Algerien: Keine Kompromisse im Kampf gegen Terroristen...

...wenn nötig auch um den Preis von Kollateralschäden. Die Aktion der algerischen Armee gegen die Geiselnehmer in Ain Amenas zeigt, wie der französische Militär-Einsatz in Mali sich zum Mehrfrontenkrieg entwickelt

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Die Situation auf der BP-Erdgasförderanlage Ain Amenas ist nicht gelöst. Der algerischen Armee gelang es gestern offenbar nicht, das Gelände unter Kontrolle zu bringen, nach wie vor sollen die Geiselnehmer Teile der Anlage besetzen und sich Geiseln in ihrer Hand befinden. Die algerische Armee ging bei ihrem Einsatz mit großer Härte vor (45 Ausländer und 150 algerische Mitarbeiter als Geiseln). Die genaue Zahl der Toten unter den Geiseln und den Dschihadisten ist nicht bekannt. Das Spektrum der Zahlenangaben differiert erheblich, nicht nur was die Zahl der Toten anbelangt, sondern auch die Geiseln.

Die algerische Nachrichtenagentur meldete zwischenzeitlich 600 Geiseln, vor allem Algerier. Die Anzahl der westlichen Geiseln, Mittelpunkt der westlichen Berichterstattung, ist ebenso unklar, wie auch die Zahl der getöteten westlichen Geiseln - gegenwärtig berichten Nachrichtenagenturen von über 30 Toten unter den Geiseln. Unklar ist auch die Anzahl derjenigen Geiseln, die fliehen konnten.

Die Situation wird von Spezialisten, wie etwa dem früheren GIGN-Kommandeur Frédéric Gallois, mit der Geiselnahme an einer Schule im tschetschenischen Beslan im Jahr 2004 (Der Mediencoup im Theater) verglichen.

Hier wie dort habe man es mit einem Selbstmordkommando zu tun, mit Geiselnehmern, die ihr Leben zu opfern bereit sind, was das Eingreifen besonders schwierig gestalte. Dazu komme, dass die algerische Regierung sich seit Jahren einem kompromisslosen und harten Vorgehen gegen Terroristen entschlossen habe und dies als Krieg sehe, in dem auch Verluste mit einkalkuliert werden.

Diese Strategie ist nicht nur ein Lippenbekenntnis. Der Gedanke dahinter ist, diejenigen einzuschüchtern, die mit Terror operieren. Aller notwendiger Vorbehalte eingedenk ist der Ablauf der Ereignisse ziemlich logisch. Er ist bestimmt vom Willen sehr schnell zu agieren, mit Gewalt und was auch immer der Preis ist, den man mit Kollateralschaden dafür bezahlt.

Frédéric Gallois, bis 2009 führendes Mitglied der französischen Interventionstruppe GIGN

Einen herausragenden Standpunkt für letzte Wahrheits- und Moralurteile gibt es auch bei diesem Kriegsschauplatz nicht. Bestätigt werden die Befürchtungen, wonach der französische Einsatz in Mali bei weitem schwieriger ist, als dies von der französischen Führung dargestellt wurde. Die unübersichtliche Situation, die miltärische Antwort auf die brutale Geiselnahme der Dschihadisten, die keine echte Lösung zur Folge hatte, spiegelt als pars pro toto die Schwierigkeiten wider, mit denen der französische Einsatz in Mali zu rechnen hat: Gegner, die Grenzen überschreiten, die darauf aus sind, den Konflikt auf die ganze Region auszuweiten, indem sie wunde Punkte anvisieren, die Gas-und Ölförderfelder sind schwer zu schützen, weshalb die Besorgnis in Unternehmen, die in Lybien fördern, derzeit groß ist. Diese Sorge dürfte nicht auf Libyen begrenzt bleiben.

Zumal die dschihadistischen Gruppierungen aus ihrer Ortskenntnis große Vorteile schlagen können ("Alle Zeugenberichte von früheren Geiseln erwähnen die Fähigkeit der Geiselnehmer, wonach diese sich mitten in der Nacht irgendwo inmitten der Wüste zur abgemachten Stunden treffen können und sehr schnell den Ort wechseln können", Louis Caprioli, früherer Chef der französischen Antiterroreinheit DST).

Der französische Einsatz in Mali hat es, wie sich nun verdeutlicht, nicht nur mit einer desaströsen politischen Situation in Mali zu tun, wo sich die Demokratie nach westlichen Vorbild in den Augen der Bevölkerung im Zeitraum von 20 Jahren diskreditiert hat, sondern, wie die Geiselnahme im algerischen Ain Amenas vor Augen führt, mit einem Kampf gegen Dschihadisten, die grenzüberschreitend operieren.

Das gilt nicht nur geografisch. Diejenigen, die für Ordnung in Mali sorgen wollen, wie dies der französische Präsident Hollande angekündigt hat, müssen mit militanten Dschihadisten rechnen, die auf mehreren Ebenen operieren.

So gibt es jene, welche der Bevölkerung das versprechen, was die für Korruption anfällige Politiker nicht zuwege brachten: soziale Versorgung, Kontrolle und Stabilität - allerdings bezahlt mit dem Preis der totalen Unterordung. Die wird von bestimmten Gruppen dann mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit eingefordert (Handabhacker-Scharia-Dschihadisten). Dazu kommen noch die Dschihadisten, die seit Jahren in den Wüstengebieten Nordafrikas auf Drogenhandel und Entführungen spezialisiert haben, ihnen stehen riesige Rückzugsgebiete zu Verfügung und eine ganze Menge von Zielen, die die westlichen Interessen schmerzhaft treffen können.