr vormittags und 13 Uhr eingestellt werden soll", damit humanitäre Hilfe in die Stadt kommen kann.
Beim Treffen in St. Petersburg sei eine Zusammenarbeit zwischen Russland und der Türkei bei der humanitären Hilfe für Syrien abgesprochen worden, meldet Hurriyet Daily News.
Für den UN-Hilfskoordinator, Stephen O'Brien, sind drei Stunden nicht genug, man bräuchte allein für die Einrichtung der Zufahrtswege für die Lastwagen mehr Zeit.
Ein Ende der Kämpfe ist nicht abzusehen
Die Situation ist verfahren. Es ist unklar, wer eine Waffenruhe durchsetzen kann bzw. überhaupt dazu gewillt ist. Das hängt immer auch davon ab, wer gerade, wichtige Zufahrtswege kontrolliert. Wie der schwedische Journalist Aron Lund in einem Lageüberblick zu Aleppo von Montag schildert, kann sich die Situation binnen kurzer Zeit so verändern, dass einmal die Milizen-Gegner der syrischen Armee und ein anderes Mal die syrische Armee die Kontrolle über wichtige Versorgungswege hat.
Seinem Bild nach sind beide Kriegsparteien dazu imstande, erhebliche Teile der Stadt von der Versorgung abzuschneiden. Die syrischen Truppen und ihre Verbündeten können die Versorgung der östlichen Viertel der Stadt abschneiden. Ihre Gegner, die aufständischen Milizen des syrischen Dschihad, bedrohen Versorgungslinien der von der syrischen Armee verteidigten Stadtteile im Westen. Die Milizen haben in den letzten Tagen auch schon dazu nötige Positionen erobert. Das betrifft dann die Versorgung wesentlich größerer Teile der Bevölkerung.
Eine sich festsetzende eindeutige militärische Übermacht lasse sich zurzeit nicht feststellen, so Lund. Seiner Auffassung nach sehe es ganz danach auch, als ob das militärische Patt, mit täglich wechselnden militärischen Vorteilen, noch länger anhalten werde.
Die Aleppo-Allianzen
Indessen setzt sich in der Berichterstattung deutscher Medien das Bild fest, dass der für die Bevölkerung katastrophale Krieg um die Vorherrschaft in Aleppo vor allem vom Verhalten der syrischen Regierung und ihrer russischen Verbündeten abhänge. Sie werden, beinahe ohne Einschränkung, als Aggressoren dargestellt, die diese Situation herbeigeführt haben.
Von russischer Seite wird dagegen vorgebracht, dass die militärischen Aktionen eine Antwort auf den Anstieg "terroristischer Aktivitäten" sind, wie aus einem Entwurf zu einem UN-Sicherheitsratsbericht zu Aleppo deutlich hervorgeht.
Der britische Entwurf, der auf Waffenruhe und sofortigen Zugang für humanitäre Hilfe drängt, streift diesen Punkt nur am Ende des Textes. Dort heißt es, dass Milizen des ISIL oder der Al-Nusra-Front sowie Verbündete der al-Qaida oder des ISIL sowie andere terroristische Gruppen, die von Sicherheitsrat als solche bezeichnet werden, von der Waffenruhe ausgenommen sind.
Streng genommen sind das alle Gruppen, die mit Jaish al-Fatah oder mit Haleb al-Fatah in Verbindung stehen, das sind die beiden großen Miliz-Allianzen, welche die Gegner der syrischen Armee stellen. Wer von den gegnerischen Milizen nicht in der einen oder anderen Weise mit den beiden Koalitionen verbunden ist, ist ein großes Rätsel.
Wie es derzeit aussieht, sind unabhängige oppositionelle Gruppen ein Ding der Unmöglichkeit, denn die al-Qaida-Dschihadisten haben das Kommando über die Militäraktion der "Aufständischen" in Aleppo. Freie Gruppen, die nichts mit dem syrischen Dschihad am Hut haben, haben in Aleppo keine Überlebenschancen außerhalb dieser beiden Allianzen.
So laufen denn auch russische Appelle an "moderate Gruppen", sich von al-Nusra deutlich abzusondern, regelmäßig ins Leere. Auch dem aktuellen Aufruf dürfte keine Reaktion folgen.
Der Plan der al-Qaida
Was im Bild der Geschehnisse in Aleppo in vielen deutsch-sprachigen Medienberichten kaum beleuchtet wird, ist die Dimension und die Absicht der meist noch immer Rebellen genannten Milizen in Aleppo. Es handelt sich um eine Offensive mit dem militärischen Ziel der Eroberung Aleppos und dem politischen Ziel zu zeigen, dass die zukünftige Gestaltung Syriens mit Assad unmöglich ist. Die in Saudi-Arabien zusammengestellte Oppositionsvertretung ist ja aus den Genfer Gesprächen ausgestiegen, weil sie nur weiter verhandeln will, wenn Assad nicht mehr Teil einer künftigen politischen Konzeption Syriens ist.
Die Darstellung Assad und Russland als Angreifer und die gegnerischen Milizen als einzig verbliebene Retter der angegriffenen Bevölkerung im Osten Aleppos, wie dies in der breiten Berichterstattung vermittelt wird, blendet das aktive Moment der Assad-Gegner aus, ihre Absichten: Die Offensive auf Aleppo war schon länger geplant und sie steht unter der Fahne des "syrischen Dschihad".
Es ist, um es auf einen kurzen Nenner zu bringen, ein Kampf der al-Qaida darum, sich in Syrien eine feste Basis zu verschaffen. Daher das sofortige Einverständnis der al-Qaida-Führung zur Erklärung des Nusra-Führers al-Julani, der sich mehr Eigenständigkeit verschaffte für ein gemeinsames Ziel. Durch die offizielle Loslösung vom Treueeid an al-Qaida und der Umbenennung war der Weg frei, für die Bildung einer breiten Milizenkoalition unter dem Banner des "syrischen Dschihad". Es ist ein Legitimierungsprozess zugunsten al-Qaidas.
Dass nun bekannte al-Qaida-Prediger wie Abdallah al-Muhaysini (vgl. Link auf 49052 sich in Videoclips auf den Straßen Aleppos feiern lassen, küssen, umarmen und beknien, ist nur ein illustres Fragment des Bildes, dessen Rahmen al-Qaida vorgibt.
In diesen Rahmen fügt sich auch die andere große Gruppe, Ahrar al-Sham. Deren Verlautbarungen betonen, dass ihre politische Lösung für Syrien völlig anders aussehen wird als unter Bashar al-Assad: Der Gruppe, die von Saudi-Arabien, der Türkei, Katar direkt unterstützt wird - und zumindest mittelbar von den USA - schwebt ein islamischer Staat vor. Dafür gibt es momentan reichlich Waffen von den Unterstützerstaaten.